ICE-Trasse: Der Minister will 31 Minuten und Tempo 300

Bad Oeynhausen. Vier Stunden Fahrtzeit zwischen Köln und Berlin mit Tempo 300: Das ist keine Schnapsidee halbseriöser US-Unternehmer mit Twitter-Tourette. Der ehemalige Bahnbeauftragte der Bundesregierung Enak Ferlemann (CDU) hat diese Forderung im Jahr 2019 an die Bahn öffentlich gestellt. Grundlage dafür ist ein neuer Fahrplan namens "Deutschlandtakt", von dem bisher nur ein Rechenmodell im Computer existiert. In der Wirklichkeit braucht es dafür aber neue Bahngleise, am besten in einem Betonbett und möglichst fernab der bekannten Bahnhöfe und bestehenden Infrastruktur. Das lässt sich einfacher bauen. Drei Jahre und eine Bundesregierung später hat sich an diesen Hochgeschwindigkeitsplänen des Ministeriums trotz Coronakrise, Ukrainekrieg und Inflation nichts geändert. Das Bundesverkehrsministerium hat auf Nachfrage der NW bestätigt, dass der Deutschlandtakt "maßgeblich für die Planungen" zur Infrastruktur der Schienenwege sei. Eine der Voraussetzungen dafür sei eine Fahrtzeit von 31 Minuten zwischen Bielefeld und Hannover. Nur so könne "ein funktionsfähiges Gesamtkonzept für einen zukunftsfähigen, attraktiven Schienenverkehr in Deutschland Wirklichkeit werden", schreibt ein Sprecher des Ministeriums. Was das Ministerium nicht sagt: Auch zwischen Bielefeld und Hamm müssen die Gleise der bestehenden Hochgeschwindigkeitstrasse herausgerupft, tempotauglich neu verlegt und Bahnsteige umgelegt werden. Erst dann kommt Berlin-Köln in vier Stunden in Sichtweite. Der Deutschlandtakt ist eng gestrickt. Die Fahrtzeit war von Anfang an Thema, aber mit unterschiedlicher Akzentuierung. Zu Beginn der Planungen im November 2021 erklärte Projektleiter Carsten-Alexander Müller, dass die 31 Minuten zwischen Hannover und Bielefeld bloß eine von mehreren Planungsgrößen seien. Falls sie nicht erreicht würden, müsse man sehen. Bei einer Veranstaltung des Fahrgastverbands "Pro Bahn" in Löhne versicherte er noch im September 2022, die 31 Minuten seien nicht in Stein gemeißelt. Inzwischen ist das Projektteam aber einen Schritt weiter und hat entdeckt, dass 31 Minuten sogar auf sechs Korridoren quer durch OWL möglich sind. Für die Bahn ist damit klar: 31 Minuten sind realistisch. Landrat Müller fühlt sich getäuscht Der Herforder Landrat Jürgen Müller (SPD) fühlt sich dagegen "mehr als getäuscht". Im Gespräch mit der NW sagte Jürgen Müller mit Blick auf die Veranstaltung in Löhne: "Das habe ich doch nicht geträumt. Die 31 Minuten galten da nicht als absolute Vorgabe." Das Verkehrsministerium sieht das anders. Minister Volker Wissing (FDP) hält an den 31 Minuten fest. Die Deutsche Bahn soll offenbar wirklich dem Flugzeug Konkurrenz machen. Nach Ansicht von Kritikern von der Initiative Klimabahn ist genau diese Denkweise das Problem. Die Bahn vernachlässige durch die Hochgeschwindigkeitspläne den Nahverkehr, den erheblich mehr Menschen in Deutschland nutzen könnten, und damit den Klimaschutz. Außerdem wachsen Zügen keine Flügel, sie müssen irgendwo durch die Landschaft rollen. Im dicht besiedelten Ostwestfalen-Lippe steht da meist irgendwas im Weg. Und wenn nicht, müsste die Landwirtschaft auf wertvolle Äcker oder die Natur auf wichtigen Lebensraum verzichten. Der ehemalige Staatssekretär im Verkehrsministerium Lothar Ibrügger (SPD) bewertet Wissings Vorentscheidung