Besetzung der Muna Espelkamp jährt sich zum 80. Mal

Espelkamp. Tausend Jahre sollte es währen, das sogenannte Dritte Reich. So tönten die Nazis, nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war. Mit Beginn der NS-Diktatur setzte nicht nur die Verfolgung von politisch Andersdenkenden und Menschen jüdischen Glaubens im damaligen Deutschen Reich ein, die letztlich im Holocaust endete. Mit Beginn der Nazi-Herrschaft setzte auch eine massive Aufrüstung ein. Die betraf stark auch die Region. In den damaligen Landkreisen Lübbecke und Minden entstanden Rüstungsanlagen, ebenso im angrenzenden damaligen Landkreis Stolzenau. An der Porta Westfalica etwa gab es während des Krieges Verlagerungen unter Tage in den Gebirgszug östlich des Weserdurchbruchs. In Steyerberg entstand mit der &bdquo;Anlage Karl“ genannten Pulverfabrik eine der größten Rüstungsanlagen des Reiches. Im Landkreis Lübbecke begann die Wehrmacht 1938 mit dem Bau der Heeresmunitionsanstalt Lübbecke. Die entstand aber nicht in der damaligen Kreisstadt, sondern einige Kilometer weiter nördlich inmitten eines Waldgebietes in der Landgemeinde Espelkamp. Damals ahnte wohl niemand, dass eines Tages aus dieser Fabrik des Todes eine Heimstatt für Flüchtlinge und Vertriebene werden sollte. Im vergangenen Jahr feierte Espelkamp sein 75. Jubiläum. Und auch in diesem Jahr gibt es einen besonderen Jahrestag: Am 4. April jährt sich die Befreiung des damaligen Landkreises Lübbecke zum 80. Mal. Am 4. April besetzten britische Streitkräfte auch die Muna Espelkamp. Professor Preuß widerlegte offizielle Darstellungen Es war der 4. April 1945. Am Mittwoch nach Ostern befreiten die Alliierten das Lübbecker Land. Levern brannte, weil die Nazi-Funktionäre die Verteidigung befohlen hatten. Kaum ausgebildete und miserabel bewaffnete deutsche Soldaten, viele keine 18 Jahre alt, sollten eine britische Panzereinheit aufhalten. Lübbecke wurde wenige Stunden später als offene Stadt kampflos besetzt, die Nazi-Funktionäre wie Kreisleiter Ernst Meiring waren untergetaucht. Am 4. April besetzten die Briten auch die Muna Espelkamp. Über Jahrzehnte galt als offizielle Version der Geschichte der Stadt, dass Espelkamp eine von vielen Dutzend Munitionsanstalten im damaligen Deutschen Reich war. Die Füllanlage für chemische Kampfstoffe im Süden der Anlage, so wurde es lange behauptet, sei nie fertiggestellt worden. Diese Thesen hatte der Mainzer Professor Johannes Preuß durch seine Untersuchungen in Teilen widerlegt. Demnach war Espelkamp nicht etwa eine von dutzenden &bdquo;normaler“ Munas im Deutschen Reich, sondern eine von wenigen Kampfstoff-Munas. Anders als lange behauptet, war auch die Füllanlage für chemische Kampfstoffe betriebsbereit. Deshalb war Espelkamp ein vorrangiges Ziel für die Alliierten. Hier fanden sie hochgefährliche Kampfstoffe wie Lost und Tabun. Johannes Preuß und Frank Eitelberg untersuchten viele Punkte in Espelkamp. Sie fanden viele Relikte aus Muna-Zeiten. Aber sie fanden keinen Hinweis darauf, dass die Füllanlage in Betrieb war. Bunker und Füllanlage wurden in Espelkamp gesprengt. Ganz friedlich erfolgte die Besetzung der Muna Espelkamp am 4. April 1945 übrigens nicht. Aufzeichnungen, die Soldaten des britischen 4. Shropshire Light Infantry Regiments in ihr Kriegstagebuch eintrugen, weisen darauf hin. Die Soldaten berichten darin ausführlich über ihren Vormarsch aus Richtung Osnabrück und schildern die Kämpfe an der Koordinate 