Das dunkle Erbe des NS-Terrors in Minden-Lübbecke

Lübbecker Land. Es sind unscheinbare Anlagen. Die eine ist auf einem freien Feld zwischen Lahde und Bierde zu finden. An der Straße steht sogar ein Hinweisschild zu dieser Gedenkstätte. Ein Kreuz mit Bronzerelief erinnert an 292 Menschen, die von den Nazis im Arbeitserziehungslager Lahde ermordet wurden. Der Gedenkstein an dem Ort, an dem das Arbeitslager Lahde stand, war dagegen lange nicht ausgeschildert. Das hat sich mittlerweile geändert. Unscheinbar ist der Stein, aufgestellt zwischen Firmenzufahrten in einem Gewerbegebiet nahe dem Kraftwerk. Außer dem Stein erinnerte viele Jahre nichts daran, dass die Nazis im Arbeitslager Menschen quälten. Mittlerweile können sich Interessierte anhand einer Stele und Info-Tafel über das Lager in Lahde informieren. Unter den gut 700 Menschen, die diese Tortur nicht überstanden, war auch der Lübbecker Sozialdemokrat Karl Haddewig. Er wurde 1944 ermordet. Sechs Jahrzehnte brauchte die Stadt Lübbecke, um eine Straße nach Haddewig zu benennen. Das Arbeitslager in Lahde gehört zum dunklen Erbe des NS-Terrors in der Region. Vielen Menschen ist dieses Lager heute nicht mehr bekannt. Zwangsarbeiter gab es in der Heeresmunitionsanstalt Lübbecke – so wurde die Rüstungsanlage im Mittwald offiziell genannt. Aus der Muna entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Gemeinwesen, das vielen Flüchtlingen und Vertriebenen aus den früheren deutschen Ostgebieten zur Heimat wurde. Traditionsreiches Hotel Kaiserhof war KZ-Außenstelle Intensive Dokumentationen zur Zwangsarbeit in der Muna Espelkamp gibt es nicht – anders als bei den Zwangsarbeitern, die in Espelkamps bayerischer Schwesterstadt Waldkraiburg und den dortigen Rüstungsanlagen schuften mussten. Im Landkreis Mühldorf am Inn sind teilweise sogar die Schicksale von Zwangsarbeitern dokumentiert, die auf den Todesmärschen kurz vor Kriegsende erschossen wurden. Das Schicksal der Zwangsarbeiter dokumentieren, die Erinnerung an ihre Schicksale wachhalten – diesem Ziel haben sich auch Ehrenamtliche verschrieben, die sich um zwei frühere große Rüstungsanlagen in der Region kümmern. Denn nicht nur die Muna Espelkamp mit ihrer betriebsbereiten Füllanlage für chemische Kampfstoffe zählte zu den wichtigen Rüstungsanlagen, sondern auch die Unter-Tage-Anlagen an der Porta und die Pulverfabrik in Liebenau an der Weser. Lesen Sie auch: Pulverfabrik Liebenau: Wald-Idyll mit mörderischer Geschichte In Porta Westfalica kümmert sich der Verein &bdquo;KZ-Gedenkstätte und Dokumentationszentrum Porta Westfalica“ darum, eine verlässlich geöffnete Gedenkstätte in den unterirdischen Stollen des Jakobsberges am Ostufer der Weser zu schaffen. Das auf dem anderen Weserufer liegende frühere traditionsreiche Hotel Kaiserhof war in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges eine Außenstelle des KZ Neuengamme – Menschen waren unter grausamsten Umständen hier eingepfercht. Sie mussten auch unter widrigsten Bedingungen in den Rüstungsanlagen arbeiten, die zum Schutz gegen alliierte Luftangriffe in die Stollen verlegt worden waren. Und die Stollen wurden massiv ausgebaut. Seit Frühjahr 1944 schufteten mehr als 3.300 KZ-Häftlinge aus vielen Ländern Europas in den Unter-Tage-Verlagerungen an der Porta. Mehrere 100 Menschen überlebten diese Hölle nicht. &bdquo;4.800 Kilokalorien bräuchte der Körper täglich bei schwerer Arbeit. 