als Verzögerung der dringend notwendigen Sanierung der maroden Bestandsnetze. Würde das zuerst passieren, könnten sofort "etwa 3.000 Transit-Lkw auf der A2 zwischen den Nordsee-Häfen und Polen klimafreundlich auf die Schiene verlagert werden". Das Klimaschutzziel der Bundesregierung werde durch die ICE-Trassenpläne "mit Vorsatz nicht erreicht", so Ibrügger. Der SPD-Politiker aus Minden spricht außerdem von einer "übergriffigen Planungspolitik des Bundes" und verweist darauf, dass der Bundestag einen ganz anderen Streckenausbau beschlossen hat. Die Bahn schaffe auf der Grundlage eines bloß mathematischen Rechenmodells mit dem 31-Minuten-Ziel Fakten und greife damit "ohne gesetzliche Ermächtigung" in das Planungsrecht zahlreicher Kommunen ein. Schon die alte Zielvorgabe von 31 Minuten Fahrtzeit sei durch CSU-Minister Scheuer "contra legem und ultra vires", also gegen das Gesetz und außerhalb seiner Zuständigkeit, ergangen und bislang ohne Einspruch des Gesetzgebers geblieben. Ibrügger sieht darin eine "eklatante Pflichtverletzung des Parlaments". Der Staatssekretär außer Dienst, der schon den Transrapid stoppte, empfiehlt daher: "Deswegen rate ich zur Notbremse, da sonst NRW und Niedersachsen weder von der angestrebten Verkehrswende noch von CO2 Einsparungen bis 2030 irgendeinen Effekt verspüren würden." Die letzte Hürde für die Trasse bleiben die Kosten Gegen die Pläne des Verkehrsministers laufen die Bundestagsabgeordneten aus NRW und Niedersachsen Sturm. Sie liefern noch ein weiteres wichtiges Argument gegen den Hochgeschwindigkeitsausbau: das Geld. Inzwischen gibt's eine Energiekrise und heftige Preissteigerungen. Die wohl immensen Kosten für den Trassen-Neubau sind nach Überzeugung der Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler (FDP) und Stefan Schwartze (SPD) womöglich die letzte Hürde, über die das Projekt "Hannover-Bielefeld" noch stürzen kann. Lothar Ibrügger hat schon einmal ausgerechnet, was in naher Zukunft an Kosten auf die Bahn zurollt. Der ehemalige Staatssekretär schätzt allein die Sanierungskosten für das "marode Bestandsnetz" auf 50 Milliarden Euro, die Einführung der digitalen Schiene auf weitere 50 Milliarden und die Einführung der automatischen Kupplung auf rund 40 Milliarden Euro. Hinzu kämen weitere unkalkulierbare Kosten für die Sanierung "Tausender technischer Großbauwerke wie Tunnel und Brückenanlagen" im bereits bestehenden Netz. Vom Corona-Wumms und Bundeswehr-Bumms ist noch gar nicht die Rede. Und dann soll der Bund auch noch den Neubau von Hochgeschwindigkeitsstrecken schultern? Vergangenen Montag hat das Projektteam auf Bitte des Ministeriums mehreren Bundestagsabgeordneten der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP vorab den aktuellen Planungsstand erklärt. Verkehrspolitiker der CDU waren dem Vernehmen nach nicht eingeladen, obwohl mit Hendrik Wüst ein CDU-Politiker das bevölkerungsreichste Bundesland regiert. Auf Nachfrage dementierte das Berliner Verkehrsministerium den Ausschluss der CDU nicht. Stattdessen verwies ein Sprecher auf die nächste "Information der Öffentlichkeit" zum aktuellen Planungsstand am kommenden Dienstag, 31. Januar. Dann kann jedermann den Bahn-Planern lauschen. Das Treffen wird voraussichtlich ab 17 Uhr im Internet unter www.hannover-bielefeld.de übertragen.

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