Eigentümer wurde enteignet

Nazi-Zeit: Enthüllungsbuch zu Lübbecker Zigarrenfabrik Blase erschienen

Hella und Sandra Rottenberg aus Amsterdam auf Spurensuche: Die Firma Blase profitierte einst von der „Arisierung“ der Zigarrenwerke ihres jüdischen Großvaters.

Die Zigarrenstube im Heimathaus Gehlenbeck wird zurzeit zu einem kleinen Museum umgestaltet. Zu Gast waren jetzt Sandra Rottenberg (1.v. l.), Hella Rottenberg (Mitte) und Christiane Munsberg (2. v. l.), die auf den Spuren der August Blase AG sind. Monika Lammermann (r.) und Volker Knickmeyer zeigten und erklärten viele Dinge rund um die alte Zigarrenfabrik und die Fertigung. Hingewiesen wurde auch auf die Rolle der Gewerkschaften sowie Gehlenbecks „Ehrenbürger Günter Döding“, der lange Zeit Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), war. | © Heimatverein Gehlenbeck

25.09.2025 | 25.09.2025, 12:00

Lübbecke. Viele Lübbecker können sich noch an die alte Zigarrenfabrik Blase erinnern, deren letzten Mauern 1990 abgerissen wurden und von der es heutzutage nur noch die prachtvolle Grabstätte sowie den Namen „Blase Kreuzung“ an der B239 gibt. Viele Dinge rund um die Fabrik, die Produkte und die Familie Blase sind im Internet gut dokumentiert. Der in Lübbecke aufgewachsene Journalist Volker Knickmeyer, dessen Großvater Wilhelm Detert bei Blase Meister war, hat auf verschiedenste Weise seit 2021 die wechselvolle Geschichte des 1863 gegründeten Zigarrengiganten rekonstruiert und der Öffentlichkeit nähergebracht.

Eine unbeleuchtete Zeit war bislang die Zeit von 1933 bis 1945. Jetzt gibt es dazu ein Enthüllungsbuch im renommierten Dietz-Verlag mit dem Titel „Isay Rottenbergs Zigarrenfabrik“ – Wie ein niederländisch-jüdischer Unternehmer in Sachsen den Nazis die Stirn bot. Die beiden Autorinnen waren jetzt im Heimathaus Gehlenbeck zu Gast.

„Dem Stadtarchiv und einigen Privatleuten liegen eine Jubiläumsbroschüre zum 75. Jubiläum sowie ein paar Stummfilme vor, mehr praktisch nicht“, sagt Blase-Spezialist Volker Knickmeyer. Doch ein Anruf der ehemaligen Bertelsmann-Managerin Christiane Munsberg aus Berlin sollte im Mai einige Überraschungen bringen: Munsberg erzählte von einem neuen Buch mit einer fast unglaublichen Geschichte, die erst im Jahr 2015 ans Licht kam und an deren Ende die Lübbecker Blase AG steht.

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Eine fast unglaubliche Geschichte

Die Blase-Jubiläumsbroschüre von 1938 aus dem Heimathaus Gehlenbeck und das frisch erschienene Buch über den Coup, der Blase die Marktführerschaft ermöglichte. - © privat
Die Blase-Jubiläumsbroschüre von 1938 aus dem Heimathaus Gehlenbeck und das frisch erschienene Buch über den Coup, der Blase die Marktführerschaft ermöglichte. | © privat

Demnach hatten die niederländischen Journalistinnen Hella und Sandra Rottenberg aus Amsterdam von einem letzten Aufruf an die Nachkommen jüdischer Zwangsenteignungen gelesen. Sie meldeten sich bei der zuständigen Stelle, denn sie hatten im Kopf, dass ihr Großvater vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland geschäftlich tätig war. Sie hatten keine Vorstellung, was es genau war, und die Familie hatte auch nie Details von der Fabrik ihres Großvaters erzählt, die etwas mit Zigarren zu tun hatte.

Die beiden begeben sich auf eine hartnäckige und intensive Suche und stoßen in deutschen Archiven schließlich auf einen Schatz von Dokumenten, die aufdecken, wie ihr Großvater, der niederländisch-jüdische Unternehmer Isay Rottenberg, furchtlos dafür kämpfte, sein Unternehmen in Nazi-Deutschland zu halten. Eine fesselnde, außergewöhnliche Familiengeschichte und ein neues Gesicht des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. „Ein enorm spannendes Buch!“, findet Volker Knickmeyer.

Der jüdische Unternehmer aus Amsterdam übernahm 1932 eine bankrotte Zigarrenfabrik in Döbeln (Sachsen), modernisierte sie und führte sie als „Deutsche Zigarrenwerke“ erfolgreich weiter. Es war die modernste Zigarrenfabrik Deutschlands, weitgehend vollautomatisiert. 1938 wurde Rottenberg von den Nazis verhaftet; er kam frei und floh über Amsterdam mit seiner Familie in die Schweiz.

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Konkurrenz mit Tradition – Der Zigarrenkampf in Ostwestfalen

Die Fabrik aber wurde von der Deutschen Bank enteignet und 1937 an die August Blase AG verkauft. Damit besaß Blase die einzige Zigarrenfabrik, die nicht dem NS-Maschinenverbot unterlag. Überall sonst mussten Zigarren per Handarbeit hergestellt werden. In Döbeln aber war die Produktion so hochautomatisiert, dass 630 von 700 Beschäftigten arbeitslos geworden wären. „Das wollten selbst die Nazis nicht“, erläuterte Heimatforscher Volker Knickmeyer.

400.000 Mark bezahlte Blase für die „arisierten“ Deutschen Zigarrenwerke, der Kauf markierte den Wendepunkt in der Geschichte der westfälischen Zigarrenindustrie. Mit rund 700 neuen Arbeitskräften wuchs die Belegschaft auf weit über 6.000 Personen. Der Zugriff auf eine hochautomatisierte Fertigung verschaffte Blase einen erheblichen technologischen Vorsprung und eine strategische Aufwertung im nationalen Markt. Für das Werk in Döbeln galt nämlich nicht das von den Nazis verhängte „Maschinenverbot“, welches praktisch bis 1957 zum Schutz der manuellen Arbeit überdauerte.

In der Blase-Jubiläumsschrift wird der „Kauf“ des Döbelner Unternehmens neutral am Rande erwähnt, man war streng auf NSDAP-Linie.

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Zwei Niederländerinnen zu Gast in Gehlenbeck

„Es ist erstaunlich, wie anschaulich und lebendig dort die Vergangenheit bewahrt wird“, sagte Sandra Rottenberg beim Besuch im Heimathaus Gehlenbeck. Gemeinsam mit ihrer Cousine Hella war sie am Vortag der Buchpremiere in Osnabrück nach Lübbecke gekommen – auf den Spuren ihres jüdischen Großvaters Isay Rottenberg. „Wir hatten keine Vorstellung davon, wie die Menschen hier in den Zwanziger- und Dreißigerjahren lebten. Die Villen der Familie Blase machen sichtbar, welchen Wohlstand und welche Bedeutung die Zigarrenhersteller damals hatten“, sagte Hella Rottenberg.

„Die Tabakstube im Heimathaus hat uns besonders beeindruckt. Es ist erstaunlich, wie anschaulich und lebendig dort die Vergangenheit bewahrt wird“, ergänzte Sandra Rottenberg und dankte Monika Lammermann vom Heimatverein für die Führung rund um Blase und die Tabakverarbeitung.

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