Neue Schnellbuslinien, mehr Fahrten, gute Anschlüsse: So will der Kreis das ÖPNV-Angebot verbessern

Minden. Der Austausch über das neue Mobilitätskonzept des Kreises neigt sich langsam dem Ende entgegen, da meldet sich Gunter Kramer zu Wort: &bdquo;Sind die Menschen, die dieses Konzept erarbeitet haben, jemals mit einem Bus gefahren?“, fragt der 91-Jährige sarkastisch. Kramer setzt sich seit Jahren in Espelkamp dafür ein, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Er ist dort als &bdquo;Mobilagent“ im Einsatz, zudem ist er auch im hohen Alter unter anderem noch im Seniorenbeirat der Stadt aktiv. Die Ideen für ein besseres ÖPNV-Angebot im Kreisgebiet, die die Verantwortlichen zuvor im Sitzungssaal des Kreishauses vorgestellt haben, sieht er äußerst skeptisch. In seiner Wortmeldung macht Kramer deutlich, wo der Schuh drückt und wie schlecht vor allem die Busverbindungen sind. &bdquo;Wenn ich vormittags eine Veranstaltung in Minden besuchen möchte, muss ich frühmorgens in Espelkamp losfahren - und dann komme ich irgendwann am Nachmittag erst wieder zu Hause an. Da bin ich schneller, wenn ich mit dem Zug über Herford fahre - das kann doch nicht sein“, sagt der Senior - und erntet dafür reichlich Zustimmung. Dennis Jaquet kann den Unmut verstehen. Er verweist auf das neue Mobilitätskonzept: &bdquo;Genau solche Probleme möchten wir angehen und die Situation verbessern“, sagt der Experte für regionale Mobilitätskonzepte bei der Planersocietät. Das Fachbüro hat zusammen mit der IKU GmbH, dem Kreis und den Kommunen mehr als ein Jahr lang an Zukunftsideen für Minden-Lübbecke gearbeitet. Die Ergebnispräsentation soll der Startschuss sein: &bdquo;Jetzt geht die Arbeit los“, sagt Jaquet. Welche Schwerpunkte hat das Konzept? Der Planungsentwurf basiert auf drei Säulen: schnelle Verbindungen durch neue Buslinien, ergänzende lokale Mobilitätsangebote und Vernetzungen für bessere Anschlüsse sowie die Schaffung attraktiver Knotenpunkte. Wie sehen die Planungen für neue Schnellbuslinien aus? Der Grundgedanke lautet, Buslinien wie Bahnlinien zu realisieren - entweder als Ergänzung zum bestehenden Bahnnetz oder als temporären Vorlaufbetrieb einer möglichen Reaktivierung. Für die Strecke Minden-Hille gibt es zum Beispiel Überlegungen, den Bahnverkehr irgendwann wieder aufzunehmen. Konkret soll jede Kommune im Kreisgebiet mindestens einen Halt für schnelle ÖPNV-Angebote haben, lautet das Ziel. &bdquo;Wo dies der Zug nicht leisten kann, soll ein annähernd vergleichbares Angebot per Bus eingerichtet werden“, sagt der Experte. Was sind Kriterien für neue Linien? Das Ziel sind schnelle und direkte Verbindungen zwischen den Kommunen, mit möglichst wenigen Zwischenhalten (alle fünf Kilometer, ähnlich einer Regionalbahn) und einer hohen Reisegeschwindigkeit. Auch die Zahl der Fahrten und die Taktung müssten deutlich erhöht werden, betont Jaquet. Geplant seien Fahrten alle 60 Minuten, montags bis freitags zwischen 5 Uhr und Mitternacht, samstags ab 6 Uhr, sonntags ab 9 Uhr. Schnellbuslinien werden vor allem als Ost-West-Verbindungen geplant, da sich das Bahnnetz im Mühlenkreis vor allem von Norden nach Süden erstreckt. Da die Gesundheitsversorgung ein elementarer Punkt ist, sollen auch die Krankenhäuser in Zukunft besser erreichbar sein. Für Gewerbegebiete hingegen müsse man an individuellen und ergänzenden Lösungen arbeiten, so Jaquet. Welche Schnellbuslinien sind geplant? Welche Linien konkret eingerichtet werden könnten, steht noch nicht fest. Im Konzept sind aber Beispielrouten ermittelt worden. Die erste führt von Bohmte im Landkreis Osnabrück über Stemwede (Levern), Espelkamp und Hille bis nach Minden. Eine andere von Lemförde im Landkreis