4920. Die Koordinate 4920 ist Levern. Im Kriegstagebuch der 21. britischen Army Group schreibt Major J. W. Poston als Vertrauter des britischen Oberkommandierenden, Feldmarschall Bernhard Montgomery, über die Besetzung der Koordinate 6021, also der Muna. In der &bdquo;wooden area 6021“, also dem waldreichen Gebiet der Muna, seien 250 Soldaten gefangen genommen worden. Ausdrücklich verweist Poston darauf, dass die Deutschen &bdquo;well armed“ gewesen seien, also gut bewaffnet. Das war bei vielen deutschen Einheiten kurz vor Ende des Krieges mitnichten der Fall – und den Briten war dieser Vermerk offenbar wichtig. Die Alliierten wollten Deutschland demilitarisieren. In der Muna Espelkamp etwa wurden Bunker und auch die Füllanlage gesprengt. Der schwedische Pfarrer Birger Forell, er wurde letztlich einer der Geburtshelfer und Freunde der heutigen Stadt Espelkamp, überzeugte die Briten letztlich, die Sprengungen einzustellen. Stattdessen kamen Flüchtlinge und Vertriebene aus den bislang deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße, die ab Mai 1945 unter polnische und sowjetische Verwaltung kamen. Lobende Worte des Bundespräsidenten für das Gemeinwesen Die wachsende Siedlung im Mittwald gehörte zum damaligen Amt Rahden. Die Amtsverwaltung Rahden richtete 1949 in Mittwald eine Außenstelle ein. 1959 wurde Espelkamp die Bezeichnung &bdquo;Stadt“ verliehen. Zum 1. Januar 1966 erfolgte die &bdquo;Ausamtung“. Espelkamp verließ das Amt Rahden und wurde eigenständig. Eine lebendige, moderne Stadt sei in den vergangenen 75 Jahren entstanden, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch im März 2024 Espelkamp gewürdigt. Steinmeier bezeichnete das als ein &bdquo;verdichtetes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte“, das in seiner Art des Zusammenwachsens wohl einmalig in ganz Deutschland sei. Die Flucht der Menschen sei ein Weg ins Ungewisse gewesen – das machte übrigens auch eine Ausstellung des Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven deutlich, die sich mit der Entwicklung Espelkamps befasste und auch Zeitzeugen zu Wort kommen ließ. Auch Steinmeier hatte daran erinnert, dass es vielen Menschen nach dem Krieg zunächst schwerfiel, Hoffnung zu finden. Die Gründung des evangelischen Hilfswerkes mit den Alliierten und der neuen Selbstverwaltung sei ein &bdquo;beispielloses Projekt“ gewesen. Espelkamp wurde, so würdigte es Frank-Walter Steinmeier, zu einem Symbol der Hoffnung. Später kamen Gastarbeiter aus verschiedenen Ländern und Bürgerkriegsflüchtlinge und zuletzt auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hinzu, die diese Tradition fortsetzten. Dass die Muna, die Fabrik des Todes, von den Briten besetzt wurde, ist nun fast 80 Jahre her. Es war eine Art &bdquo;Stunde null“ im damaligen Landkreis Lübbecke. An das Ende des Zweiten Weltkriegs dürfte in diesem Jahr vielerorts erinnert werden. Dass sich in der Folge ein lebendiges Gemeinwesen im Lübbecker Land entwickelte, eine neue Stadt, das war am 4. April 1945 wohl nicht absehbar. Wer heute durch das Espelkamper Zentrum geht, der findet Hinweise auf jene Zeit – und seien es historische Fotos, die an Trafokästen angebracht sind. Manche historischen Gebäude stehen noch. Und das, was Menschen in all den Jahrzehnten gemeinsam im Mittwald aufgebaut haben, das kündet auch im 80. Jahr nach dem Kriegsende vom Aufbauwillen der Menschen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

Meistgelesen