Das Lächeln des Angeklagten: So hat die Familie von Philipos den Prozessauftakt erlebt

Bielefeld/Minden. Es ist ein kurzer Moment, der die Emotionen hochkochen lässt und für Unruhe sorgt. Nachdem Staatsanwalt Christoph Mackel die Anklage verlesen hat und der erste Verhandlungstag in nicht mal einer halben Stunde endet, grinst der 18-jährige Angeklagte beim Verlassen des Gerichtssaals in Richtung des Publikums. Dort sitzen einige seiner Angehörigen - gleich neben Freunden und Familie von Philipos Tsanis. &bdquo;Der lacht auch noch“, ruft plötzlich dessen Vater. Gleichzeitig schallt es von den Zuschauerbänken: &bdquo;Mörder, verrecke!“ Direkt im Gegenzug verfinstert sich wieder das Gesicht des Syrers, der den 20-Jährigen im Sommer 2023 im Kurpark getötet haben soll. Draußen vor dem großen Gerichtssaal 1 spricht Philipos Vater noch einmal über diese Szene. Er hat sie so gedeutet, dass das Grinsen ihm gegolten habe. &bdquo;Da war keine Reue, das war nur ein Schauspiel - bis zum Schluss. Mit dem Lachen hat er sein wahres Ich gezeigt“, so Dimitris Tsanis. Für den 51-Jährigen ist der Angeklagte ein Mörder, obwohl Totschlag im Raum steht. &bdquo;Wir wünschen ihm die höchste Strafe, die es geben kann.“ Tsanis betont, dass er Gerechtigkeit wolle. &bdquo;Die letzten Monate waren die Hölle und daran wird sich nichts ändern - wir sind mit dem Verlust unseres Sohnes lebenslänglich verurteilt worden.“ Lesen Sie auch: Prozess nach Tod von Philipos gestartet – Emotionen kochen am Ende über Gleichzeitig will er eine Mitschuld bei den Behörden erkannt haben. Vor dem Umzug des Syrers von Pforzheim nach Bad Oeynhausen ordneten die Ermittler in Baden-Württemberg ihn als &bdquo;Schwellentäter“ ein, was eine Vorstufe zum Intensivstraftäter ist. WDR-Recherchen ergaben, dass das dem Kreis Minden-Lübbecke nicht übermittelt wurde. Ob ein solcher Informationsfluss irgendetwas an dem mutmaßlichen Totschlag geändert hätte, bleibt zweifelhaft und eine Spekulation. Selbst wenn: die Polizei hätte wenig Spielraum für Sanktionen gehabt. Dimitris Tsanis glaubt dennoch, dass sie die Tat hätte verhindern können, weil es Vorzeichen dafür gab. Der Syrer selbst wirkt am ersten Verhandlungstag wenig nervös angesichts des Andrangs - der Saal ist bis zu dem letzten Sitzplatz gefüllt. Die Fotografen fokussieren mit ihren Objektiven das Gesicht des Angeklagten, welches er mit einem Aktenordner verbirgt. Kurz vorher war er augenscheinlich beim Friseur, die Seiten und der Hals sind ausrasiert, Gel befindet sich in den schwarzen Haaren. Der 18-Jährige erscheint im Outfit eines Musterschülers. Er trägt Jeans, einen blauen Pullover sowie darunter ein weißes Hemd. An diesem Dienstag macht er nur persönliche Angaben und schweigt noch zu den Vorwürfen. Mehr möchte er am 7. Februar preisgeben. Für diesen Verhandlungstag kündigt sein Anwalt an, dass der junge Mann sich selbst zu seiner Person und seinem Werdegang äußern möchte. Eine Einlassung zu den Tatvorwürfen werde Benecken vortragen. &bdquo;Ich hätte gerne gehört, was er zu sagen hat“, spricht die Mutter des Opfers, Joanna Steinmann-Glogowski, im Anschluss in die Mikrofone der Journalisten. Sie habe sich ihn anders vorgestellt und attestiert ihm eine Arroganz. &bdquo;Er hatte Blickkontakt mit mir - diese Anklageschrift zu hören und noch einmal zu durchleben ist schwer genug.“ Auch der Bruder des Opfers, Kasper Steinmann, äußert sich zu den drei Angeklagten: &bdquo;Die haben sich an einem Menschenleben ausgetobt und leider Gottes war es mein Bruder.