Bad Oeynhausener Kurpark-Totschlag: In der entscheidenden Phase sei im Video nur der Syrer zu sehen

Bielefeld/Bad Oeynhausen. Angespannt. Das beschreibt wohl die Gefühlslage der Hinterbliebenen von Philipos - zumindest vor der Urteilsverkündung. Danach war ihnen die Erleichterung anzumerken, sogar ein kleines Lächeln zeigte sich auf den Gesichtern von Mutter und Vater. &bdquo;Ich bin zufrieden mit diesem Urteil“, betonte Joanna Steinmann-Glogowski, die Mutter des getöteten Philipos Tsanis. Auch wenn das ihren Sohn nicht zurückbringe. &bdquo;Aber der Täter muss büßen für das, was er uns angetan hat“, betonte auch Vater Dimitris Tsanis. Für die Familie gebe es nun endlich die Zeit der Trauer. Die IV. Große Strafkammer des Landgerichtes Bielefeld hatte nach 17 Verhandlungstagen am Freitagmittag das Urteil im Kurpark-Totschlag verkündet. Der 19-jährige Syrer Mwafak al S. wurde wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und räuberischen Diebstahls zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt. Mit einer vorzeitigen Haftentlassung kann er laut Richter Carsten Glashörster nicht rechnen, da er sich im Verfahren nicht geständig gezeigt und keine Nachfragen zugelassen habe. Verteidiger Burkhard Benecken kündigte noch auf dem Gerichtsflur die Revision an. Das Gericht habe sich dem öffentlichen Druck gebeugt, so sein Vorwurf. Die Familie von Vater Dimitris Tsanis kam in Erinnerungsshirts zum Prozess. &bdquo;Philipos Tsanis unvergessen“ zierte die Vorderseite der schwarzen Hemden, die an das Opfer der Kurpark-Schlägerei erinnern sollten. Mutter Joanna Steinmann-Glogowski hatte am Morgen der Urteilsverkündung noch ihre Gefühle öffentlich gemacht, indem sie ihren aktuellen Tagebucheintrag an verschiedene Medien schickte. &bdquo;Für mich bedeutet das Urteil ein Ende dieser Nacht. Ein Ende des unendlichen Stechens in der Wunde. Es bedeutet, endlich die Schmerzsalbe darauf zu schmieren, einen Verband darüber zu wickeln und die Wunde ausheilen zu lassen.“ Steinmann-Glogowski hat alle 17 Verhandlungstage verfolgt, hat den Angeklagten und die Zeugen häufig auch persönlich angesprochen, sich ein Bild gemacht. &bdquo;Er war es“, war sie bereits vor der Urteilsverkündung überzeugt. Die Beweise seien eindeutig. &bdquo;Sie hatten keinen leichten Start ins Leben“ Auch das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Mwafak al S. den 20-jährigen Philipos Tsanis am 23. Juni 2024 auf den Bad Oeynhausener Kurhausterrassen nach einer verbalen Auseinandersetzung attackiert, auf dessen Kopf eingeschlagen und eingetreten haben. Der Mindener erlitt so schwere Kopfverletzungen, dass er zwei Tage später im Mindener Klinikum verstarb. Bereits kurz danach vermeldete die Bielefelder Mordkommission Palais eine Festnahme. Der verdächtige junge Mann war erst wenige Monate vorher in die Kurstadt gezogen und 2016 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen. In Syrien geboren, flüchtete er 2012 mit seinen Eltern nach Jordanien. Vier Jahre später folgten die Mutter und die vier Kinder dem Vater nach Baden-Württemberg. Ein Umstand, den das Gericht zugrunde legte, Jugendstrafrecht anzuwenden. Der 19-Jährige sei aufgrund einer Reifeverzögerung, der Flucht und den vielen Umbrüchen in seinem Leben nicht mit einem Erwachsenen gleichzusetzen. &bdquo;Sie hatten keinen leichten Start ins Leben“, attestierte der Richter dem Angeklagten. Aus Sicht des Gerichtes lief der Abend des 22. Juni wie folgt ab: Familie Tsanis habe den Abiball der Tochter im Kaiserpalais gefeiert und sei in Hochstimmung gewesen. Parallel dazu seien zwei Gruppen - einmal die Clique um den Syrer und einmal die Gruppe um den Zeugen aus Magdeburg - unabhängig voneinander in Kurpark und Innenstadt unterwegs gewesen. Am Boxautomaten der Innenstadtfete trafen sie aufeinander und hatten mit einer 17-jährigen Bad Oeynhausenerin ein Bindeglied zwischen den beiden Gruppen. Man entschied, gemeinsam im Kurpark weiterzutrinken. Lesen Sie auch: Urteil im Philipos-Prozess: Angeklagter zu neun Jahren Haft verurteilt Dort hatten es sich auf den Bänken zu später Stunde auch Philipos und seine beiden Freunde gemütlich gemacht, die unter anderem quatschen und Kokain konsumieren wollten. &bdquo;Sie haben das Koks auf dem leuchtenden Display gesehen und hatten Interesse daran. Sie haben selber zugegeben, Lust auf einen Rausch gehabt zu haben“, so Richter Glashörster. Die Ablehnung von Philipos und Co habe ihn aggressiv werden lassen. &bdquo;Sie ließen sich aber nicht abschrecken und es kam zu den ersten Tätlichkeiten.