Diepholz über Stemwede (Dielingen, Wehdem) bis nach Rahden. Eine dritte Route erstreckt sich von Bohmte über Bad Essen nach Preußisch Oldendort (Bad Holzhausen), von dort weiter nach Lübbecke und Hüllhorst bis nach Bad Oeynhausen. Wo ist der Bedarf am größten? Dies sei eine der wichtigsten Fragen und Grundlage für die weitere Planung, wie Jaquet und auch Oliver Gubela, der für das Thema zuständige Amtsleiter beim Kreis, bei der Ergebnispräsentation betonen. Es sei zunächst einmal elementar wichtig, belastbare Zahlen zu erhalten, wie sich die Menschen im Mühlenkreis bewegen. Von wo nach wo fahren sie überhaupt? Welche Strecken sind zu welchen Zeiten wie stark ausgelastet? Wo gibt es Bedarf für neue Linien? Wo sollten bestehende Angebote verändert werden? Zu diesem Themenkomplex läuft parallel zum Mobilitätskonzept eine umfangreiche Untersuchung im gesamten Raum des Verkehrsverbunds Ostwestfalen-Lippe. Über Mobilfunkdaten werden Pendlerströme erfasst und dargestellt. Die Ergebnisse sollen im Spätsommer vorliegen, berichtet Gubela. Die Verantwortlichen versprechen sich viel von der Analyse. Die Daten seien eine wichtige Ergänzung zu den Ideen im Mobilitätskonzept. Welche weiteren Faktoren spieln beim ÖPNV eine Rolle? Laut Jaquet werde die ÖPNV-Qualität längst nicht nur durch attraktivere Verbindungen erreicht. Beispiel Fahrzeuge: Modern, barrierefrei, mit der Möglichkeit der Fahrradmitnahme - solche Aspekte müssten ebenfalls bedacht werden. Auch die Haltestellen sollten so gestaltet sein, dass Fahrgäste bereit seien, dort auf den Bus zu warten. Ohne Unterstellmöglichkeit im Regen an der Straße stehen - da nutzen die meisten dann doch lieber das Auto. Und da wollen die Verantwortlichen gegensteuern, wie Jaquet betont. Ebenso müsse Bussen im Straßenverkehr mehr Vorrang gewährt werden, lautet eine weitere Forderung im Konzept, etwa bei den Ampelschaltungen oder durch das Einrichten von Busspuren. Wie können bessere Anschlüsse geschaffen werden? Häufig müssen Fahrgäste umsteigen, um im Kreisgebiet mit dem Bus von A nach B zu kommen - ein nerviges Unterfangen. Wie kann die Situation verbessert werden? Die Verantwortlichen setzen auf nutzerfreundliche Verknüpfungen, attraktive Knotenpunkte mit Aufenthaltsqualität. Zum Beispiel Mobilstationen mit Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, dazu vielleicht eine Packstation, ein Geldautomat, eine Milchtankstelle, Toiletten oder sogar ein kleines Geschäft. Jaquet betont: &bdquo;Der Umstieg darf kein Hemmnis sein.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Fahrpläne müssen zuverlässig sein, alle Informationen transparent und gut kommuniziert werden. Fahrgäste müssten mit Echtzeitdaten über Verspätungen, mögliche Anschlüsse oder alternative Routen bei Ausfällen informiert werden, stellt der Experte klar. &bdquo;Wenn die Auskunft ist, dass in drei Minuten ein Bus kommt, muss das auch zwingend der Fall sein.“ Welche Angebote können Menschen auf dem Land nutzen? In die Planung sollen auch ergänzende Angebote wie Bürgerbusse, Taxibusse, Seniorenfahrdienste oder Fahrten auf Abruf (On Demand) einbezogen werden. Dabei müsse das Ehrenamt finanziell unterstützt werden, um die Angebote zu professionalisieren. Solche ergänzenden lokalen Angebote seien vor allem im ländlichen Raum unverzichtbar, um eine gute Nahverkehrsstruktur zu schaffen, sagt der Experte. Im Pilotraum Stemwede könnte dieses Themenfeld getestet und angegangen werden, blickt er voraus. Wie ist die Umsetzung geplant? Den Planern ist Flexibilität bei der Umsetzung wichtig. &bdquo;Das Konzept ist nicht in Stein gemeißelt“, betont Jaquet. Es müsse ein fortlaufender Prozess sein, dem Kreis komme dabei als Koordinator