Geplante ICE-Trasse: Mit Tempo 300 durch die Hintertür

Bad Oeynhausen. Der Planungsauftrag des Bundesverkehrsministeriums für eine ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse quer durch Ostwestfalen-Lippe steht womöglich auf wackligen Füßen. Das Ministerium rechtfertigt den Auftrag auf Anfrage der NW mit dem Entwurf eines künftigen Fahrplans im Fernverkehr, dem Deutschlandtakt. Den gab’s aber noch gar nicht, als Bundestag und Bundesregierung im Jahr 2016 dem Ausbau zwischen Hannover und Löhne zustimmten. Bundestag und Bundesregierung sind von Tempo 230 auf den bestehenden Gleisen ausgegangen. Der SPD-Politiker Lothar Ibrügger aus Minden, hält die aktuelle Planung nicht für legitim und fordert ein Deutschlandtakt-Gesetz. Derzeit sucht ein Projektteam der Bahn eine Strecke zwischen Hannover und Bielefeld, auf der Züge mit bis zu Tempo 300 in 31 Minuten durchfahren können. Die Planer müssen offenbar eine möglichst kurvenfreie Eisenbahnstrecke abseits der bestehenden Gleise finden. Das bedeutet: quer durch die Landschaft und abseits der bestehenden Gleise – vielleicht auch durch Bad Oeynhausen. Fahrtzeit wohl nicht zu schaffen In den betroffenen Regionen regt sich deshalb Widerstand. In Bad Oeynhausen stehen bisher nur auf der Lohe vereinzelt Dreiecke in den Vorgärten. Diese Dreiecke hat die Initiative Widuland aus Vlotho entwickelt. Sie sollen den Blick für die heimische Landschaft schärfen und gelten als Zeichen für den Ausbau der alten Trasse. Die Eisenbahnstrecke nach Hannover schlängelt sich seit 1847 durch die Landschaft mit Abstechern nach Minden und Wunstorf, wo plötzlich nur noch zwei statt vier Gleise Staus auf der Schienenstrecke verursachen. In NRW dürfen Züge zudem bloß Tempo 160 und in Niedersachsen bis zu Tempo 200 fahren. 31 Minuten Fahrtzeit zwischen Bielefeld und Hannover wären auf diesen Gleisen wohl nicht zu schaffen. Ministerium legt zwei verschiedene Projektpläne vor Der Bundestag hat 2016 den Ausbau mit Neubauanteilen beschlossen. Eine neue Strecke stand gar nicht zur Debatte, als das Schienenwegeausbaugesetz mit dem Bedarfsplan Schiene verabschiedet wurde. Im Gegenteil. Selbst das Bundesverkehrsministerium hat vor fünf Jahren noch ausdrücklich den Ausbau der Engstelle zwischen Minden und Wunstorf von zwei auf vier Gleise geplant. Zwischen Bad Oeynhausen und Seelze sollten die Züge Tempo 230 fahren können, was acht Minuten Fahrtzeit gebracht hätte. Alles das findet sich bis heute im Bundesverkehrswegeplan, der vom Bundeskabinett am 3. August 2016 beschlossen und dem Bundestag vorgelegt wurde. Das Verkehrsministerium hat den Plan aber inzwischen geändert und will Höchstgeschwindigkeit. Wieso muss es plötzlich Tempo 300 sein? Die Bürgerinitiative &bdquo;Auetal in Not" hat den Widerspruch im nachträglich aktualisierten Bundesverkehrswegeplan entdeckt. Inzwischen gibt es zwei Versionen des Plans im Projektinformationssystem des Ministeriums. Initiator Peter Jenkewitz forderte Aufklärung über eine Petition. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Dabei drängt die Zeit aus Sicht der Betroffenen, der Verkehr auf der Autobahn 2 wächst stetig an. Nicht nur die Auetaler hoffen auf Entlastung. Sie fordern: Die Lkws sollen von der Straße auf die Schiene, aber nicht über eine einen dritten Verkehrsweg durchs Auetal geführt werden. Die gleichen Argumente gibt es auch in OWL. Die Engstelle zwischen Minden und Wunstorf steht seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda. Getan hat sich nichts. Statt zügig zwei Gleise anzubauen, waren den wechselnden Verkehrsministern ständig andere Dinge im Eisenbahnverkehr wichtiger. 