Von Prognosen und Überraschungen: Wie Bad Oeynhausen den Haushalt plant

Wenn Menschen planen, hört man die Götter lachen. Der zunehmende Zwang, die Zukunft aus Daten der Vergangenheit zu konstruieren, um in der Gegenwart Annahmen zu treffen, die sich selten bewahrheiten, ist so real wie nichtig. Nehmen wir zum Beispiel den Haushaltsplan der Stadt Bad Oeynhausen für das Jahr 2024, den Kämmerer Marco Kindler aufgestellt hatte. Darin hatte er ein Haushaltsdefizit von 16,4 Millionen Euro prognostiziert. Noch im Juni 2024 rechnete er immerhin noch mit einem Delta von 16,3 Millionen Euro. Und nun fällt das Defizit um satte 10 Millionen Euro geringer aus. Diese prophetische Unschärfe hat in der Kurstadt einen Namen: &bdquo;Kindler-Effekt“. Die Warnung vor &bdquo;tief roten Zahlen“ ist nicht neu, sie erklang schon anno 2022, als Kindler für das kommende Jahr mit einem Minus von immerhin 9,3 Millionen Euro rechnete. Am Ende erwirtschaftete Bad Oeynhausen in 2023 einen Überschuss von immerhin noch 2,15 Millionen Euro. Jetzt kann man in dieser Zahlenmystik ein Unterhaltungsprogramm für den Rat sehen, der schockiert durch die Prognosen und überrascht von deren geringer Stichhaltigkeit irgendwo im finanzpolitischen Nirwana debattiert, oder man stellt die Sinnhaftigkeit derlei Wahrsagerei infrage. Betriebswirtschaftlich arbeiten ist wesensfremd Denn: Machen muss man den Mumpitz, weil in den 1980er Jahren neoliberale Denkfabriken und deren hörige Politiker es für eine überragende Idee hielten, die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland fürderhin betriebswirtschaftlich bilanzieren zu lassen. Das war und ist der Selbstverwaltung wesensfremd, hinderte die Betriebswirte aber nicht, ihre Kennzahlen und ihre doppelte Haushaltsführung den Kommunen aufzunötigen. Das Kind brauchte einen Namen und wurde &bdquo;Neues kommunales Finanzmanagement“ (NKF) getauft - ein komplexes bürokratisches Monster, das jene erdacht und propagiert hatten, die heuer mit dem Heilsversprechen &bdquo;Bürokratieabbau“ hausieren gehen. Das NKF, das Kämmerer zwingt, Zahlen in die Welt zu blasen, deren Halbwertzeit in Wochen oder Monaten zu messen ist, erinnert an die Warnung des Theoretikers der Bürokratie, Max Weber, der es einen &bdquo;eisernen Käfig“ nannte, wenn Menschen sich in einem System wiederfinden, in dem alles auf Effizienz und Regelkonformität reduziert ist und persönliche Werte und spontane Entscheidungen kaum noch Raum finden. Lesen Sie auch: Der Kindler-Effekt: Bad Oeynhausen reduziert Defizit um 10 Millionen Euro Dabei ist die kommunale Selbstverwaltung, die 1808 nach der katastrophalen Niederlage gegen Napoleon in Preußen ersonnen wurde, eine Reaktion auf einen solchen &bdquo;eisernen Käfig“, in den die Berliner Bürokraten das Königreich gesperrt hatten. Und Bürokratie ist - richtig dosiert - nichts anders als legale Herrschaft. Max Weber analysierte und beschrieb die bürokratische Organisationsform als die rationalste und effizienteste Methode, um Verwaltung und Wirtschaft zu strukturieren. Sein Modell betont die Wichtigkeit von Regeln, Unpersönlichkeit und formalen Verfahren, um willkürliche Entscheidungen zu vermeiden und eine gerechte Verwaltung zu ermöglichen. So war die Bürokratie einst die Bedingung dafür, dass die Pyramiden gebaut werden konnten. Planungen zum Selbstzweck Seit aber der Planungswahn die Bürokratie befallen hat, muss sie sich zunehmend mit einer unbekannten Zukunft beschäftigen, der sie Struktur verleihen soll - eine Aufgabe, die Götter lachen lässt. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, die Regelhaftigkeit der Bürokratie in die Zukunft auszudehnen, anstatt sie die Gegenwart gestalten zu lassen, hat Konjunktur, weil Ökonomie und Politik dem Fetisch der Planbarkeit auch deshalb huldigen, weil sie Entscheidungen legitimiert und/oder entschuldigt. So kommt es, dass der Rat der Stadt Bad Oeynhausen über Gewerbe- und Grundsteuererhöhungen vor dem Hintergrund einer Finanzplanung debattiert, die wenig bis nichts mit dem zu tun hat, was den städtischen Haushalt tatsächlich beeinflussen wird. Obwohl wir wissen, dass wir nicht wissen können, was kommen wird, tun wir so, als könnten wir planen, was die Zukunft bringt. Die Trefferquoten solcher Verfahren sollten uns verunsichern, stattdessen bilden wir Indizes, die Erwartungshaltungen einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen. Wir tun einfach so, als könnten wir die Zukunft in der Glaskugel sehen, und nennen das effizient und rational. Lesen Sie auch: Doppelhaushalt in Bad Oeynhausen mit umstrittenen Steuersätzen beschlossen Derlei Planungen sind Selbstzweck und binden genau die Ressourcen, die die Kommune benötigte, um konkrete Pläne tatsächlich auch umzusetzen. Des Kämmerers Zahlenwerke sind nämlich eigentlich ein Beleg dafür, priorisiert zu planen, damit Schulen gebaut, Fachkräfte gewonnen und Geld sinnvoll und termingebunden einsetzen zu können. Nicht nur in Bad Oeynhausen ist der Investitionshaushalt seit Jahren ein Verschiebebahnhof, in dem Millionenbeträge rangiert werden. Auch diese dem Fachkräftemangel und der offenbar geringen Attraktivität öffentlicher Ausschreibungen für die Privatwirtschaft sich verdankende Umbucherei hat massiven Einfluss auf die Prognosefähigkeit des Kämmerers. Hinzu kommt, dass die Zukunft für viele Menschen nicht mehr als die lineare Fortsetzung der Gegenwart ist. Was sich gerade in Krisenzeiten als fatal entpuppt - auch für kommunale Haushalte. Der amerikanische Psychologe Daniel Gilbert hat das Grundproblem des Planungswahns auf den Punkt gebracht: &bdquo;Wir haben die besorgniserregende Tendenz, zukünftige Ereignisse, die wir uns nicht vorstellen, so zu behandeln, als würden sie nicht eintreten.“ In Bad Oeynhausen heißt das &bdquo;Kindler-Effekt“. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

Meistgelesen