“ Das Medieninteresse ist selten so groß am Landgericht Bielefeld gewesen, schnell zieht die Presse aber wieder ab. Mehrere Fotografen, Kamerateams und Beobachter drängen in den Saal. Der Auftakt des Prozesses vor der 4. großen Jugendkammer dauert am Dienstagmorgen kaum 15 Minuten. Um 8.43 Uhr eröffnet der Vorsitzende Richter Carsten Glashörster den Verhandlungstag, um 8.59 Uhr ist der offizielle Teil bereits vorbei. In der Jugendstrafsache wirft Staatsanwalt Christoph Mackel dem 18-jährigen Syrer Totschlag in Tateinheit mit Körperverletzung und schwerem Diebstahl vor. Er soll nachts zusammen mit anderen Begleitern am 23. Juni im Kurpark auf den Weg in die Diskothek Adiamo gewesen sein und dann zufällig auf den 20-jährigen Philipos Tsanis und zwei seiner Freunde gestoßen sein. Diese waren wegen des Abiballs von Tsanis jüngerer Schwester vor Ort, das Mindener Ratsgymnasium veranstaltete dort seine Feier. Vor dem altehrwürdigen Kaiserpalais in Bad Oeynhausen saßen die drei auf einer Bank, ehe der ihnen zuvor völlig unbekannte Syrer nach einem verbalen Konflikt das spätere Todesopfer mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben soll. Auch die anderen Angeklagten sollen später mitgemischt und vor allem Tsanis Freund verletzt haben. Den deutschen Staatsangehörigen (beide 19) wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, einen von ihnen in Tatmehrheit mit Hehlerei. Laut der Anklageschrift wollte sich der offenbar geschockte Philipos Tsanis nach Ausbruch der Gewalteskalation von diesem Ort entfernen und ging dafür rückwärts, so der Staatsanwaltschaft. Der Syrer habe ihn verfolgt und mit einem gezielten Tritt gegen die Beine zu Boden gebracht. Danach soll er mit dem Fuß und/oder dem Knie mehrmals gegen den Kopf des 20-Jährigen getreten haben - auch dann, als der junge Mindener längst bewusstlos war. Lesen Sie auch: So verlief das Leben des mutmaßlichen Täters aus Bad Oeynhausen in Deutschland Insofern wirft ihm Staatsanwalt Mackel vor, den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen zu haben. Der in Porta aufgewachsene Philipos Tsanis starb zwei Tage nach der Tat an den Folgen des schweren Schädel-Hirn-Traumas im Johannes-Wesling-Klinikum in Minden. Zuvor wurden ihm Organe für eine Spende entnommen. &bdquo;Wenn Philipos Tod schon so sinnlos war, dann soll er wenigstens anderen Menschen zu leben helfen“, erklärte die Mutter des Opfers, Joanna Steinmann-Glogowski, Monate später gegenüber dem MT. Nach den tödlichen Tritten soll der tatverdächtige Syrer die Brusttasche von Philipos Tsanis gestohlen haben. Laut Anklage befanden sich darin Kleingeld, Papiere, ein Portemonnaie, eine geringe Menge Marihuana und ein Parfüm. Laut Schilderung des Staatsanwalts entfernten sich alle drei Angeklagten vom Tatort. Kurz darauf trafen sie sich offenbar an einem mehrere Hundert Meter entfernten Teich wieder. Mit dem Parfüm des Opfers eingesprüht Dort durchsuchten sie laut der Anklage die Brusttasche. Nachdem der Hauptangeklagte zwei Euro Bargeld an einen der beiden 19-Jährigen übergab und einen kleinen Betrag für sich behielt, soll er sich ausgiebig mit dem in der Tasche befundenen Parfüm eingesprüht haben. Den Rest des Inhalts warf er offenbar mit der Tasche in den Teich. Unmittelbar nach der Tat kam der Syrer in Untersuchungshaft. Seine Biografie wird zu einem späteren Zeitpunkt noch mal in dem Verfahren thematisiert: Seit Oktober 2023 lebt er MT-Informationen zufolge zusammen mit seiner Familie in Bad Oeynhausen, einen Schulabschluss hat der Syrer nicht. MT-Recherchen ergaben, dass er aufgrund einer Familienzusammenführung mit Eltern und Geschwistern über Jordanien 2016 nach Deutschland kam. Mehrmals ermittelte seitdem die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen ihn, unter anderem wegen räuberischen Diebstahls, verurteilt wurde er nicht. Zuletzt verhängte das Amtsgericht Bad Oeynhausen 60 Sozialstunden gegen den 18-Jährigen in einem Verfahren wegen schweren Diebstahls. Vor der U-Haft absolvierte er eine vorbereitende Maßnahme für eine mögliche Ausbildung beim Verein &bdquo;Zukunft Ausbildung im Mühlenkreis“ (ZAM). Was hat sich in der Tatnacht vor sechs Monaten abgespielt? Um das aufzuklären, nimmt sich die Kammer viel Zeit für die Beweisaufnahme. Einer der 19-jährigen Mitangeklagten kündigt an, sich ebenfalls zu der Sache äußern zu wollen. Der zweite 19-Jährige lässt das noch offen. Das Gericht hat 18 weitere Termine angesetzt. Ein Urteil wird wohl frühstens im Mai fallen. Möglich ist, dass Teile des Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden, da alle drei Angeklagten nach Jugendstrafrecht als Heranwachsende gelten.

Meistgelesen