
Düsseldorf/Lügde. Der Kreis der Beschuldigten und Verdächtigten im Fall des 1.000-fachen Kindesmissbrauchs in Lügde ist größer geworden. Neben den drei Beschuldigten, die bereits länger in Untersuchungshaft sitzen, ist gegen einen weiteren Beschuldigten ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung eingeleitet worden. Er soll Daten manipuliert haben.
Darüber hinaus werden zwei weitere Personen der Beihilfe verdächtigt. Dies hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss des Landtags mitgeteilt.
Außerdem hat die Kreispolizei Lippe gegen zwei Blomberger Polizeibeamte Disziplinarverfahren eingeleitet. Den Beamten werden Versäumnisse im Umgang mit frühen Hinweisen auf den Missbrauch vorgeworfen. Sie sollen 2016 Hinweise zwar an das Jugendamt Lippe, aber nicht an Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft weitergegeben haben. Ob es auch strafrechtliche Verfahren gegen Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter geben wird, ist noch unklar.
Sonderorganisation der Bielefelder Polizei im Einsatz
Innenminister Herbert Reul machte im Innenausschuss am Donnerstag auch deutlich, dass die Polizei die Ermittlungen, die jetzt von einer 51-köpfigen Sonderorganisation der Bielefelder Polizei übernommen wurden, mit Hochdruck weitertreibe.
In dem Fall geht es auch um Kinderpornografie im Internet. Die Ermittler hätten bei den drei Tatverdächtigen 15 Terabyte digitale Daten (das entspricht 15.000 Gigabyte) sichergestellt, berichtet der Minister. Nach einer ersten Sichtung, Bewertung und technischen Aufbereitung im Polizeipräsidium Bielefeld sei klar, dass insgesamt vier Terabyte ausgewertet werden müssten.
Um diese riesige Datenmenge verarbeiten zu können, hat Reul veranlasst, dass die mit 51 Polizeibeamten besetzte „Besondere Aufbauorganisation" in Bielefeld durch das Landeskriminalamt NRW sowie die Polizeipräsidien Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln und Münster personell unterstützt werde. Außerdem werde die Bielefelder Polizei mit zusätzlichen Computerarbeitsplätzen und technischen Möglichkeiten ausgestattet.
Konsequenzen für die Jugendämter?
Unklar ist zurzeit noch, ob es auch strafrechtliche Ermittlungen gegen Jugendamtsmitarbeiter geben wird. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm sieht zwar keinen Grund für solche Ermittlungen, hat aber noch einmal einen Nachbericht des Detmolder Oberstaatsanwalts angefordert. Abgeschlossen sind die Verfahren also nicht.
Im Familien- und Jugendausschuss berichtete Minister Joachim Stamp (FDP) über Konsequenzen, die er für die Jugendämter ziehen will. Der Familienminister bezeichnete es als alarmierend, dass im Fall des Kindesmissbrauchs von Lügde offenbar alle Frühwarnsysteme bei den Jugendämtern, Schulen und Kitas versagt hätten. Er kündigte einen ganzen Katalog von Überprüfungen und Maßnahmen an.
Auch wenn die Aufsicht über die Jugendämter eigentlich Aufgabe der Kommunen ist, sieht Stamp sein Ministerium in der Pflicht, zu analysieren, ob bei den Jugendämtern in puncto Verhinderung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder „strukturelle, personelle, organisatorische und fachliche Defizite vorliegen". Dabei werde es um die „quantitative und qualitative personelle Ausstattung" der Ämter gehen.
Anforderungen an Pflegefamilien unter der Lupe
Auch die Frage, ob die Jugendämter in ihrer bisherigen Organisationsstruktur die nötige Größe hätten, um handlungsfähig zu sein, werde eine Rolle spielen. Bislang haben große und mittlere kreisangehörige Städte in NRW eigene Jugendämter. Für kleinere Gemeinden sind die Jugendämter der Kreisverwaltungen zuständig. Insgesamt gibt es in NRW 168 Jugendämter.
Nach Stamps Auffassung müssen auch die qualitativen Anforderungen an Pflegefamilien und deren Begleitung durch das Jugendamt in den Blick genommen werden. Im Fall Lügde stellt sich bekanntlich die Frage, warum der Hauptbeschuldigte trotz seiner Lebensverhältnisse überhaupt Kinder betreuen durfte.