Sexualverbrechen Lippe

Missbrauchsfall Lügde: Immer mehr Details zum Polizeiversagen

Ein Sonderermittler legt im Innenausschuss katastrophale Fehler der Polizei offen. Innenminister Reul zieht weitere personelle Konsequenzen

Mittlerweile stehen die Verantwortlichen der Ermittlungen unter Druck. | © picture alliance

Lothar Schmalen
26.02.2019 | 27.02.2019, 05:30

Lügde/Düsseldorf. Nach Ansicht des Sonderermittlers des Landeskriminalamts im Fall Lügde, Ingo Wünsch, ist das gesamte Ermittlungsverfahren im Fall des 1000-fachen Kindesmissbrauchs in Lügde bis zur Übernahme des Verfahrens durch das Polizeipräsidium Bielefeld von schweren handwerklichen Fehlern und fehlender Führungsverantwortung geprägt gewesen. Wünsch, der Leiter der kriminalpolizeilichen Fachaufsicht des Landeskriminalamtes ist, sprach von einem völlig unzulässigen Umgang mit Beweismaterial.

Nur fünf Stunden für 155 Datenträger

So hat Wünsch ermittelt, dass ein Kriminalkommissariats-Anwärter sich lediglich fünf Stunden lang mit den insgesamt 155 Datenträgern beschäftigt habe, die bei der Durchsuchung im Campingwagen und in einer Wohnung beschlagnahmt worden seien. In dieser Zeit 155 Datenträger zu sichten, sei schon "sehr sportlich", sagte Wünsch in der Sondersitzung des Innenausschusses zum Fall Lügde.

Offenbar hat der Kommissariatsanwärter, der nur von drei der 155 Datenträger eine Sicherungskopie angefertigt habe, die Mappe mit 49 CDs und den Alu-Koffer mit 106 CDs nach seiner Arbeit einfach auf dem Schreibtisch eines normalen Arbeitsraumes stehen lassen. Dort sind sie dann irgendwann zwischen dem 13. Dezember und 30. Januar verschwunden.

Keiner will den Studenten beauftragt haben

Der von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eingesetzte Sonderermittler skizzierte eine beispiellose Kette des Versagens in der Kreispolizeibehörde Lippe. "Im Ergebnis gab es schwere handwerkliche Fehler, die sich potenziert haben", bilanzierte er. "Verantwortliche Führung ist nicht erkennbar."

Wer den Studenten beauftragt habe, sei nicht zu klären. Die Durchsuchungsberichte der Polizeibehörde seien "oberflächlich", die Dokumentation schlecht gewesen. Das Polizeipräsidium Bielefeld, das den Fall übertragen bekommen hat, habe bei einer erneuten Tatortbesichtigung in der vergangenen Woche weiteres Beweismaterial im Wohnwagen des Hauptverdächtigen gesichtet, darunter 131 CDs.

Reul zieht personelle Konsequenzen

Für Wünsch steht auch infrage, ob die Datenträger, selbst wenn sie jetzt wieder auftauchen würden, jemals wieder als Beweismittel verwendbar seien. Niemand könne wissen, was in den 50 Tagen, in denen sie verschwunden sein können, mit ihnen passiert sei.

Zurzeit wird gegen 14 Amtsträger wegen ihres Verhaltens im Fall des tausendfachen Missbrauchs von Lügde ermittelt, darunter sind acht Mitarbeiter von Jugendämtern, vier Mitarbeiter weiterer Jugendorganisationen und zwei Polizeibeamten. Außerdem ist nach dem Leiter der Kriminalpolizei Wolfgang Pader jetzt auch Polizeichef Bernd Stienkemeier von seinen Aufgaben entbunden. Er steht seit drei Jahren an der Spitze der Polizei im Kreis Lippe. Laut einer Mitteilung der Polizei Lippe wird Stienkemeier zum Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW in Brühl versetzt. Damit hat Innenminister Herbert Reul weitere Konsequenzen aus den schweren Versäumnissen der Polizei im Umgang mit dem Kindesmissbrauchsfall in Lügde gezogen.

Neue kommissarische Polizeichefin und damit Nachfolgerin von Bernd Stienkemeier wird Margit Picker, die bisher beim Landeskriminalamt war. Neuer Leiter der Direktion K in Lippe (Nachfolger von Wolfgang Pader) soll Matthias Brand, bisheriger Leiter der Führungsstelle Kriminalität bei der Bielefelder Polizei, werden.