“ Philipos habe versucht, sich rückwärts zu entfernen, Mwafak al S. habe Schläge und Tritte ausgeführt. &bdquo;Philipos stürzte - allerdings können wir nicht sicher sagen, ob er gestolpert ist oder ein Tritt von Ihnen ihn zu Fall gebracht hat.“ Danach habe al S. Philipos noch ins Gesicht getreten und mehrfach auf den Körper geschlagen. &bdquo;Sie haben seinen Tod billigend in Kauf genommen.“ Zeuge und Video als belastende Beweise Das Gericht sieht mehrere wesentliche Beweismittel. &bdquo;Das maßgebliche Video“, so Glashörster, &bdquo;zeigt einen Tritt mit einem ausgestreckten Bein, den auch der Zeuge beschrieben hat.“ Danach sehe man im Video ein Straucheln von Philipos. Und wie dieser am Boden liege. Im Video sei in der entscheidenden Phase nur Mwafak al S. bei Philipos zu sehen. Glashörster: &bdquo;Die Kammer hat keinen Zweifel an der Täterschaft.“ Auch weil der Hauptbelastungszeuge aus Magdeburg - der selber mehrere Rollen im Verfahren eingenommen hat, vom Zeugen bis zum Mitangeklagten - in jeder dieser Rollen im Kern kostant bei seiner Darstellung geblieben sei. Er habe sich zudem freiwillig bei der Polizei gemeldet und sich selbst belastet. &bdquo;Er hat die Tat so geschildert, wie sie erst viel später auf dem Video auch zu sehen war“, so Glashörster. Die Chatverläufe und Googlesuchen (nach Mord und Totschlag, Hirntod oder Einnässen nach Hirntod) des Madgeburgers seien nachvollziehbar, weil er beim Geschehen dabei gewesen sei. Die Hauptthese der Verteidigung, die Zeugen hätten sich abgesprochen, um die Schuld &bdquo;auf den Araber“ zu schieben, wie es in einem Chatverlauf stehen soll, wischte der Richter vom Tisch: &bdquo;Ein solches Komplott ist nicht so einfach durchzuhalten und es erfordert eine gewisse intellektuelle Fähigkeit.“ Auch sei kein Motiv bei den Zeugen ersichtlich. Wutreaktion des Syrers Die ersten beiden Schläge gegen Philipos und seinen Freund, der als Nebenkläger auftrat, wertete das Gericht als vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen. Der versuchte Totschlag beziehe sich auf die Schläge und Tritte, als Philipos am Boden lag, das sei eine das Leben gefährdende Behandlung gewesen. Der am Boden liegende und aus Nase und Ohr blutende Philipos sei mit einer solchen Wucht getreten worden, dass es einen zweiten Schädelbruch zur Folge hatte. &bdquo;Da war der Tötungsvorsatz da.“ Das Mordmotiv schloss das Gericht aber aus, da es Mwafak al S.’s Tat als Wutreaktion wertete. Wut über die Ablehnung, Kokain zu bekommen. Nach der Rückkehr zur Gruppe komme dann noch die gefährliche Körperverletzung gegenüber dem zweiten Opfer hinzu. Sowie der Diebstahl von Philipos’ Tasche. Mit dem Urteil folgte das Landgericht vom Strafmaß her Staatsanwalt Christoph Mackel. Der allerdings hatte auf versuchten Mord plädiert. Die Verteidiger Burkhard Benecken und Baris Devletli setzten in ihren Plädoyers dagegen auf einen Freispruch in der Totschlagsanklage. Sie plädierten auf gefährliche Körperverletzung und sahen die Strafe für diese Tat mit rund elf Monaten Untersuchungshaft für mehr als abgegolten. &bdquo;Das Gericht ist dem großen öffentlichen Druck gefolgt und hat nicht im Zweifel für den Angeklagten entschieden, weshalb wir noch heute Revision einlegen werden“, kündigte Burkhard Benecken an. Über die Berufung entscheidet der Bundesgerichtshof nach Aktenlage. Sollten die dortigen Richter Verfahrensfehler finden, würde das Urteil aufgehoben und der Fall müsste erneut vor dem Landgericht verhandelt werden. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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