Start der Retter-App mit ersten Alarmierungen: So erlebten zwei Ersthelfer die Einsätze

Minden. Der 12. Oktober ist für Jan Brüggemann zunächst ein ganz normaler Sonntag. Er sitzt mittags zu Hause auf der Couch und &bdquo;daddelt“ auf dem Handy herum, wie er sagt. Doch dann wird aus dem gewöhnlichen ein außergewöhnlicher Sonntag: Um 13.29 Uhr schlägt sein Smartphone Alarm. In der Nähe gibt es einen Notfall, eine Person hat einen Herzstillstand erlitten. Die App &bdquo;Region der Lebensretter“ fragt den 41-Jährigen, ob er zur Unfallstelle eilen und Erste Hilfe leisten kann. Der gebürtige Mindener, der mittlerweile in Bergkirchen wohnt, zögert keine Sekunde und bestätigt die Anfrage. &bdquo;Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin losgefahren.“ Brüggemann ist einer der ersten Helfer, die über die neue Retter-App alarmiert werden. Das Angebot hat der Kreis Minden-Lübbecke nach jahrelanger Vorlaufzeit Anfang Oktober an den Start gebracht. Seitdem können registrierte Nutzer kontaktiert werden, die sich zufällig in der Nähe eines Notfalls befinden und deutlich schneller am Einsatzort sein können als die alarmierten Rettungskräfte, die im Schnitt acht bis 15 Minuten brauchen. In den ersten knapp drei Wochen seit dem Start der Retter-App kamen bereits in 21 Notfällen alarmierte Ersthelfer zum Einsatz, teilt Kreissprecherin Mirjana Lenz mit - im Schnitt quasi einmal täglich. Mehr zum Thema: Neue Retter-App: Darum setzt der Kreis Minden-Lübbecke auf eine Insellösung Leblosen Mann aus Graben gezogen Rund fünf Minuten nach dem Alarm erreicht Jan Brüggemann den etwas mehr als zwei Kilometer entfernten Einsatzort in Rothenuffeln. Ein Mann, der offensichtlich mit einem Fahrrad unterwegs und gestürzt war, liegt regungslos im Straßengraben. Eine Frau hatte ihn kurz zuvor gefunden und den Notruf gewählt. Zeitgleich mit Brüggemann trifft ein zweiter Helfer ein, der ebenfalls über die &bdquo;Region der Lebensretter“ kontaktiert wurde. Beide kennen sich aus der Einheit der Freiwilligen Feuerwehr in Bad Oeynhausen. Zusammen befördern sie den Leblosen aus dem Graben und beginnen mit der Wiederbelebung. Sie wechseln sich ab und überbrücken so die knapp fünf, sechs Minuten, bis der Rettungsdienst vor Ort eintrifft. &bdquo;Das lief alles sehr gut. Wir waren ruhig und nicht hektisch“, berichtet Brüggemann. Die Reanimation dauert knapp 15 Minuten, schätzt er. Dann kommt der Schwerstverletzte in den Rettungswagen, wird dort weiter versorgt und ins Mindener Klinikum gefahren. Für Jan Brüggemann und die weiteren Helfer – am Ende sind insgesamt vier per App zur Unfallstelle gelotst worden – ist der Hilfseinsatz beendet. Die Polizei ist auch vor Ort, nimmt die Personalien der Helfer auf. &bdquo;Wir standen dann noch kurz zusammen und wollten auf Nummer sicher gehen, dass alle den Einsatz gut verkraftet haben – das war wichtig“, findet Brüggemann. Gedanken, die dem Helfer nahegehen Wie belastend ist so eine Rettungsaktion? Er könne gut mit solchen Situationen umgehen, sagt Brüggemann pragmatisch. Dabei helfe ihm die mittlerweile fast vierjährige Erfahrung durch sein ehrenamtliches Engagement bei der Feuerwehr. Außerdem habe er nach der Registrierung in der App einen Probealarm einmal durchgespielt. &bdquo;Ich war deshalb nicht geschockt, sondern wusste in etwa, was mich erwartet.