Luca-App: Die Gesundheitsämter haben sie nicht benutzt

Bad Oeynhausen. Es wird Herbst, die Blätter fallen und selbst die laminierten Zettel mit den schwarz-weißen, maschinenlesbaren Balken verschwinden von den Sonnenschirmen der Außengastronomie. Die QR-Codes der Luca-App werden abgehängt. Seit fast einem Monat sind Gastwirte in ganz NRW von der Pflicht zur Kontaktnachverfolgung ihrer Gäste befreit. Die Daten der Kunden müssen weder digital, noch analog erfasst, gesammelt und auf Abruf des Gesundheitsamts bereit gehalten werden. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Die NW hat die Kreise Minden-Lübbecke und Herford gefragt: Wie viele Daten haben die Gesundheitsämter aus der Luca-App oder anderen Apps abgefragt? Waren die Datensammlungen hilfreich? Derzeit haben die Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern wieder alle Hände voll damit zu tun, mögliche Corona-Erstkontakte zurückzuverfolgen und Quarantäne-Anordnungen zu verhängen. Cafés und Restaurants sind voll, die Diskotheken laden wieder zum Tanz. Trotzdem lassen beide Behörden die digitalen Datensammlungen der Luca-App mehr oder weniger links liegen. Die Daten wurden nicht gebraucht. Weder jetzt, noch zu einem früheren Zeitpunkt. Das geht aus den Antworten der Pressestellen hervor. Sabine Ohnesorge, Pressesprecherin des Kreises Minden-Lübbecke, schreibt auf Anfrage: "Nachdem zunächst durch den Lockdown die meisten Gastronomien geschlossen waren und mittlerweile in der Regel die 3G-Pflicht gilt, gab es keine uns bekannten Fälle." Und Patrick Albrecht, Pressesprecher im Kreis Herford, antwortet: "Bisher haben wir die Daten nicht sehr häufig abrufen müssen. Genaue Zahlen können wir derzeit aber leider nicht liefern." Damit bestätigt sich auch in den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke ein Eindruck, der bereits von anderen Gesundheitsämtern öffentlich bestätigt wurde: Die Luca-App wird eigentlich nicht gebraucht. Das Virus tobt in Schulen Nach Angaben von Patrick Albrecht vom Kreis Herford bilden die Zehn- bis Zwanzigjährigen derzeit eine Hauptgruppe der Infizierten. Das Corona-Virus tobt nicht in der Gastronomie, sondern vor allem in Schulen. Das ist der Ort, wo sich die meisten Menschen aktuell infizieren und das Virus dann in die Familien und Freundeskreise verschleppen. Dafür braucht es weder Daten aus "Luca", noch von "Darf-ich-rein" oder "Vireless". Die riesigen Datenschätze, die Luca oder andere Apps, in ihren digitalen Wolken angelegt haben, werden also von den Behörden nicht gehoben. Beim Coronausbruch in einer Herforder Diskothek am Freitag, 23. Juli, wären die Ämter durch die digitale Kontaktverfolgung rasch überfordert worden. Zunächst war in Presseberichten von 1.200 möglichen Erstkontakten die Rede. Die Rückverfolgung sei jedoch "sehr übersichtlich" gewesen, so Kreissprecher Patrick Albrecht, "weil die infizierte Person an diesem Abend eine sehr geringe Anzahl von Kontaktpersonen hatte." Daten aus Luca oder einer anderen App zur Nachverfolgung hatten deshalb, so Albrecht, "keine Relevanz". Stattdessen wurden alle Besucher der Diskothek aufgefordert, sich testen zu lassen. Auch der Krisenstab des Kreises Minden-Lübbecke hat die Diskogänger aus dem Mühlenkreis nach dem Coronaausbruch in Herford zum Test aufgefordert, berichtet Kreissprecherin Sabine Ohnesorge. Und ein weiteres Mal nach einem vergleichbaren Coronaausbruch in Hannover. Daten der Luca-App oder einer anderen digitalen Datensammlung wurden in diesem Zusammenhang vom Gesundheitsamt des Kreises Minden-Lübbecke aber nicht abgerufen. Die Luca-App ist seit Anfang März 2021 im Mühlenkreis einsatzbereit, im Kreis Herford seit Anfang April. Landrätin Anna Bölling (CDU) und Landrat Jürgen Müller (SPD) haben sich für die Einführung Luca-App stark gemacht, nachdem der Sänger Smudo in einer Fernseh-Talkshow die App präsentierte. Beide Kreise verwiesen damals zur Begründung auf die Gastronomie, die den Wunsch nach einem einheitlichen System an die Ämter herangetragen hatten. Dabei hatte der Gastro-Verband Dehoga zu diesem Zeitpunkt längst eigene Systeme der digitalen Kontaktverfolgung ausgetüftelt. Ein Fernsehauftritt mit Folgen 13 Bundesländer haben nach dem Fernseh-Auftritt Lizenzen der Luca-App mit Steuergeldern gekauft. NRW war nicht dabei. Bis heute wird die App nicht von allen Gesundheitsämtern im Land unterstützt. In Minden sind die Voraussetzungen dafür Anfang März geschaffen worden, in Herford seit Anfang April. Die Betreiber der Luca-App selbst sprechen von 1.750 Abfragen durch Gesundheitsämter von Juni bis August und 126.000 Infektionsketten, die womöglich unterbrochen wurden. Auch in der Eisdiele "Cordella" haben sich die Betreiber mit der App beschäftigt. Margherita d'Amuri hat mit ihrer Schwester pünktlich zur Wiederöffnung im Sommer QR-Codes für jeden Tisch einzeln generiert und geklebt. 80 Prozent der Gäste, erzählt sie, haben sich seither stets über Luca eingeloggt. Die anderen Gäste mussten weiter Zettel ausfüllen. Die meisten Luca-Nutzer war ältere Semester. Die jüngeren kannten die App wohl gar nicht. Dass das Gesundheitsamt die Kontaktdaten gar nicht haben wollte, nimmt d'Amuri mit einem Lachen zur Kenntnis. Luca war offensichtlich die Lösung für ein Problem, dass die Bürokratie in der Coronakrise erst selbst geschaffen hatte: die Zettelwirtschaft. Vom Ende der Kontaktverfolgung hat Margherita d'Amuri übrigens nicht durch die Stadt Bad Oeynhausen oder den Krisenstab des Kreises Minden-Lübbecke erfahren, sondern durch eine E-Mail des Luca-Betreibers aus Berlin. Da stand sinngemäß, erzählt sie, dass man den Service weiter aufrecht erhalten wolle, auch wenn die Nutzung künftig in NRW freiwillig sei. Margherita d'Amuri findet das gut. Die QR-Codes bleiben vorerst in der Eisdiele kleben: "Die vierte Welle ist noch nicht vorbei."

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