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Lothar Schmalen
04.04.2019 | 04.04.2019, 21:51
Düssedorf/Lügde. Die Zahl der Opfer im Fall des tausendfachen Kindesmissbrauchs in Lügde hat sich von 36 auf 40 Kinder erhöht. Außerdem gibt es weitere 12 Verdachtsfälle. Damit hat die Zahl der möglichen Opfer die Grenze von 50 überschritten. Das hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss des Landtags mitgeteilt. Außerdem hat sich die Zahl der Beschuldigten von sieben auf acht erhöht, weil inzwischen einem weiteren Verdächtigen Beihilfe zum Kindesmissbrauch vorgeworfen wird.
Offenbar sind der Polizei in Lippe bei den Ermittlungen in dem Fall weitere schwere Fehler unterlaufen. Wie aus den Berichten von Reul im Innenausschuss hervorgeht, ist bei den Vernehmungen der Kinder kein spezifisch fortgebildetes Sexualfachpersonal beteiligt gewesen. „Der einzige entsprechend ausgebildete Beamte der Kreispolizeibehörde Lippe hat an den Vernehmungen der Kinder nicht teilgenommen", sagte Reul. Als er gefragt wurde, warum nicht, schob er nach: „Fragen Sie das den Behördenleiter in Lippe."
Polizistinnen ohne Expertise für Anhörung der Opfer
Wie Reul auf Anfrage der SPD weiter mitteilte, seien die Vernehmungen von drei Beamtinnen durchgeführt worden, eine davon habe über eine Fortbildung zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern sowie zur Bearbeiten von Jugendstrafsachen. Eine zweite Beamtin sei speziell für Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen ausgebildet.Hartmut Ganzke, innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion und Rechtsanwalt von Beruf, äußerte im Ausschuss die Auffassung, dass dies möglicherweise noch schwerwiegende Auswirkungen auf das Strafverfahren haben könne.
Möglicherweise müssen die missbrauchten Kinder deshalb noch ein zweites Mal vernommen werden, in einem Fall sei dies auch bereits geschehen, sagte Verena Schäffer, die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Daraus könnten sich nicht nur Widersprüche in den Aussagen ergeben, sondern auch Retraumatisierungen der jungen Opfer, so Schäffer weiter.
Nicht wirklich entkräften konnte Innenminister Reul den Vorwurf, dass er erst fast drei Wochen, nachdem er erfahren hatte, dass die Zahl der Opfer möglicherweise auf 30 oder mehr steigen könnte, den Fall von der relativ kleinen Kreispolizeibehörde Lippe an das ungleich größere Polizeipräsidium Bielefeld übertragen hat.
Bereits am nächsten Tages wurden die Ermittlungen Bielefeld übertragen
Auffälligerweise fehlt in der Zeitleiste, die Reul gestern dem Innenausschuss des Landtags vorlegte, der Hinweis, dass die Polizei Lippe in einem Bericht an das Landeskriminalamt vom 11. Januar bereits von 30 oder mehr Opfern sprach. In der Terminaufstellung von gestern war nur noch die Rede davon, dass das Innenministerium erst durch eine Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft in Detmold am 30. Januar von bis zu 1.000 Einzeltaten erfahren habe. Bereits am Vormittag des nächsten Tages seien die Ermittlungen wegen des Umfanges und der erhöhten Komplexität an das Polizeipräsidium in Bielefeld übertragen worden.
"Ein verheerendes Signal an die Bevölkerung"
Im Innenausschuss stand der Fall Lügde diesmal im Schatten des neuen Falls von schwerem Kindesmissbrauch durch einen Physiotherapeuten für Kinder- und Jugendliche in Bad Oeynhausen. Auch hier hat die Polizei offenbar schwere Fehler gemacht und den nötigen Nachdruck bei den Ermittlungen vermissen lassen. Hartmut Ganzke (SPD) machte seinem Ärger Luft. Mehr als ein Jahr lang habe die Polizei offenbar nichts anderes unternommen, als drei Mal an der Haustür des Beschuldigten zu klingeln. „Ein verheerendes Signal an die Bevölkerung", sagte Ganzke.
Von einem „ungeheuerlichen" Verhalten der Polizei sprach AfD-Fraktionschef Markus Wagner, der selbst aus dem Kreis Minden-Lübbecke kommt. „Wir sind fassungslos", reagierte die Grüne Verena Schäffer auf die neuen Informationen von Reul.
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