Vom Rollstuhl ans Lenkrad: Wie sich diese Mindenerin ihre Selbstständigkeit erkämpft

Minden. Alisha Klassen hat sich mit ihrem Rollstuhl arrangiert. Früher habe sie Hass auf ihn gehabt, gibt sie zu. &bdquo;Heute schätze ich ihn“, sagt die 21-Jährige. Die Mindenerin hat eine &bdquo;spastische Lähmung“, eine sogenannte spastische Zerebralparese. Festgestellt wurde die Gehbehinderung bei ihr als Baby. Ihre Füße krampfen, wegen Fehlstellungen wurden diese bereits ein paar Mal operiert. Sie hat zudem Gleichgewichtsstörungen und eine Skoliose, das ist eine Verkrümmung der Wirbelsäule. &bdquo;Ich versuche, das Beste daraus zu machen“, sagt sie. Und sich nicht aufzugeben. Dazu trägt bestimmt auch ihr knapp einjähriger Sohn Samuel bei. Seit er auf der Welt ist, greift sie lieber auf den Rollstuhl als auf Unterarmgehstützen zurück, mit denen sie kurze Strecken laufen kann – weil sie dann die Hände für ihr Kind frei hat. Die Geburt hat noch etwas geändert: Seitdem ist der Wunsch in der jungen Frau gereift, den Führerschein zu machen. &bdquo;Ich habe gemerkt, dass es jetzt dran ist“, sagt sie. Schon allein wegen der Termine beim Kinderarzt oder der Einkäufe. Bislang sprangen da ihre Mutter oder ihr Ehemann David (23) ein und fuhren sie. &bdquo;Das ist aber nicht zukunftssicher.“ Beide sind berufstätig. Nun möchte die 21-Jährige selbstständiger werden. Doch einen Führerschein zu machen, ist für Menschen mit Behinderung gar nicht so einfach, wie sie feststellen musste. Auto braucht Hebel für Handgas und -bremse Die erste Schwierigkeit war, eine passende Fahrschule zu finden. &bdquo;Ich brauchte eine, die ein umgebautes Auto hat.“ Denn da ihre Füße nicht so reagieren und nicht so beweglich sind, wie bei einem gesunden Menschen, braucht Klassen ein Fahrzeug mit Handgas und -bremse. Das betätigt sie mit der rechten Hand, mit Links wird das umgebaute Lenkrad bedient. In Minden gibt es jedoch keine Fahrschule, die das anbietet. Das bestätigt auch Henrik Seidel, Unterbezirksleiter Minden des Fahrlehrer-Verbands Westfalen. Man müsse schon darauf spezialisiert sein, erklärt er die Angebotslücke. Denn so ein Umbau koste 10.000 bis 20.000 Euro, dazu käme das Auto. Gleichzeitig sei die Nachfrage gering. &bdquo;Für uns würde sich das gar nicht lohnen“, sagt Seidel, der die Fahrschule Grotjohann leitet. Schüler reisen aus 1.300 Kilometer Entfernung an Nach monatelanger Suche stieß Alisha Klassen schließlich auf einen Anbieter in Löhne, im Kreis Herford. Hier bildet die Fahrschule Jochem Menschen mit Behinderung am Lenkrad aus. &bdquo;Das ist eine aufwändige Geschichte und bedarf viel Energie“, sagt Fahrlehrer Peter Bjelobaba. Das Einzugsgebiet, aus dem Schüler kommen, schätzt er auf 1.300 Kilometer. &bdquo;Das hat sich intern rumgesprochen“, sagt er zum Alleinstellungsmerkmal der Fahrschule. &bdquo;Wir haben vermehrt Kriegsgeschädigte, die etwa durch Mienen ihre Beine verloren haben.“ Zurzeit lernen hier fünf Schüler mit Behinderung. Lesen Sie auch: Detmolder will Führerschein machen – und fühlt sich wegen seiner Behinderung diskriminiert Nicht nur der Umbau des Wagens bedeutet Aufwand. Weil die Schüler nicht zu ihm kommen können, holt er sie für die praktischen Stunden ab. Peter Bjelobaba berichtet außerdem, dass er mit den Schülern auch die Anträge stelle, damit die überhaupt Stunden nehmen dürfen, und solche, um die Kosten erstattet zu bekommen. Medizinisches Gutachten für Führerschein Denn um überhaupt mit dem Führerschein starten zu können, brauchen Betroffene eine Einschätzung von einem Facharzt mit verkehrsmedizinischem Hintergrund. &bdquo;Von ihm bekommt unser Straßenverkehrsamt dann eine entsprechende Rückmeldung. Mit diesen Informationen kann es entscheiden, ob zusätzlich noch eine Fahrprobe durch den TÜV gemacht werden sollte“, berichtet Sabine Ohnesorge, Sprecherin beim Kreis Minden-Lübbecke. Daraus könne sich beispielsweise ergeben, dass bestimmte Unterstützungsmittel am Auto notwendig seien wie etwa eine Lenkhilfe. &bdquo;Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und damit gewährleistet ist, dass die Person sicher am Straßenverkehr teilnehmen kann, steht dem Führerscheinerwerb in dieser Hinsicht nichts mehr im Weg“, teilt Ohnesorge weiter mit. Kosten bei Führerschein sind doppelt so hoch Es gibt aber noch ein Hindernis: Und das sind die Kosten. Die betragen bei einem Führerschein etwa 2.500 bis 3.000 