2016 stufte das Ministerium die Strecke dann unerwartet doch in den &bdquo;vordringlichen Bedarf". Der Pferdefuß: Um Zeit zu sparen, wollten die Bahner mit dem Zug durch den Jakobsberg. Fußnote verhindert Jakobsberg-Tunnel Das aber wollte der Bundestag nicht und rollte den Eisenbahnern Steine in den Weg. In einer Fußnote zum Gesetzestext stellten die Abgeordneten Verbotsschilder auf: &bdquo;Ohne Querung Seelze-Süd und ohne Tunnel Jakobsberg unter der Maßgabe, dass die für einen Deutschlandtakt erforderliche Fahrzeitverkürzung von voraussichtlich acht Minuten erreicht wird." So steht es in Anlage 1 zum Gesetzestext, Fußnote 3. Fünf Jahre später dreht das Bundesverkehrsministerium den Spieß um. Die &bdquo;mindestens acht Minuten Fahrzeitverkürzung" seien &bdquo;explizit in einer Fußnote des Bedarfsplans festgehalten, um alternative Strecken mit längeren Fahrzeiten auszuschließen", schreibt das Ministerium auf Anfrage der NW. Die Fußnote wird damit zur Grundlage der Hochgeschwindigkeitspläne. Zudem haben sich &bdquo;die verkehrlichen Anforderungen an das Vorhaben weiter erhöht", erläutert das Ministerium mit Blick auf den Zielfahrplan Deutschlandtakt, der als dritter Gutachterentwurf im Sommer 2020 veröffentlicht wurde. Damit also in Hamm und Hannover das Umsteigen gelingt, müssen die Züge dazwischen erheblich schneller fahren: in 31 Minuten zwischen Hannover und Bielefeld. Der Deutschlandtakt, so das Ministerium, sei &bdquo;maßgeblich für die Planungen". Und daran soll auch nicht mehr gerüttelt werden. Ein Taktfahrplan als Leitgedanken der deutschen Eisenbahnplanung findet der Mindener SPD-Politiker Lothar Ibrügger grundsätzlich gut. Ibrügger war zwischen 1998 und 2000 selbst parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und zuständig für die Eisenbahn. Ibrügger bezeichnet den Deutschlandtakt-Entwurf als &bdquo;reine Angebotsvision". Damit könne kein Baurecht begründet werden. Ibrügger hält das Planungsverfahren der Bahn deshalb nicht für rechtssicher, solange der Bundestag nicht zustimmt. Das könnte die Verkehrswende um weitere Jahre verschleppen. Schon jetzt sei nicht vor 2042 mit der Fertigstellung der neuen Gleise zu rechnen, so Ibrügger. Die Engstelle bei Wunstorf könne aber deutlich schneller beseitigt werden. Minister fragt Lobbygruppen statt gewählter Volksvertreter Der Deutschlandtakt ist ein zerbrechliches mathematisches Gebilde. Er ist so konstruiert, dass Züge zur gleichen Zeit in den Bahnhof ein- und ausfahren. Tun sie das nicht, hat das Auswirkungen auf das gesamte System. Dieser Fahrplan bedeutet eine Revolution für Eisenbahndeutschland. Diese Revolution kommt aber auf leisen Sohlen durch die Hintertür. Nach Auskunft des Ministeriums ist der Deutschlandtakt das Ergebnis eines &bdquo;breit angelegten Abstimmungsprozesses". Beteiligt waren demnach zahlreiche &bdquo;Stakeholder". Mit diesem Begriff aus der Betriebswirtschaftslehre sind die Eisenbahnlobby, Fahrgastverbände, Verkehrsverbände, Landesregierungen und ihre Nahverkehrsverbände gemeint - aber nicht die gewählten Volksvertreter im Bundestag. Lothar Ibrügger fordert deshalb ein Deutschlandtakt-Gesetz, um das Eisenbahn-Planungsverfahren auf eine legitime Grundlage zu stellen. Die Neubaustrecke zwischen Hannover und Bielefeld sei außerdem wegen der zu erwartenden Kosten gescheitert, findet er. 2004 habe die Bahn den Ausbau der Bestandsstrecke noch für 550 Millionen Euro vorausgesagt. 2016 sei bereits von zwei Milliarden Euro und Neubau-Anteilen die Rede gewesen. Inzwischen geht Ibrügger auf der Grundlage der Schüßler-Plan-Untersuchung mit bis zu 5,7 Milliarden Euro für das Jahr 2012 aktuell von Baukosten zwischen acht und zehn Milliarden Euro aus. Je weiter das Projekt in die Zukunft geschoben wird, desto höher dürfte die Rechnung am Ende ausfallen. In diesen Tagen geht die Bahn mit ihrem Projekt &bdquo;Hannover-Bielefeld" an die breite Öffentlichkeit. Im Herbst ist dann Bundestagswahl. Danach muss sich zeigen, ob womöglich ein grüner Verkehrsminister an den Planungen festhält. Lothar Ibrügger rechnet mit weiteren Änderungen: &bdquo;Bis 2042 wird noch fünf- bis sechsmal eine neue Bundesregierung gewählt."

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