“ Trotzdem sei es völlig normal, dass man Erinnerungen an solche Einsätze noch ein paar Tage mit sich herumtrage. Von daher begrüßt Brüggemann das Angebot, über die Retter-App psychosoziale Betreuung nach einem belastenden Einsatz anzufordern. Er fände es noch besser, wenn dies nicht nur ein Angebot wäre, sondern jeder Helfer nach einem Einsatz kurz kontaktiert werde, um abzuklären, ob alles in Ordnung ist. Als Jan Brüggemann am beschriebenen Sonntag nach Hause zurückkehrt, spürt er, wie der Adrenalinspiegel in seinem Körper wieder sinkt. Und er erlebt kurzzeitig einen Moment, in dem ihm das kurz zuvor Erlebte doch noch einmal nahegeht, wie er zugibt. Vor allem die zu dieser Zeit noch unbeantwortete Frage, ob der schwer verletzte Mann überleben würde, schwirrt ihm durch den Kopf. Am nächsten Tag steht fest, dass das Unfallopfer trotz aller Rettungsmaßnahmen im Krankenhaus gestorben ist. &bdquo;Wir haben unser Bestes gegeben und alles daran gesetzt, dass er überlebt“, sagt Brüggemann. Er sei froh, dass er sich bei der Retter-App registriert habe, um genau in solchen Situationen schnell helfen zu können – und Menschen bestenfalls das Leben zu retten. &bdquo;Ich hätte mich geärgert, wenn ich von dem Unfall in der Nähe nicht erfahren hätte und deshalb nicht hätte helfen können“, sagt Brüggemann. Portaner hat schon 2 Einsätze mit der App bewältigt Diesen Gedanken teilt Thomas Möbius. Der 41-Jährige aus Porta Westfalica engagiert sich ehrenamtlich im DRK-Ortsverein Barkhausen, ist medizinischer Leiter bei der Rallye Stemweder Berg und hat in früheren Jahren eine Ausbildung zum Rettungssanitäter bei der Bundeswehr absolviert. Die Retter-App, erzählt er, sei eine ideale Plattform, um Menschen mit medizinischem Wissen zu bündeln und im Notfall schnell einzusetzen. Möbius hat bereits seine ersten beiden Einsätze hinter sich. Er ist gerade eingeschlafen, als am späten Abend des 17. Oktobers ein Alarm losschrillt. &bdquo;Die Geräusche von einem Funkmeldeempfänger für Einsätze kenne ich ja bereits. Aber das war ein ganz anderes Geräusch, da war ich sofort wach“, erzählt der Logistikmeister ein paar Tage später im MT-Gespräch. Es ist der erste Alarm für ihn, seitdem er sich für die Retter-App des Kreises registriert hat. &bdquo;Herzstillstand war die Alarmierung“, erinnert er sich. Dann geht alles ganz schnell: &bdquo;Rein in die Klamotten, ins Auto und drei Straßen weiter gefahren“, berichtet Möbius. Genau dafür ist die App ausgelegt: Registrierte Ersthelfer in nächster Umgebung werden alarmiert, um die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zu überbrücken - gerade in Randbereichen, in denen die Berufsretter länger brauchen, ein wertvoller Bonus für die Patienten, findet Thomas Möbius. Der Portaner trifft an diesem Freitagabend gut vier Minuten vor dem Rettungswagen ein. &bdquo;Gott sei Dank stellte sich schnell heraus, dass der Patient keinen Herzstillstand hatte. Aber er war sichtlich im Bewusstsein eingetrübt“, erzählt er. &bdquo;Da war es gut, dass jemand da war, der die Situation einschätzen konnte.“ Angehörige über Mann in Zivil verwundert Verwundert zeigen sich allerdings die Angehörigen des Patienten. &bdquo;Die haben sich gewundert, dass da jemand in Zivil auftaucht und hilft. Damit hatten sie offenbar nicht gerechnet.