Euro, berichten Seidel wie auch Bjelobaba. Für Menschen mit Behinderung belaufen sie sich wegen der Umbauten und der Spezialausbildung auf rund 6.000 Euro – je nach kognitiver Verfassung der Schüler könnten sie, wenn mehr Fahrstunden gebraucht werden, auch höher ausfallen, wie Peter Bjelobaba erklärt. Nicht inbegriffen sind darin die Kosten für das medizinische Gutachten. Rund 6.000 Euro – das hat auch die junge Familie aus Minden vor Herausforderungen gestellt, wie Alisha Klassen berichtet. Unterstützung über Stellen wie die Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit gebe es nicht, hat sie recherchiert. &bdquo;Sie übernehmen die Kosten nur für Menschen, die am Arbeitsleben teilnehmen. Aber ich stehe dem Arbeitsmarkt als junge Mutter nicht zur Verfügung.“ Wann sich das ändern werde, wisse sie nicht, zurzeit habe ihr Sohn Priorität. &bdquo;Ich brauche aber trotzdem ein Auto.“ Probiert habe sie es stattdessen bei verschiedenen Stiftungen – vergeblich, berichtet sie. Hohe Hürden bei Kostenerstattung &bdquo;Wenn man im Arbeitsleben steckt, ist das kein Problem“, sagt auch Claudia Detering von der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) über Zuschüsse zum Führerschein. Die Beratungsstelle unterstützt Menschen mit Behinderung zum Beispiel bei Anträgen. Für Betroffene, die den Führerschein nicht fürs Berufsleben brauchen, gibt es laut Detering noch die Hilfen zur Mobilität vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Sie sollen ihnen soziale Teilhabe ermöglichen. Aber hierüber Unterstützung zu bekommen, sei sehr schwierig, die Hürden seien hoch. Über seine sogenannten &bdquo;Leistungen zur Mobilität“ kann der LWL unter anderem bei der Anschaffung eines Autos, bei der Fahrerlaubnis oder dem behindertengerechten Umbau eines Fahrzeugs finanziell unterstützen. Aber auch die Instandhaltung und Kosten für den Betrieb gehören dazu – dieser Posten wurde laut LWL-Pressestelle im vergangenen Jahr am häufigsten bewilligt. 33 Leistungsberechtigte gab es. 2023 übernahm der LWL in drei Fällen den Führerschein Beim Führerschein hat der LWL im vergangenen Jahr in drei Fällen Unterstützung geleistet – insgesamt gingen 15 Anträge ein. Erforderliche Zusatzausstattungen und Umrüstungen wurden vergangenes Jahr 41 Mal beantragt und in neun Fällen bewilligt. Die Leistungen werden jeweils nur übernommen, wenn bestimmte Voraussetzungen bestehen: Dazu gehört unter anderem, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar ist und die betroffene Person &bdquo;zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ständig“ – also beinahe täglich – auf die Nutzung eines Autos angewiesen sei. Daneben gebe es weitere Prüfkriterien. Erfüllen die Antragsteller alle Punkte, würden die vollen Aufwendungen übernommen, allerdings müssten gegebenenfalls das eigene Einkommen und Vermögen eingesetzt werden. Zwei Jobs für die Führerscheinkosten Beim LWL hat Alisha Klassen keinen Antrag eingereicht. Die Familie stemmt die Kosten für den Führerschein alleine. Ihr Mann geht dafür neben seiner Ausbildung einem Nebenjob nach. Zudem nutzen sie Rücklagen, die er während seiner vorherigen Berufstätigkeit gebildet hat. Das Fahrzeug zu finanzieren, das die Mindenerin später braucht, wird allerdings schwieriger. Das muss breit genug für den Rollstuhl sein, am besten Schiebetüren haben und für Alisha Klassen umgebaut sein - mit ein paar Handgriffen könnte aber auch ihr Mann damit fahren. Die Mindenerin rechnet mit Umbaukosten in Höhe von 15.000 Euro. Aber es gibt Hoffnung: Von den Stiftungen habe sie häufiger den Tipp bekommen, einen Spendenaufruf zu starten. Der ging schließlich Ende September auf der Plattform gofundme.de online. Das Ziel ist fast erreicht. &bdquo;Das ist überwältigend für mich“, sagt die junge Mutter. Hilfe zu suchen - ohne Scham, das sei ein ganz neuer Erfolg für sie. Die theoretische Prüfung hat Alisha Klassen übrigens mittlerweile bestanden. Ihr Fahrlehrer habe ihr geholfen, dass sie den theoretischen Teil in Minden machen konnte. Für die praktischen Fahrstunden hole er sie ab. &bdquo;Dafür bin ich ihm sehr dankbar“, sagt Klassen. Den Straßenverkehr vom Auto aus kennenzulernen, ist für sie eine ganz besondere Erfahrung. &bdquo;Ich kannte ihn ja bislang nur als Fußgänger.“ &bdquo;Das ist für sie wie eine neue Welt“, ist auch Peter Bjelobabas Eindruck.

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