Gleisbau ICE-Trasse: Verkehrsminister verteidigt Fahrzeit von 31 Minuten

Bad Oeynhausen. Die Bürgerinitiative Widuland spricht von einem "Bahn-Unfall", der Bürgerdialog sei "überfahren worden". Der Landrat des Kreises Herford hält das Dialogforum für "Verschwendung von Lebenszeit", Naturschutzverbände sprechen gar von einem "Pseudo-Beteiligungsverfahren". Unter Protest haben zahlreiche Interessengruppen Dienstagabend das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung für den den Bau der ICE-Trasse "Hannover-Bielefeld" verlassen. Doch noch immer ist unklar: Wie viele eigentlich? Und ist das Dialogforum jetzt gescheitert? Das Bundesverkehrsministerium geht in seiner Antwort auf die Nachfrage der NW nicht weiter darauf ein. Stattdessen lässt der Bahn-Beauftragte der Bundesregierung Michael Theurer (FDP) über einen Ministeriumssprecher seine Gesprächsbereitschaft signalisieren - allerdings nur außerhalb des Dialogforums. Das Ministerium beobachte die Lage vor Ort "sehr genau" und bedauere "die aktuellen Entwicklungen", heißt es in dem Schreiben. Ministerium und Bahn wollen nun den Planungsdialog "auswerten und anpassen – inklusive einer Begleitung durch den Bund". Was das genau bedeutet, bleibt unklar. Der Ministeriumssprecher versichert jedoch: "Der enge Austausch mit den Menschen in der Projektregion bleibt für die DB und uns ein zentraler Baustein im Planungsprozess." Karsten Otte, Sprecher der Bezirkskonferenz Naturschutz OWL, bezweifelte im Gespräch mit der NW die Angaben der Bahn zu den Teilnehmerzahlen. Demnach sollen bei der Online-Videokonferenz etwa 140 Sprecher von Interessengruppen teilgenommen und "40 bis 50 Teilnehmer" die Konferenz vorzeitig verlassen haben. Otte verwies darauf, dass nicht nur Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen, sondern auch Landwirtschaftsverbände, Kommunen und ganze Landkreise die Veranstaltung verlassen hätten. Otte: "Die Region ist ausgetreten." Ein Sprecher des Bahn-Projektteams dagegen erklärte, dass der Bahn keine Informationen darüber vorliegen, wer offiziell das Plenum verlassen habe. Auf der Internetseite des Projekts werden rund 160 Interessengruppen aufgeführt, die Vertreter in den Plenumsdialog schicken. Mitarbeiter der Bahn oder des Ministeriums schalten sich nach Auskunft des Bahnsprechers über einen gesonderten Kanal zu, sie werden nicht mitgezählt. Planungsdialog kämpft mit Technik-Problemen Für die interessierte Öffentlichkeit war die Video-Konferenz am Dienstag nur über einen wackeligen Internet-Stream zu verfolgen. Bild und Ton rissen immer wieder ab. Teilnehmer dagegen hatten dem Vernehmen nach kaum Probleme mit der Technik. Die Bahn räumte die Schwierigkeiten mit dem Internet-Stream ein. Das nächste Plenumstreffen soll aber wieder an einem echten Ort stattfinden - und wird von dort ins Internet übertragen werden. Wie viele Interessengruppen beim nächsten Plenum am Mittwoch, 8. März, teilnehmen werden, weiß die Bahn nicht. Das Projektteam hält den Planungsdialog auch nicht für gescheitert. Dennoch beteuert ein Bahnsprecher: "Ein 'Weiter so' wird es nicht geben!" Bei einer zentralen Frage wird es aber sehr wohl ein "Weiter so" geben: Die 31 Minuten Fahrzeit sind gesetzt. Das bekräftigt das Verkehrsministerium auf Nachfrage der NW. "Wir planen und bauen für die Menschen, nicht gegen sie", schreibt ein Sprecher und erläutert noch einmal den Sinn des Deutschlandtakts: "Unser Ziel ist es, dass die größten deutschen Städte durch regelmäßige Personenfernverkehrszüge