eine wichtige Aufgabe zu. Dessen Amtsleiter Oliver Gubela hofft, dass von den vielen theoretischen Ideen möglichst schnell auch erste Projekte umgesetzt werden, um ein Signal zu senden, dass es konkrete Verbesserungen gebe. Laut Konzept könnte eine erste Schnellbuslinie in eineinhalb Jahren starten, nach zwei Jahren Betrieb soll analysiert werden, wie das Angebot ankommt. Die Planer sprechen sich klar für diesen proaktiven Ansatz aus. &bdquo;Man muss neue attraktive Angebote schaffen - die Akzeptanz wird sich dann einstellen“, ist Jaquet sicher. Welche Kritikpunkte gibt es? In der Veranstaltung wird deutlich, wie wichtig den Menschen eine gute vernetzte Mobilität im Kreisgebiet ist. Und dass es aktuell viele Probleme gibt. Veraltete Fahrpläne an Bahnhöfen, zu schmale Radwege, schlechte Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen, kaum Kenntnis über die bestehenden ÖPNV-Angebote - die Liste ist deutlich länger. Mit Petershagen hat es eine Kommune besonders stark getroffen. Der RE 78 zwischen Nienburg und Minden fährt zurzeit nicht mehr - der Bahnhof Lahde ist abgeschnitten, als Ersatz fahren Busse. Trotzdem werde im Konzept kein dringender Handlungsbedarf für Petershagen festgestellt, kritisiert Thomas Dippert. &bdquo;Das finde ich unmöglich, das geht gar nicht“, sagt Dippert, der Vorstandsmitglied im Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist und für die Grünen im Kreistag sitzt. Die Verantwortlichen stimmen ihm zu. &bdquo;Daran muss man arbeiten und die Situation in Petershagen verbessern“, sagt Achim Overath, Geschäftsführer der Minden-Herforder Verkehrsgesellschaft (MHV). Was ist der größte Knackpunkt? Ein großes Problem bei der Umsetzung der Mobilitätsideen ist bislang noch nicht ausgeräumt: die Finanzierung. Das macht Michael Kasche (CDU), Bürgermeister der Gemeinde Hüllhorst, in der Abschlussdiskussion im Kreishaus unmissverständlich klar. Der ÖPNV habe seit Jahren ein Millionen-Defizit und beim Blick auf die erarbeiteten Pläne frage er sich: &bdquo;Wie teuer wird die ganze Geschichte am Ende? Zurzeit ist das alles aus meiner Sicht nicht finanzierbar.“ Oliver Gubela verweist ebenfalls darauf, dass der Öffentliche Nahverkehr &bdquo;chronisch unterfinanziert“ sei. Es brauche politische Forderungen an Bund und Land, damit sich daran etwas ändere. Kreis und Kommunen müssten eng zusammenarbeiten und eine Strategie entwickeln, wie Projekte trotzdem finanziert werden könnten. Der Handlungsbedarf sei nicht von der Hand zu weisen: &bdquo;Der Druck ist groß.“ Das sei aber auch eine Chance für die Zukunft. Wie geht es nun weiter? Das Thema soll nun in den politischen Gremien der Kommunen und beim Kreis diskutiert werden, sagt der Amtsleiter. Und natürlich konkurriere es dann mit anderen, ebenfalls wichtigen Themen. &bdquo;Am Ende muss die Politik entscheiden, was gemacht werden soll“, sagt Gubela abschließend. Mit Blick auf die überall prekäre finanzielle Lage wird das ein äußerst schwieriges Unterfangen. Allein der Stadt Minden fehlen nach ersten Berechnungen 57,5 Millionen Euro im Haushalt 2024. In ihren Sparvorschlägen macht die Verwaltung vor dem ÖPNV nicht Halt: Eine Ausdünnung des Angebots steht im Raum, kostenintensive Linien sollen auf den Prüfstand, das Projekt Anrufsammeltaxi werde nicht weiter verfolgt. Und dann soll trotzdem der große Wurf beim Nahverkehr gelingen? Gunter Kramer wird die Entwicklung besonders gespannt verfolgen. Auch wenn der 91-Jährige die Skepsis am Ende der Info-Veranstaltung im Kreishaus nicht ablegen kann, hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich beim ÖPNV bald endlich etwas zum Positiven verändert.

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