Vom Abriss bedroht: So marode sind die Häuser der Heimstätte in Bad Oeynhausen

Bad Oeynhausen. Es war ein Ratschlag, der aufhorchen ließ. Volker Eichener, Immobilienfachmann und Hochschullehrer aus Düsseldorf, eröffnete dem Stadtrat Ende Februar geradezu Epochales: Das gesamte Quartier der Städtischen Gemeinnützigen Heimstättengesellschaft (SGH) im Umfeld der Albert-Rusch-Straße ist so heruntergekommen, dass nach Einschätzung des Professors eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich wäre. Er rät dazu, die 39 Häuser abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. So könnten auf den Grundstücken statt der jetzt vorhandenen 9.000 Quadratmeter Wohnfläche 21.000 Quadratmeter Wohnraum entstehen. Ein Plan, dessen Umsetzung nach jetzigen Stand bis zu 80 Millionen Euro kosten dürfte. Wie aber ist der Zustand der Heimstätte-Häuser in der Albert-Rusch-Siedlung? Und wie ist zu erklären, dass nur sechs Prozent der SGH-Immobilien als saniert gelten, obwohl der damalige Geschäftsführer anderthalb Jahrzehnte lang beteuert hat, sich ganz auf die Sanierung des Bestandes zu konzentrieren? Eine Spurensuche mit Alcay Kamis, seit November 2020 Geschäftsführer der SGH. Die kleine Heimstätten-Rundfahrt startet in Krachts Kamp. Hier stehen mehrere SGH-Häuser, das mit der Nummer 5 erstrahlt in eigenwilligen Lila- und Flieder-Tönen. Über die Farbwahl ließe sich streiten, das Haus macht aber einen soliden und sauberen Eindruck. 2019 wurde das Objekt "saniert". Wenn Kamis das sagt, dann hört man die Anführungsstriche mit. "Kommen Sie mal mit rein", sagt der SGH-Geschäftsführer und Denise Oventrop, bei der SGH zuständig für Vermietung und Kundenservice, öffnet die Haustür. Dahinter wartet ein Treppenhaus im "Urzustand". Mit offenen Stromzählern im Flur, mit Fliesen aus den 1950er Jahren und ausgetretenen Stufen. "Im Inneren ist hier gar nichts passiert", sagt Kamis. Was ein Gang durch eine leerstehende Wohnung belegt. "Was hat das mit Sanierung zu tun?" "Einfach ein paar Dämmplatten an die Wand und die Fassade neu gestrichen - was hat das mit Sanierung zu tun?", fragt Kamis. Die Frage, was denn die Heimstätte vor vier Jahren für diese Sanierung wohl ausgegeben habe, die mag der neue Geschäftsführer nicht beantworten. "Das ist ja Gegenstand der staatsanwaltlichen Ermittlungen", sagt Kamis. Die Ermittler gehen seit Sommer 2022 der Frage nach, ob Auftragsvergaben für Sanierungen der SGH-Wohnungen korrekt abgewickelt wurden. Im Raum steht der Verdacht, dass Aufträge ohne formelle Ausschreibungen und Vergleichsangebote vorwiegend an bestimmte Firmen vergeben und zu nicht marktüblichen Preisen abgerechnet wurden. Dabei steht Kamis' Vorgänger in der Geschäftsführung der SGH im Fokus der Ermittler. Für Kamis stellt sich aber zunächst mal die akute Frage, was er mit der leerstehenden Wohnung in Krachts Kamp Nr. 5 nun tun soll. "Die können wir ja so nicht wieder vermieten", stellt er fest. Gemacht werden müsste nach seiner Einschätzung so gut wie alles: die Heizung, die Sanitäranlagen, die Elektroinstallationen, die Böden, die Wände, das Bad. Ein Einzelfall? Kamis winkt ab und führt zum nächsten Objekt. Das steht an der Ecke von Brüderstraße und Detmolder Straße und ist groß. 32 Mietparteien finden hier Platz. Von außen sieht das Gebäude, das aus dem Baujahr 1965 stammt, und 2007 saniert wurde, schick aus mit seiner weißen Putzfassade und den dunklen Klinkenzonen. Drinnen aber der gleiche Befund wie im Krachts Kamp: außen hui, innen nicht. Auch hier steht eine Wohnung leer. Auch die muss vor einer Wiedervermietung saniert werden. Was ebenso wie im Krachts Kamp auch geschehen soll. Denn beide Häuser sollen erhalten werden, stehen