Aufstieg und Fall des Bad Oeynhausener Handy-Riesen Balda

Bad Oeynhausen. Es war an einem Dienstag, am 23. November 1999. Vorstand und Aufsichtsräte der Balda AG aus Bad Oeynhausen standen optimistisch, aber gespannt auf dem Parkett der Frankfurter Börse. &bdquo;Wir haben auf die Anzeigetafel gestarrt wie der Fuchs aufs Kaninchen“, erinnert sich der damalige Vorstandsvorsitzende Gerd Holdijk an den Börsenstart vor 25 Jahren. Dann, um 9.08 Uhr, tauchte zum ersten Mal die Balda AG auf der Anzeige der Börse auf. Als Holdijk sah, zu welchem Kurs die Balda-Aktie gehandelt wurde, habe er gedacht: &bdquo;Kneif mich!“, so erinnert er sich. Mit dem Börsengang vor einem Vierteljahrhundert startete die Geschichte eines für Ostwestfalen-Lippe wohl einzigartigen Aufstiegs eines Unternehmens. Dem allerdings ein noch rasanterer Niedergang folgte. Ein Jahr lang hatte das Team um Gerd Holdijk und seine Vorstandskollegen Ralf Ackermann und Rainer Frilling den Börsengang vorbereitet. Unternehmer Bernd Fennel hatte das bereits 1908 gegründete Bünder Unternehmen Balda Mitte der 1990er Jahre gekauft. Die zündende Idee, was aus dem Kamerahersteller Balda werden könnte, stieß dann laut Holdijk Rainer Frilling an. Der habe zuvor bei Heinze in Herford schon Kontakt zum Mobilfunk-Markt gehabt. Und wer Kameragehäuse bauen kann, der müsste doch auch Handyschalen herstellen können, so lautete die Grundüberlegung. Für die sich auch Nokia - damals Marktführer im Mobilfunk - erwärmen konnte. Nokia habe Balda dann auch geraten, an die Börse zu gehen, um die notwendigen Produktions-Kapazitäten aufbauen zu können, erzählt Gerd Holdijk. Er, Ackermann und Frilling tingelten in den zwei Wochen vor dem Börsengang durch die Börsenstandorte Frankfurt, Stuttgart und München, Edinburgh, London und Paris. &bdquo;Roadshow“ nennen Börsianer eine solche Werbetour. &bdquo;Wenn du 2,5 Millionen Aktien in den Markt bringen willst, dann suchst du ja vorher schon Käufer“, erklärt Holdijk. Dabei wurde nur ein Teil der Balda-Aktien, von denen es zum Börsenstart 8,3 Millionen gab, angeboten. Der große Rest, von dem wiederum ein Großteil Hauptaktionär Bernd Fennel gehörte, ging nicht in den Handel. Bad Oeynhausener Unternehmen mit Börsenwert von 1,7 Milliarden Euro Das Interesse an der Balda-Aktie war riesig. &bdquo;Wir hatten eine vierzehnfache Überzeichnung“, berichtet Holdijk. Das heißt: Balda hätte die vierzehnfache Menge an Aktien verkaufen können. &bdquo;Die Geschichte von Balda war einfach überzeugend. Und der Aktienmarkt war überzeugt, dass der Mobilfunk ein gigantisches Wachstum vor sich hatte“, erklärt Holdijk das Interesse. Der Ausgabepreis, der in Abstimmung mit dem Vorstand von den Banken festgelegt wird, lag bei 24 Euro. Gehandelt wurden die ersten Balda-Aktien dann am Ausgabetag wenige Minuten nach Börsenöffnung für 31,50 Euro. &bdquo;Ein Plus von 30 Prozent - ich konnt’s nicht glauben“, erinnert sich Holdijk. Auch in den nächsten Tagen und Wochen stieg der Kurs stetig. &bdquo;Schon nach drei Monaten, am 25. Februar 2000, stand der Kurs bei 205 Euro“, berichtet Gerd Holdijk. Der Börsenwert der Balda AG lag damit bei rund 1,7 Milliarden Euro. &bdquo;Für ein Unternehmen, das gut ein Jahr zuvor, 1998, noch 339 Mitarbeiter hatte und 25 Millionen Euro Umsatz machte. Es war verrückt“, sagt Holdijk. Der Börsengang Ende November 1999 spülte der Balda AG erstmal rund 70 Millionen Euro in die Kasse. Das Geld floss unmittelbar in den Aufbau des Balda-Werks in Wulferdingsen. &bdquo;Die Pläne waren ja schon fertig, wir konnten sofort anfangen“, berichtet Holdijk. In zwei Bauabschnitten entstanden hier Produktionshallen und die Firmenzentrale mit insgesamt 35.000 Quadratmetern Fläche. &bdquo;Parallel haben wir die Maschinen bestellt und Zug um Zug aufgebaut“, berichtet Holdijk. Ende 2001 stand das Werk. Einstiger Weltmarktführer Nokia kollabierte Doch schon da begannen auch erste Probleme. &bdquo;Der zweite Hallenteil war eigentlich für Ericsson vorgesehen“, erläutert Holdijk. &bdquo;Die aber brachen Ende 2001 alle Projekte ab und haben Europa verlassen.