"Eklatante Versäumnisse": Riesiger Sanierungsstau bei der Heimstätte in Bad Oeynhausen

Bad Oeynhausen. Die Stadt kommt recht gut weg. Das Urteil, das der Immobilienfachmann Volker Eichener aber über die Städtische Gemeinnützige Heimstättengesellschaft (SGH) fällte, war vernichtend. Nur sechs Prozent des Wohnungsbestandes der Heimstätte können nach der Analyse des Düsseldorfer Hochschulprofessors als saniert gelten, 85 Prozent als sanierungsbedürftig. Wobei die Sanierung aus Sicht des Experten, der die Ergebnisse seiner Untersuchung am Donnerstagabend dem Rat vorstellte, durchaus nicht das bevorzugte Mittel ist. Konkret schlug Eichener Abriss und Neubau eines ganzen Heimstätten-Viertels in der Südstadt vor - ein Projekt, das allerdings einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kosten würde. Die Fraktion der Bürger für Bad Oeynhausen (BBO) hatte den Antrag gestellt, die Probleme und Entwicklungschancen der Stadt und insbesondere der SGH im Rat von einem Fachmann darstellen zu lassen. Diese Aufgabe übernahm nicht Alcay Kamis, Geschäftsführer der SGH, sondern Volker Eichener, Professor und Dozent für Politikwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf. 2018 veröffentlichten Eichener und Kamis gemeinsam das Fachbuch "Strategisches Management für die Wohnungs-und Immobilienwirtschaft". Der Dozent kennt aber nicht nur Kamis, sondern auch Bad Oeynhausen, wie er dem Rat eröffnete. "Das propere Städtchen liegt bei der Kaufkraft unter dem Durchschnitt" "Bad Oeynhausen ist eine schöne Stadt, eine Gesundheitsstadt", sagte er. Er habe sie als schmuck und aufgeräumt kennengelernt. Auf den ersten Blick. Dann habe er die leerstehenden Läden in der Innenstadt gesehen und erkannt, dass es offenbar auch hier Probleme gibt. Geradezu schockiert sei er dann beim Blick in einige Statistiken gewesen. "Das propere Städtchen liegt bei der Kaufkraft unter dem Durchschnitt in NRW und der Region", stellte Eichener fest. Aber über dem Durchschnitt beim Anteil der Sozialhilfeempfänger. Positiv wiederum fiel dem Wissenschaftler auf, dass es in Bad Oeynhausen fast 5.000 Einpendler, die in die Stadt kommen, um hier zu arbeiten, mehr gibt als Auspendler. Das sei auch eine Chance für Bad Oeynhausen zu wachsen, wenn angesichts steigender Fahrtkosten die Menschen auch vermehrt dort wohnen wollten, wo sie arbeiten. Auch ein Blick in die Immobilien-Portale zeige, dass Mietwohnungen in Bad Oeynhausen überdurchschnittlich gefragt seien. "Versäumnisse, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden" "Die Nachfrage ist da, die Arbeitsplätze auch. Was fehlt, ist das Angebot", so Eicheners Schluss, der ihn zur SGH führte. Denn solch eine Wohnungsbaugesellschaft in kommunaler Trägerschaft sei ein hervorragendes Instrument, Einfluss auf den Wohnungsmarkt und damit die Stadtentwicklung zu nehmen. "Wobei das Bauen im Begriff der Wohnungsbaugesellschaft wohl etwas zu kurz gekommen sein dürfte. Ein großer Teil der 1.000 SGH-Wohnungen ist offenbar überaltert. "Der Bestand ist überwiegend über 70 Jahre alt", stellte Eichener fest. Sie nähern sich damit dem Ende ihrer "Lebenszeit", das bei 100 Jahren angesetzt wird. 85 Prozent der Wohnungen seien unsaniert, 9 Prozent teilsaniert und nur 6 Prozent saniert. "Das sind Versäumnisse, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden", so das Urteil des Professors. "Wir sprechen hier von Sanierungsstau." Entsprechend desolat ist der Energiebedarf der Wohnungen. 513 Wohnungen der Heimstätte werden mit Nachtspeicheröfen geheizt, 429 mit Gas. Bei einem durchschnittlichen Energieverbrauch von über 180 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. "Ein Zustand, der auch unter dem Aspekt des Klimaschutzes nicht tragbar ist", sagte Eichener. Der sich dann konkret mit den Häusern der SGH an der Albert-Rusch-Straße in der Südstadt befasste. In dem Quartier stehen 38 Gebäude der Heimstätte mit 270 Wohnungen, die in den 1950er Jahren gebaut wurden. Mit dünnen Wänden, kleinen Zimmern und Bädern - Eicheners Liste der Unzulänglichkeiten war lang. "Der Zustand der Wohnungen ist dramatisch", sagte er. Was tun damit? Für den Professor gibt es drei Optionen: Liegenlassen und in Kauf nehmen, dass die Immobilien unbewohnbar werden. Option 2: Kernsanierung. "Da bleibt kein Stein auf dem anderen", sagt Eichener. Bei Kosten zwischen 2.000 und 2.500 Euro pro Quadratmeter und einer Verlängerung der Lebenszeit um 30 Jahre "für die SGH unwirtschaftlich". Investitionssumme von knapp 80 Millionen Euro Eicheners Favorit ist Option 3: Abriss und Neubau. "Denn die Lage hier in der Südstadt ist ja gut." Und man könnte auf den Grundstücken der SGH statt der 9.000 Quadratmeter Wohnfläche, die die Heimstätten-Häuser hier jetzt haben, 21.000 Quadratmeter schaffen. Kleiner Haken: Eichener rechnet mit Kosten zwischen 3.500 und 3.800 Euro pro Quadratmeter. Was eine Investitionssumme von knapp 80 Millionen Euro ergäbe. Allerdings wären die Wohnungen zeitgerecht und voraussichtlich 100 Jahre nutzbar. Zudem bekäme man eine "andere Mieterstruktur", mit Bewohnern, die auch eine höhere Kaufkraft in die Stadt brächten. "Bad Oeynhausen verkauft sich unter Wert", so Eicheners Fazit. Was man nach seiner Ansicht mit dem Abriss des "Problemquartiers" an der Albert-Rusch-Straße ändern könnte. "Ergreifen Sie diese Möglichkeit", so sein Appell. Nahezu einhellig begrüßte der Rat Eicheners Analyse. Allein Ingrid Schley (Grüne) bekundete, dass sie die Sache etwas anders sehe. "Wir können nicht alles Alte abreißen und neubauen. Allein die Herstellung der Baustoffe verursacht einen enormen CO2-Ausstoß. "Und wo bleiben dann eigentlich die Menschen mit geringem Einkommen?", fragte sie. "Luxus-Wohnungen haben wir doch schon genug." Der Rat verständigte sich darauf, im zweiten Halbjahr Alcay Kamis einzuladen. Der SGH-Geschäftsführer soll dann die Ansätze Eicheners konkretisieren und vertiefen.

Meistgelesen