Kritiker der ICE-Trasse Hannover-Bielefeld fordern Kurskorrektur der Bahn

Vlotho. Die Ruinen der Burg Vlotho ruhen auf einem Felsvorsprung weit über dem großen Weserbogen. Der Herforder Landrat Jürgen Müller (SPD) hat den Ort gewählt, um den Schulterschluss der Region gegen die Neubaupläne der Deutschen Bahn zum Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse Hannover-Bielefeld zu erneuern. Unweit der Burg will die Bahn eine große Brücke über die Weser bauen und einen Tunnel durch den Berg fräsen. Zum Treffen der Trassenkritiker sind Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Bürgermeister, Verwaltungsvorstände und Landräte aus den Kreisen Herford, Minden-Lübbecke, Lippe und Schaumburg gekommen. Aus Bielefeld war kein Vertreter da. Die Teilnehmer berieten über eine neue gemeinsame Erklärung, die bis Ende des Jahres in allen Räten und Landkreisen diskutiert und verabschiedet werden soll. In dem Text werden die Deutsche Bahn und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) scharf kritisiert. Landrat Müller kündigte bei dem Treffen an: &bdquo;Wir werden nicht nachlassen, bis wir endlich Gehör finden.“ Die ganze Region OWL hätte im Falle des Bahn-Neubaus erhebliche Belastungen zu stemmen. Will die Bahn im Marta-Viertel Schienen verlegen? Auf mehreren Schaubildern zeigte der Herforder Landrat, was die aktuellen Baupläne der Bahn für Industrie- und Wohngebiete in Exter, Valdorf und Elverdissen, aber auch für die Innenstadt von Herford bedeuten würden. Mitten durch das Marta-Viertel an der Goebenstraße beispielsweise zeigte Müller einen dicken blauen Strich für die künftige Hochgeschwindigkeitstrasse. Die Schienen sollen in fünf der zwölf zuletzt vorgestellten Trassenvarianten des Bahn-Planungsteams irgendwo dort verlegt werden. Auch im Nachbarkreis Minden-Lübbecke würde die Hochgeschwindigkeitstrasse nicht durch unbebaute Landschaft verlaufen. Der Gewerbestandort An der Autobahn in Porta Westfalica wäre wohl in zwei Varianten direkt betroffen. Durch den noch recht neuen Metro-Standort würden womöglich Eisenbahnschienen geplant. Die Metro ist erst vor wenigen Jahren aus Löhne hierher umgezogen. Genauso betroffen wären Wohn- und Gewerbegebiete in Neesen und Lerbeck, wenn die superschnellen ICEs nicht mehr auf der Bestandsstrecke, sondern mit Tempo 300 über neue Gleise sausen. Auch im Kreis Lippe würde die Trasse einschneidende Veränderungen nach sich ziehen. Auf den Schaubildern wird deutlich, dass Gewerbegebiete und Landwirtschaft östlich von der A2 direkt durch Brückenbauarbeiten, Tunnelneubau, Dammaufschüttungen oder Landschaftseinschnitte betroffen wären. Anders als im Straßenbau brauchen Hochgeschwindigkeitsstrecken gleichmäßige Steigungen und weite Kurvenradien, die über viele Kilometer verteilt werden. Widerspruch zwischen Naturschutz und Klimaschutz Die Trassenkritiker zeigten zudem, dass der von der Bahn erklärte Klimaschutz im heftigen Widerspruch zum Naturschutz steht. In gleich zehn der zwölf Trassenvorschläge der Bahnplaner würde das Naturschutzgebiet Borstenbachtal zwischen Bad Oeynhausen und Vlotho zur Tunnelbaustelle. Die jetzigen Trassenplanvorstellungen, so Landrat Müller, hätten zudem schon jetzt negative Einflüsse auf die Standortentscheidungen der heimischen Wirtschaft. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Schwartze (SPD) sagte mit Blick auf Herford: &bdquo;Mitten durch die Innenstadt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das von der Bahn ernst gemeint ist.“ Schwartze wies darauf hin, dass der Bundestag &bdquo;einen Deutschlandtakt“ beschlossen habe, aber nicht wie vom Verkehrsministerium interpretiert, &bdquo;den Deutschlandtakt“. Er verlange Antworten auf die Frage, welche Fahrzeitverkürzung wirklich zwingend nötig sei: &bdquo;Bislang ist nicht ein einziger Euro davon finanziert.“ Wie viel Geld der Neubau kostet, ist weiterhin unklar. Der Lipper Bundestagsabgeordnete Jürgen Berghahn (SPD), zugleich Mitglied des Verkehrsausschusses, schätzt die Kosten auf etwa 850 Millionen Euro für jede Minute Fahrzeitverkürzung. Diese Zahl, so Berghahn, habe er bei Fachleuten in der Schweiz gecheckt. Dort kalkulierten Bahnplaner mit einer Milliarde Franken pro Minute Fahrzeitverkürzung. Berghahn: &bdquo;Das ist der Grund, warum die Schweizer beim Eisenbahnbau nicht auf Zeitgewinne setzen, sondern auf Termintreue.“ Die Züge sollten pünktlich sein, nicht schneller fahren. Berghahn zeigte sich wie andere Teilnehmer verärgert über die Kommunikationspolitik der Bahn. Die Vorstellung der Trassenvarianten für Hannover-Bielefeld sei zum Jahresbeginn angekündigt, dann immer wieder verschoben und schließlich Hals über Kopf Mitte August terminiert worden. &bdquo;Der Verkehrsausschuss wusste das nicht. Das hat einigen Unmut ausgelöst.“ &bdquo;Die Region steht zusammen“ Unter den Diskussionsteilnehmern waren auch der Bad Oeynhausener Bürgermeister Lars Bökenkröger (CDU) sowie die Bünder Bürgermeisterin Susanne Rutenkröger (SPD). An sie gewandt sagte Landrat Müller: &bdquo;Ihre Städte sind weniger betroffen, sie könnten sich eigentlich zurücklehnen.“ Genau das wollen beide aber nicht. Bökenkröger erklärte: &bdquo;Die Region steht zusammen.“ Bad Oeynhausen habe eine klare Haltung zum Trassenneubau: Man solle sich auf die Bestandsstrecke konzentrieren. Trassenkritiker und Bahnplaner sprechen weiterhin aber nicht über das Gleiche, wenn sie vom &bdquo;Ausbau der Bestandsstrecke“ reden. Kritiker halten eine Ertüchtigung des bestehenden Schienenwegs und den stellenweisen Neubau von Gleisen zwischen Minden und Wunstorf für ausreichend. Die Bahn dagegen beharrt auf Tempo 300 und will mit dem Deutschlandtakt einen großen Wurf durchsetzen - ohne dafür den Preis zu nennen. Der ehemalige Bahn-Beauftragte der Bundesregierung nannte in einem Fernsehinterview bislang bloß das Jahr der angepeilten Fertigstellung: 2070. Ob die zweite Erklärung aus OWL und Niedersachsen Eindruck in Berlin macht, ist offen. Schon die erste Erklärung vom 20. März 2023 habe Wissing nicht persönlich beantwortet, der Minister sei auch nicht auf die Forderungen eingegangen, so Müller: &bdquo;Das ist mehr als frustrierend. Uns wurde das seitens der Deutschen Bahn mehrfach zugesichert.“

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