Drei Jahrzehnte Freundschaft zwischen Lübbecker Ärzten - dank des Mauerfalls

Lübbecke/Quedlinburg. Wenn an diesem 3. Oktober in ihrem Haus im Wiehengebirge das Telefon klingelt, ahnen Jürgen und Heide Weitkamp schon, wer sie sprechen möchte. Denn seit mehr als drei Jahrzehnten gehört ein Anruf aus dem Harz zu ihrem festen Tagesprogramm an diesem geschichtlichen Datum. Und auch worum es gehen wird in dem Gespräch wissen die beiden Senioren bereits. &bdquo;Für mich war der Fall der Mauer, die Wende, etwas Großartiges. Wir konnten jetzt frei reisen, denken und reden. Darüber freuen wir uns immer wieder und sind dankbar für das, was sich entwickelt hat. Das ist unser Thema an diesem Tag“, sagt Hans-Gerhard Jahn. In dem kleinen Harz-Ort Thale, unweit der deutsch-deutschen Grenze mit den Selbstschussanlagen, Gräben und Wachtürmen, betrieb der Veterinär einst eine Großtierpraxis. Die Hoffnung auf eine Veränderung habe er längst aufgegeben, als der Staat kollabierte. Immer wieder mal fahre er ins einstige Sperrgebiet, staunend, &bdquo;was es einmal hier gegeben hat“. Und an jedem 3. Oktober &bdquo;diesem ganz besonderen Tag“, über seine Erfahrungen und Emotionen mit dem Ehepaar Weitkamp zu reden, sich zu begeistern über die Wiedervereinigung und gemeinsame Erinnerungen zu teilen aus der Nachwende-Zeit, das sei für alle eine &bdquo;wirkliche Herzenssache“. Erster Rotary-Club in Sachsen-Anhalt Verabredet haben der Tiermediziner im Osten und der Allgemein- und Zahnmediziner im Westen ihre Telefonate am Tag der Einheit schon vor langer Zeit und halten daran fest bis heute. &bdquo;Dieser Termin ist festgeschrieben“, so Hans-Gerhard Jahn. Kennen- und schätzengelernt haben sich die Mediziner eher zufällig. Jürgen Weitkamp, Mitglied bei den Lübbecker Rotariern, erinnerte sich an den Namen eines Corpsbruders aus seiner Studentenverbindung, als der Rotary-Club bei einem Meeting Anfang 1990 beschloss, sich nach dem Ende der DDR im Osten zu engagieren, aktiv zu werden und dafür nach geeigneten Kontaktpersonen suchte. Gefunden wurde ein pensionierter Chefarzt in Quedlinburg. Eine Rotarier-Delegation machte sich bald danach von Lübbecke auf in die spätere Welterbestadt, bot vor Ort potenziellen Existenzgründern und anderen Rat und Hilfe an, vermittelte Praktika und Kontakte, besorgte Geräte und Instrumente – und brachte auch den ersten Rotary-Club in Sachsen-Anhalt auf den Weg. Offizieller Gründungsbeauftragter wurde Jürgen Weitkamp. Zusammen mit seiner Frau besucht er seit Jahrzehnten regelmäßig die Stadt, pflegt die Bekanntschaft mit Partnern und Freunden in Politik und Gesellschaft, fördert und unterstützt ideell und materiell zahlreiche kulturelle Projekte und Initiativen in der Stadt. Er habe, so betont Jürgen Weitkamp stets, immer an die Wiedervereinigung geglaubt: &bdquo;Sie ist ein großes Glück für Deutschland. Die Freude daran lass ich mir nicht nehmen. Sie ist eine Bereicherung meines Lebens, die ich nicht missen möchte.“ Großes Projekt vor der Vollendung Besonders eng wurde die Verbindung zwischen Jürgen Weitkamp (86) und dem mittlerweile 79-jährigen Hans-Gerhard Jahn (&bdquo;Jürgen Weitkamp war ein Leuchtturm, der uns Mut gemacht hat“). Ihn haben die Lübbecker Rotarier 2021 zu ihrem Ehrenmitglied ernannt, Jürgen Weitkamp verlieh die Stadt Quedlinburg 2014 für seine Verdienste und sein Engagement die Ehrenbürgerwürde. Ein ganz großes Projekt, zu dem Weitkamp den Anstoß gab und das beiden am Herzen liegt, nähert sich in Quedlinburg langsam der Vollendung. Zu seinem 80. Geburtstag hatte Weitkamp um Spenden für den Bau eines Einheitsdenkmals gebeten. So kam ein fünfstelliger Betrag zusammen und wurde Grundstock für das ambitionierte Kunstprojekt. Erste Pläne für das Vorhaben gehen zurück auf die 1990er Jahre. 2016 wurden gestalterische Ideen des Bildhauers Wolfgang Dreysse (77) der Öffentlichkeit vorgestellt. In der ostwestfälisch-niedersächsischen Region ist der Künstler und ehemalige Hochschullehrer bekannt geworden mit seiner 2001 geschaffenen Skulptur des Heiligen Martin von Tours am Westportal der Mindener St.-Martini-Kirche; in Hameln wurde 1992 seine Säulenskulptur &bdquo;Öffnung“ aufgestellt, als steinernes Dokument der Ereignisse von 1989/90. Spender aus dem Mühlenkreis Für das Denkmal &bdquo;Brunnen friedliche Revolution 1989 – 1990 Deutsche Einheit“ in Quedlinburg hat das Land Sachsen-Anhalt inzwischen finanzielle Förderung zugesichert. Maßgeblich mitfinanziert wird das Projekt nicht zuletzt durch Spender aus dem Mühlenkreis, darunter das Unternehmer-Paar Dietmar und Margrit Harting aus Espelkamp. An zentraler Stelle in Quedlinburg, wo 1989 die Montagsdemonstrationen endeten und die Teilnehmer ihre Fackeln niederlegten, soll – unter offizieller Schirmherrschaft der Stadt – bis 2026 der Memorialort entstehen. Im Zentrum der Anlage ein gut vier Meter hoher Brunnen – ein stehendes, berstendes Fass, aus dem Menschen klettern und Wasser strömt –, der die explosive Stimmung der Wendezeit symbolisieren soll. Es wäre bei rechtzeitiger Fertigstellung voraussichtlich eines der ersten Denkmale zur Erinnerung an die friedliche Revolution in den neuen Bundesländern – auch aufgrund großzügiger privater Zuwendungen aus dem Minden-Lübbecker Land.

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