nicht zur Disposition, wie Kamis versichert. "Diese Häuser und Wohnungen werden wir erstmal nicht vermieten" Das gilt nicht für die Gebäude im Albert-Rusch-Quartier. Im Haus Wilhelm-Rottwilm-Straße 2, einer Nebenstraße im Quartier, ist der Geist der 1950er Jahre noch sehr lebendig, zumindest in Optik und Ausstattung. Hier haben langjährige Mieter gewohnt, seit dem 1. März steht die Wohnung leer. Die beiden Häuser an der Albert-Rusch-Straße mit den Hausnummern 16 und 18 stehen schon seit gut einem Jahr komplett leer. Hier regiert der Schimmel. Der grün-gräuliche Belag sitzt überall: im Flur, im Wohnzimmer, im Bad, an den Wänden, an der Decke, auf dem Fußboden. Diese Wohnungen, so viel ist auf den ersten Blick klar, ließen sich nur nach großer Grundsanierung mit viel Aufwand wieder bewohnbar machen. Für Kamis ist das aber aktuell keine Option. "Diese Häuser und Wohnungen werden wir erstmal nicht vermieten. Da warten wir auf einen Grundsatzbeschluss der Politik", sagt der SGH-Geschäftsführer. Damit ist gemeint eine Entscheidung des Aufsichtsrates der SGH und vermutlich auch des Stadtrates, ob man dem Rat Volker Eicheners folgen und das gesamte Rusch-Quartier neu bauen will. Hier hat die SGH 38 Gebäude mit 270 Wohnungen, gut ein Fünftel der 1.213 Wohnungen der Heimstätte. Auch nach Kamis' Einschätzung ist es sinnvoller, hier nicht kleckerweise zu sanieren. "Sollten wir nicht größer denken?", lautet die Frage, die Kamis in den Raum stellt. Dafür spricht aus seiner Sicht auch die Verpflichtung zur "Dekarbonisierung", also die Heizenergie für den Wohnraum möglichst CO2-neutral zu gewinnen. Davon sind die Nachtspeicheröfen in den Wohnungen des Rusch-Viertels noch weit entfernt. Was Kamis auch zur Kostenfrage bringt. Denn nach dem Vorschlag Eicheners im Rat hatte Ingrid Schley (Grüne) die Sorge geäußert, dass durch einen Neubau im Rusch-Quartier Luxus-Wohnungen entstünden, die sich die jetzigen Mieter gar nicht leisten könnten. "Das ist nicht unser Ziel und unsere Aufgabe", sagt Kamis und versichert: "Wir wollen keinen unserer Mieter verlieren. Wohl aber neue dazugewinnen." Was möglich sei, wenn im Rusch-Viertel mit den Neubauten deutlich mehr Wohnfläche entstünde. Fünf bis sieben Euro pro Monat und Quadratmeter für Nachtspeicheröfen In einem Neubauviertel würde die SGH versuchen, unterschiedliche Ansprüche zu befriedigen. Derzeit liege die Miete in 40 Prozent der SGH-Wohnungen auf einem Niveau, dass sie auch von Beziehern von Transferleistungen bezahlbar wären. Darin sehe er nach wie vor eine Kernaufgabe der SGH, eben bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten bereitzustellen. Dass die Kaltmiete in einem Neubau womöglich höher ausfalle, sei möglich. Kamis aber plädiert dafür, die Warmmiete zu betrachten, und macht folgende Rechnung auf: In der leerstehenden Wohnung in der Rottwilm-Straße betrage die Kaltmiete 5,20 Euro. "Die Kosten für die Nachtspeicheröfen aber liegen bei bis zu fünf bis sieben Euro pro Monat und Quadratmeter Wohnfläche", sagt Kamis. "Eines werden wir sicher nicht tun: Luxuswohnungen bauen", betont Kamis. Aber hier im Rusch-Viertel gehe es nicht um Luxus. "Sondern um menschenwürdiges Wohnen." Eine Entscheidung über Neubau oder Sanierung im Rusch-Quartier wäre eine für die nächsten 80 bis 100 Jahre. "Es ist sinnvoll, gut darüber nachzudenken, was der Stadt langfristig guttut", sagt Kamis. Er ist überzeugt: "Wir müssen uns hier von jeder operativen Hektik lösen." In der zweiten Hälfte dieses Jahr, so hat es der Stadtrat beschlossen, soll Kamis den Kommunalpolitikern erläutern, wie er sich eine Umsetzung von Eicheners Analyse vorstellen kann.

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