Illegale Videos, Lügen und mehr: Beteiligten im Philipos-Prozess droht Nachspiel

Minden/Bielefeld. Der Prozess um den getöteten Philipos Tsanis ähnelt größtenteils einem Schauspiel mit laienhaften Darstellern. Mehrere Zeugen hat die Jugendstrafkammer in den bisherigen elf Terminen gehört. Viele von ihnen wollten vor dem Landgericht Bielefeld lieber schweigen oder verwickelten sich in peinliche Widersprüche. Manche von ihnen, zum Beispiel ein Abiturient des Ratsgymnasiums Minden, müssen wiederkommen und erneut aussagen, weil sie wichtige Beweismittel wie zwei Videos von den Taten offenbar bewusst nicht erwähnten. Einigen Beteiligten droht nach dem Ende der Beweisaufnahme deswegen ein juristisches Nachspiel. Staatsanwalt Christoph Mackel kündigte auf Anfrage des &bdquo;Mindener Tageblatts“ (MT) an, dass er mehrere Ermittlungsverfahren gegen Zeugen eröffnen könnte. Es geht um insgesamt drei mögliche Gesetzesverstöße. Unterlassene Hilfeleistung im Fall Philipos Tsanis Als bisher gesichert gilt, dass der zuletzt in Minden wohnende Philipos Tsanis im Sommer 2024 aufgrund einer Gewalttat starb und ihn jemand laut den Rechtsmedizinern mit mindestens einem Tritt in Bad Oeynhausen schwer verletzt haben muss. Der syrische Hauptangeklagte gilt als mutmaßlicher Täter. Doch wer half eigentlich dem 20-jährigen Philipos Tsanis, als der regungslos im Kurpark auf dem Boden lag? Für die Mutter des Toten und Nebenklägerin, Joanna Steinmann, steht nach den bisherigen Zeugenaussagen fest, dass mehrere Anwesende und Beobachter damals aus dem Kurpark geflüchtet seien, ohne ihrem Sohn zu helfen. Das bestätigte auch ein Zeuge beim vergangenen Prozesstag. Ihm sei das Ausmaß der Situation nicht klar gewesen. Erst am nächsten Tag habe er erfahren, wie schwer verletzt Tsanis gewesen sei. Joanna Steinmann möchte dazu noch das Gespräch mit ihrem Anwalt Torsten Grotjohann suchen und klären, ob für die unterlassene Hilfeleistung jemand belangt werden könnte. Steinmann sagte im Gespräch mit dem &bdquo;MT“, dass man den Hauptprozess erst abwarten wolle. Auch Staatsanwalt Christoph Mackel möchte diesen Vorwurf prüfen. Im Gesetz (Paragraf 323c des Strafgesetzbuches) heißt es dazu: &bdquo;Wer bei {...] Not [...] nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten {...] ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Videos sorgen für überraschende Wende im Philipos-Prozess Die Sache mit den zwei Tatvideos sorgte mitten im Prozess für eine überraschende Wende in dem Verfahren. Von den Aufnahmen wussten weder Polizei, Staatsanwaltschaft noch Richter irgendwas, bis ein Zeuge plötzlich und für alle unerwartet am neunten Prozesstag davon berichtete. Die Aufnahmen sollen mehrere Personen gesehen haben, sie wurden auch herumgeschickt, aber offenbar schnell gelöscht. Seitdem hat die Staatsanwaltschaft neun Handys beschlagnahmt. Die Polizei Bielefeld probiert derzeit, die Videos wiederherzustellen. Zum Thema: Gelöschte Videos im Prozess zu Philipos-Tod: Staatsanwalt kündigt Folgen für Zeugen an In einer Sequenz soll Philipos Tsanis liegend, eingenässt und offenbar bewusstlos zu sehen sein. Es bleibt abzuwarten, ob die IT-Experten diese Videos rekonstruieren können. Dennoch droht dem Filmenden, einem 19-jährigen Azubi aus Porta Westfalica, auch in dem Fall ein Ermittlungsverfahren, so Staatsanwalt Mackel. Der junge Mann könnte mit den Aufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich von Tsanis verletzt haben und die Videos auch deswegen vernichtet haben. Zu dem Vorwurf steht im Gesetz (Paragraf 201a des Strafgesetzbuches): &bdquo;Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt [...].“ Falschaussagen im Philipos-Prozess? Wiederholt schlugen im bisherigen Prozess Richter und Staatsanwalt auf den Tisch. Da Zeugen sich angeblich nicht an gewisse Details erinnern wollten, drohte das Gericht mit Beugehaft. Manchmal bewirkte das was, dann wussten die Zeugen doch mehr, als sie ursprünglich angeben wollten. Staatsanwalt Mackel wird nach dem Ende der Beweisaufnahme alle Aussagen der Zeugen überprüfen und bewerten. Dabei können auch Nuancen eine juristische Relevanz für weitere Ermittlungsverfahren haben, so Mackel. Lesen Sie auch: Bad Oeynhausener Philipos-Prozess: Gericht schließt Öffentlichkeit bei Zeugin aus In dem Gesetz heißt es zu den Aussagedelikten (Paragraf 153 der Strafprozessordnung): &bdquo;Wer vor Gericht [...] als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Bei den Falschaussagen könnten auch die Zeugen belangt werden, die von den Videos wussten, sie aber nicht ansprachen. Denn vor Gericht zählt die Pflicht zur Wahrheit, Zeugen dürfen nichts weglassen. Vor ihrer Vernehmung ermahnt sie der Richter deswegen und belehrt sie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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