“ Möbius betreut den Patienten bis zum Eintreffen des Rettungspersonals und überwacht die Vitalwerte. Eine kurze Übergabe, dann ist der Einsatz für den freiwilligen Helfer beendet. Es soll nicht der einzige in den Tagen darauf bleiben. Schon am Montagmorgen in dieser Woche schrillt sein Handy wieder: Alarm in Bad Oeynhausen, nur drei Minuten Fahrtweg entfernt von seiner Arbeitsstelle. Wieder: Herzstillstand. Thomas Möbius ist alarmiert und fährt sofort los. Das sei ebenfalls das Gute an der Retter-App, betont der Portaner: &bdquo;Ich werde immer dann alarmiert, wenn ich in der Nähe eines Notfallortes bin und die Leitstelle das Alarmstichwort als kritisch einstuft“, schildert er. Dieses Mal liegt der Einsatzort eben in direkter Nähe zum Arbeitsplatz. Möbius hilft damit also auch an anderer Stelle im Mühlenkreis. Einsatz wegen Krampfanfall Ein Herzstillstand ist es allerdings auch dieses Mal am Montagmorgen nicht. &bdquo;Es stellte sich heraus, dass der Patient einen Krampfanfall hatte und ebenso im Bewusstsein eingetrübt war“, erinnert sich der Portaner an den Einsatz als ziviler Ersthelfer. &bdquo;Manchmal können die Anrufer das nicht richtig einschätzen.“ Auch hier ist Möbius wieder einige Minuten vor dem Rettungsdienst vor Ort und leitet bereits erste Maßnahmen ein, um den Patienten zu stabilisieren. Wie Jan Brüggemann ist auch er nicht allein als ziviler Ersthelfer, mehrere Retter wurden alarmiert. In beiden Fällen habe sich das System der Retter-App bereits bewährt, findet der Portaner. Dass allein er zwei Alarmierungen in kurzer Zeit erhalten habe, zeige, wie notwendig ein solches Netz an freiwilligen Helfern im Hintergrund sei. In den ersten Wochen haben sich bereits mehr als 400 Ersthelfer in der App registriert, berichtet der Kreis. &bdquo;Die Lebensretter-App lebt von engagierten Ersthelfern! Je mehr sich registrieren, desto größer wird unser Netzwerk - und desto besser können wir Leben retten&bdquo; betont Kreisdirektorin Nicole Streitz. Mit der bisherigen Zahl der Anmeldungen sei man sehr zufrieden, sagt Streitz und fügt an: &bdquo;Wir freuen uns, wenn sich noch mehr registrieren.“ Hoffen, dass das Retter-Netzwerk noch deutlich größer wird Auch Jan Brüggemann hofft, dass das Retter-Netzwerk noch deutlich größer wird. Er hätte sich gewünscht, dass die Retter-App schon viel früher im Kreis Minden-Lübbecke an den Start gegangen wäre. Und er möchte einen Appell loswerden: &bdquo;Jeder, der eine medizinische Ausbildung hat oder über andere Qualifikationen zur Ersten Hilfe verfügt, sollte sich bei der Region der Lebensretter registrieren!“ Und Thomas Möbius ergänzt in diesem Zusammenhang: &bdquo;Man kann sich zum Beispiel auch registrieren, wenn man eine allgemeinmedizinische Ausbildung hat. Das müssen nicht immer Angehörige des Rettungsdienstes oder einer Hilfsorganisation sein.“ So könne das Netz sicher noch weiter gefasst werden. Er ist überzeugt, dass dadurch das eine oder andere Leben mehr gerettet werden könne. Für die Zukunft hoffen beide, dass die Scheu vor Erster Hilfe insgesamt sinkt und dass lebensrettende Maßnahmen frühzeitig vermittelt werden – möglichst schon in der Schule. &bdquo;Niemand sollte auf der Straße sterben, weil andere Angst haben, etwas falsch zu machen“, sagt Brüggemann. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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