“ Zwar fanden sich schnell andere Handyhersteller, die die Lücke bei Balda füllten - zum Beispiel Siemens. Doch Gerd Holdijk erinnert sich auch an den alarmierenden Effekt des Ericsson-Rückzugs. &bdquo;Wenn das so schnell gehen kann, dann brauchen wir ein zweites Standbein“, sei die Folgerung gewesen. Das war die Geburtsstunde der Balda-Medical. Finanzfachleute hätten ihn damals gefragt: Warum kümmert ihr euch um solche Krümel? Denn Baldas Medizinsparte fing klein an und entwickelte sich - der Branche entsprechend - langsam. &bdquo;Aber wenn man in Bad Oeynhausen lebt, dann habe ich ja auch die Verantwortung für die Mitarbeiter hier - falls der Zug der Telekommunikation Deutschland mal wieder verlässt“, beschreibt Holdijk seine Motivation. Heute ist die Balda Medical das einzige, was von Balda noch in Bad Oeynhausen verblieben ist. Der Ericsson-Rückzug hinterließ in der Balda-Bilanz nur eine kleine Delle. Das Geschäft mit der Handyschalen-Produktion boomte, mehr, als Holdijk zu hoffen gewagt hatte. Dennoch zog er sich 2003 aus dem Vorstand zurück. &bdquo;Die fünf Jahre davor waren sehr, sehr anstrengend“, erinnert sich Holdijk. Zum einen habe er mehr Zeit für seine Familie haben wollen. Der andere Grund war die zunehmende Internationalisierung. &bdquo;Viel lief da über Asien“, berichtet Holdijk. Ein Markt, zu dem sein Nachfolger Joachim Gut schon vor seinem Wechsel zu Balda gute Verbindungen hatte. Hodijk wechselte in den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender er zwei Jahre lang war. Die beiden besten Jahre für Balda. Denn dann kam der Absturz. &bdquo;Das hatte mit meinem Ausscheiden aber nichts zu tun“, betont Gerd Holdijk. Sondern: &bdquo;Da ist einfach Nokia kollabiert.“ Warum der einstige Marktführer unter den Handyherstellern plötzlich als Verlierer der Branche dastand, erklärt Holdijk so: &bdquo;Als der Chefentwickler von Nokia zu Gast bei uns im Wulferdingsener Werk war, sagte er: Touch has no future.“ Also: Die Technik des Touchscreens habe keine Zukunft. &bdquo;Eine fatale Fehleinschätzung“, sagt Holdijk heute. Deren Folgen Balda mit hinab zog, wovon sich das Bad Oeynhausener Unternehmen nie erholte. &bdquo;Nokia war unser Hauptkunde, mit dem wir rund 60 Prozent des Umsatzes machten“, erklärt Holdijk. Ausverkauf der Balda AG Und der Niedergang war noch rasanter als der Aufstieg. Ende 2005 hatte Balda gut 8.000 Mitarbeiter weltweit, davon etwa 2.000 in Bad Oeynhausen. Das Unternehmen verbuchte einen Umsatz von 422 Millionen Euro und einen Gewinn vor Steuern von rund 50 Millionen Euro. 2006 standen auch 50 Millionen Euro unter der Bilanz - &bdquo;allerdings Verlust“, so Holdijk. Zuvor - im August 2005 - hatte Hauptaktionär Bernd Fennel seine Balda-Aktien verkauft. Die Transaktion soll laut Branchenkennern einen Wert von 180 Millionen Euro gehabt haben. Es begann der Ausverkauf der Balda AG. Beteiligungen und Töchter wurden veräußert. Besondere Begehrlichkeiten bei Finanzinvestoren weckte dabei die 2006 erworbene Beteiligung an dem chinesischen Touchscreen-Hersteller TPK. Der Verkauf von gut der Hälfte der gehaltenen TPK-Aktien brachte 2012 einen Erlös von 238 Millionen Euro ein. 2016 war von der Balda AG nur noch eine Hülle, der &bdquo;Börsenmantel“, geblieben, der in Clere AG umbenannt wurde. Seinen Rückzug aus der Unternehmensleitung habe er nie bereut, sagt Gerd Holdijk. Heute genieße er sein Privatleben in seinem Drei-Generationen-Haus in der Bad Oeynhausener Südstadt, berichtet der 69-Jährige. Freude hat er, wenn er sieht, dass die Balda-Hallen in Wulferdingsen inzwischen wieder mit brummendem Leben erfüllt sind: von der Balda Medical, die seit 2016 zur italienischen Stevanato-Gruppe gehört. &bdquo;Dass dieses Unternehmen nun unter Volllast läuft, das macht schon zufrieden“, sagt Gerd Holdijk, der dafür 2002 den Grundstein legte.

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