3.600 gestand die SS zu – auf dem Papier“, hatte Gästeführer Thorsten Fischer vom Portaner Verein einmal nachgerechnet. Tatsächlich gab es gerade mal 1.200 Kilokalorien, meist in Form von Kohl- und Gemüsesuppe, kaum Fleisch und Eiweiß. Die Folge war Auszehrung. Pulverfabrik mit eigenem Weserhafen und Bahn nach Rahden Die U-Anlage &bdquo;Dachs 1“ war eines von zehn im Reich geplanten Hydrierwerken, um die Kriegswirtschaft mit Schmierstoffen versorgen zu können. Sie entstand auch in Stollen, die seit dem 19. Jahrhundert durch den unterirdischen Abbau von Porta-Sandstein geschaffen worden waren. Im Mai 1945 hätte der Betrieb aufgenommen werden sollen. In der benachbarten Anlage &bdquo;Stör 1“ wurden Teile für die Raketen- und die Flugzeugfertigung hergestellt – auf acht Ebenen im Berg. Zu den größten Rüstungsanlagen der Nazis gehörte im damaligen Deutschen Reich die Pulverfabrik in Liebenau. Sie hatte einen eigenen Weserhafen mit Bahnanschluss und war über einen weiteren Bahnanschluss an die Strecke Rahden-Nienburg angebunden. Auch hier mussten Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen schuften – und die Arbeit war wegen der Chemikalien und Sprengstoffe lebensgefährlich. Es war Teil der von den Hitler-Faschisten systematisch geplanten Vernichtung von Menschen durch Arbeit. Rund 2.000 Menschen überlebten das nicht, haben die Ehrenamtler des Vereins &bdquo;Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau“ herausgefunden. Im November 2023 wurde die Gedenk- und Bildungsstätte Liebenau direkt auf dem Gelände des ehemaligen &bdquo;Arbeitserziehungslagers“ eröffnet. Die Dauerausstellung &bdquo;Zwangsarbeit für den Krieg. Die Pulverfabrik Liebenau 1939-1945“ informiert interessierte Besucherinnen und Besucher über das Schicksal der Fremd- und Zwangsarbeiter, die in der Pulverproduktion eingesetzt wurden. Aufgezeigt wird, dass die scheinbare Wald-Idylle hinter dem Zaun den Tod für viele Menschen bedeutete. In Liebenau/Steyerberg wird auch daran erinnert, dass an der Stelle der jetzigen Schule 1940 eines der reichsweit ersten Arbeitserziehungslager der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) eingerichtet wurde – in diesen Lagern herrschte unvorstellbare Brutalität gegenüber den Gefangenen. Die ab 1938 geplante und realisierte Pulverfabrik umfasste ein Gesamtgebiet von knapp 14 Quadratkilometern. Es gab mehr als 400 Gebäude in der sogenannten &bdquo;Anlage Karl“, etwa ein Viertel von ihnen unterirdisch. Es gab rund 80 Kilometer Straßen und 40 Kilometer Gleise. Zwei große Kraftwerke versorgten die Pulverfabrik mit Energie. Teile der Anlage waren so konstruiert, dass die Laufwege zwischen Gebäuden betoniert waren – um im Fall von Explosionen die Druckwellen ableiten zu können. Spuren der &bdquo;Anlage Karl“ führen auch zu Max Ilgner Manche Gebäude waren wie Fachwerkhäuser konstruiert – nur dass es einen Rahmen aus Stahlbeton statt aus Holz gab. Bei einer Explosion wurde die Zerstörung des Gebäude-Inneren und das Heraussprengen der aus Ziegelstein gemauerten Gefache in Kauf genommen – der Tod der Arbeiter sowieso. Die Kernsubstanz des Gebäudes aber sollte erhalten werden und einen schnellen Wiederaufbau ermöglichen. Auf den Flachdächern der Gebäude wurden Bäume gepflanzt, um die Anlage gegen Luftangriffe zu tarnen. Bauherr der &bdquo;Anlage Karl“ war ab 1938 das Oberkommando des Heeres (OKH). Errichtet wurde die Anlage von der im Rüstungsgeschäft erfahrenen Firma Wolff & Co. aus Walsrode. Bei Wolff & Co. war ab 1926 die IG Farben mit einem beträchtlichen Anteil beteiligt – und während des Krieges war Max Ilgner ein wichtiger Mann in der Leitung des Chemiekonzerns IG Farben. Max Ilgner taucht auch in den so genannten OMGUS-Berichten auf. OMGUS, das ist die US-Militärregierung für Deutschland (Military Govenment für Germany, United States. Die OMGUS-Finanzabteilung ermittelte gegen die IG Farben – und dabei stieß sie auf Max Ilgner. Jener Max Ilgner, der von der amerikanischen Besatzungsbehörde 1945 wegen Raub und Plünderung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde und ab 1948 für die evangelische Kirche in der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt das heutige Espelkamp mit aufbaute. Und in Espelkamp bis heute Namensgeber einer Straße ist. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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