verbunden sind – und das alle 30 Minuten verlässlich zur selben Zeit." Der Regionalverkehr werde auf die halbstündliche Taktung in den Knotenbahnhöfen ausgerichtet und sichere so auch "die flächendeckende Mobilität in ländlichen Regionen". Bisher wurden Fahrpläne an die bereits bestehende Infrastruktur angepasst, nun wird die Infrastruktur an den Deutschlandtakt angepasst. Der Taktfahrplan diene nun als Planungsgrundlage für einen gezielten Infrastrukturausbau, so der Ministeriumssprecher: "Aus diesem Grund ist es so wichtig, die Zielfahrzeit von 31 Minuten zwischen Hannover und Bielefeld zu erreichen." Bürgerinitiativen und Verbände halten dieses Ziel für viel zu ehrgeizig. Vor allem, weil die 31 Minuten zwischen Bielefeld und Hannover gar nicht ausreichen, um den Deutschlandtakt zu verwirklichen. Der Taktfahrplan kann außerdem nur funktionieren, wenn gleichzeitig der Hauptbahnhof Bielefeld umgebaut wird und die Gleise zwischen Bielefeld und Hamm auseinandergerupft und auf Tempo 300 getrimmt werden. Derzeit ist dort nur Tempo 200 möglich. Neubau nicht vor dem Jahr 2040 Kritiker wie der ehemalige Staatssekretär im Verkehrsministerium, der Mindener SPD-Politiker Lothar Ibrügger, werfen den Bahn-Planern deshalb "Hochgeschwindigkeitsfantasien" vor. Ibrügger fordert einen wirklichkeitsnahen Deutschlandtakt und hält den Ausbau der Bestandsstrecke für möglich und angesichts des fortschreitenden Klimawandels auch für dingend geboten. Die Bahn plant den Neubau der ICE-Trasse derzeit nicht vor dem Jahr 2040. Beim Thema Bestandsausbau sprechen Bahn und Kritiker aber konsequent aneinander vorbei. Eine Studie der Bürgerinitiative Widuland hält eine Fahrzeit von 41 Minuten für möglich, wenn in OWL ohne Umbau auf den bestehenden Gleisen, in Niedersachsen aber auf einer Neubaustrecke gefahren wird - und der Taktfahrplan angepasst wird. Die Bahn selbst hat 42 Minuten Fahrzeit errechnet. Allerdings würde die Bahn die bestehenden Gleise so umbauen, dass zahlreiche Straßen, Häuser und Firmengebäude abgerissen werden müssten. Der Bahn geht es nicht nur um Tempo, sondern auch um neue Sicherheitsrichtlinien und Widerstandsfähigkeit des Netzes. Ein Ausbau ohne Umbau kommt für die Bahn nicht infrage. Der aktuelle Ministeriumssprecher verweist ebenfalls auf den Klimawandel. Die Strecke müsse den Vorgaben des Deutschlandtaktes entsprechen sowie "kapazitiv engpassfrei und zukunftsfähig" sein, "um den Anforderungen aus der beabsichtigten Verkehrs- und Klimawende zu genügen". Der Sprecher verweist auf die Beschlüsse der Ampelkoalition: "Das geht nur über ein attraktives, marktfähiges Angebot auf der Schiene." Das bedeute "wettbewerbsfähige Reise- und Transportzeiten". Der Sprecher verweist auf das Vorbild Berlin-München. Die neue Bahnstrecke habe "zu einer starken Verlagerung vom Luft- und Individualverkehr auf die Bahn auf dieser Relation geführt". Ausgerechnet in dem vergleichsweise dicht besiedelten Gebiet zwischen Bielefeld und Hannover sollen nun die gleichen Voraussetzungen wie zwischen dem dünn besiedelten Bayern und Berlin gelten? Das Ministerium findet: ja. "Dafür sind im Fall Hannover-Bielefeld im gesamten Streckenverlauf signifikante Geschwindigkeitserhöhungen erforderlich." Für das Ministerium ist das genauso wichtig wie die Beseitigung des Engpasses zwischen Minden und Wunstorf. Eine Neuberechnung des Deutschlandtaktes zieht das Ministerium offenbar gar nicht erst in Erwägung.

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