
Kreis Höxter. Kopfschütteln, Entsetzen und immer lauter werdende Rufe nach Neuwahlen – das ist das überwiegende Stimmungsbild bei den Funktionsträgern der Parteien im Kreis Höxter nach dem Beben, das die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten ausgelöst hat.
Kemmerich war am Mittwoch mit den Stimmen der AfD zum neuen Regierungschef gewählt worden und am darauffolgenden Tag wieder zurückgetreten. Jetzt stehen die Zeichen auf Neuwahlen. Gleichzeitig kündigen die Sprecher von SPD, CDU, Grünen und Linken an, sich an der Gegenveranstaltung am 28. März anlässlich der Kundgebung mit dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu beteiligen. Die FDP will darüber noch beraten, schloss eine Teilnahme aber nicht aus.
SPD
„Das ist alarmierend. Das ist beunruhigend. Das ist ein Schlag auch ins Gesicht der Demokratinnen und Demokraten, die gerade in diesen Tagen in Höxter ein buntes Fest vorbereiten wollen, um klare Kante zu zeigen gegen Rechtsextreme und faschistoide Auftritte", meint der Kreisvorsitzende der SPD, Helmut Lensdorf, in einer Stellungnahme zur Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen. Kemmerich habe sich „ausgerechnet mit Stimmen der AfD wählen lassen, dessen rechtsextremer Vormann seine menschenverachtenden Parolen im März in der Weserstadt von sich geben will." Die demokratischen Kräfte im Kreis Höxter fordert Lensdorf auf, „klare Kante zu zeigen".
Nora Wieners, stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende ergänzt: „CDU und FDP müssen jetzt erst recht auch hier im Kreis Höxter den Schaden an der Demokratie, der durch ihre Fraktionen im Erfurter Landtag bei der Ministerpräsidentenwahl entstanden ist, eindämmen. Sie müssen hier für Vielfalt in Freiheit und Sicherheit einstehen."
Hans-Josef Held, SPD-Stadtverbandsvorsitzender in Höxter, hält das Verhalten von FDP und CDU am Mittwoch im thüringischen Landtag für nicht tolerierbar. „Die wussten genau, was sie taten." Jetzt müsse es so schnell wie möglich Neuwahlen geben.
CDU
Als „Chance für Thüringen" sieht der CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christian Haase, die vermutlichen Neuwahlen. Er schlägt vor, dass sich „die demokratischen Parteien vorab auf einen neuen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten einigen. Die Hauptaufgabe des neuen Ministerpräsidenten wird es dann sein, die Thüringer Bevölkerung zu einen." Nur so könne die Spaltung des Landes überwunden werden. Eine Zusammenarbeit mit der AfD und den Linken lehne er „entschieden ab".
Der Höxteraner CDU-Stadtverbandsvorsitzende Georg Moritz geht mit der Thüringer CDU hart ins Gericht. „Sie hat unserer Partei einen sehr schlechten Dienst erwiesen. Bei halbwegs gesundem Menschenverstand hätte man doch sehen müssen, was im dritten Wahlgang passiert", sagt er. Die CDU hätte sich der Stimme enthalten müssen. Moritz kündigte an, dass die Höxteraner CDU sich an der Gegenveranstaltung zum Höcke-Auftritt in Höxter „auf jeden Fall" beteiligen werde. Höcke sei „untragbar für unsere Demokratie. Wir müssen gegen diese Veranstaltung ein Zeichen setzen." Er schlägt vor, am 28. Dezember auch eine ökumenische Andacht anzubieten. „Wir haben mit den Kirchen darüber bereits Gespräche geführt."
FDP
„Ich befürchte, dass unsere Partei großen Schaden genommen hat", sagt die FDP-Kreisvorsitzende Marion Ewers, die ein solches Verhalten ihrer thüringischen Parteikollegen „nie und nimmer" erwartet hatte. Kemmerich hätte im Anschluss die Wahl nicht annehmen dürfen, meint sie und hält jetzt Neuwahlen für unabdingbar. Ob sich die FDP an der Gegenkundgebung zur Höcke-Veranstaltung beteiligen wird, lässt sie offen. „Wir sind sehr zurückhaltend mit solchen Gegenveranstaltungen, weil wir befürchten, dass die AfD dann noch mehr Aufmerksamkeit erhält." Man werde darüber aber noch parteiintern diskutieren.
Hans-Jürgen Knopf, Vorsitzender des FDP-Ortsverbandes Höxter, sieht dies zwar grundsätzlich ähnlich, kann sich in diesem Fall aber vorstellen, an der Gegenveranstaltung teilzunehmen. „Angesichts der Tatsache, dass die AfD mit Björn Höcke ausgerechnet ihren schlimmsten Vertreter, der eindeutig ein Nazi ist, auftreten lässt", sei ein „offener Protest der Höxteraner wünschenswert."
Die Wahl Kemmerichs am Mittwoch im Erfurter Landtag, hält Knopf für eine „riesige Eselei". „Es war doch klar, dass die AfD im dritten Wahlgang genau das macht, was sie gemacht hat." Auch Knopf befürchtet, dass seine Partei einen „beträchtlichen Schaden" genommen hat und nach den Neuwahlen „mit Sicherheit nicht mehr im Thüringer Landtag vertreten sein wird." Möglicherweise gebe es nun auch vermehrt Parteiaustritte.
Die Grünen
Von einer „Mega-Katastrophe" spricht Ricardo Blaszcyk, Kreissprecher der Grünen. CDU und FDP hätten mit dem Feuer gespielt, die eigenen Interessen über die Interessen der Wählerinnen und Wähler gestellt und insgesamt ein „trauriges Bild" abgegeben. CDU und FDP seien der AfD auf den Leim gegangen. „Solche Verfahrensfehler dürfen einer demokratischen Partei nicht passieren". Beim Höcke-Auftritt im März in Höxter würden sich die Grünen an der Gegenveranstaltung beteiligen. Zwar bestehe die Gefahr, dass man damit der AfD noch mehr Aufmerksamkeit zukommen lasse, „es aber einfach so geschehen lassen, ist auch nicht der richtige Weg."
Auch Berno Schlanstedt, Sprecher des Höxteraner Grünen-Ortsverbandes, meint, dass der Höcke-Auftritt in Höxter „nicht unbeantwortet bleiben darf". Er ruft alle demokratischen Kräfte auf, „Höcke entsprechend zu empfangen. Wir müssen klar zeigen, dass es hier eine deutliche Mehrheit auf der anderen Seite gibt." Die Vorgänge in Thüringen bezeichnet Schlanstedt als „Possenspiel" und „Grenzüberschreitung ungeahnten Ausmaßes."
AfD
Peter Eichenseher, Pressespreche des AfD-Kreisverbandes Höxter, verteidigt das Vorgehen seiner Partei im Erfurter Landtag. „Die AfD in Thüringen will die politische Mitte stärken. Sie hatte – im Unterschied zur CDU – den Mut, dies mit einem parteilosen Kandidaten zu tun. Im dritten und letzten Wahlgang hat die AfD den aussichtsreicheren FDP-Kandidaten unterstützt und damit das vor der Landtagswahl erklärte Wahlziel, ,Rot-Rot-Grün abzuwählen taktisch klug umgesetzt."
Eichenseher verteidigt zugleich die Entscheidung des Kreisverbandes, den Rechtsaußen Björn Höcke für eine Veranstaltung in Höxter zu holen. Höcke sei „einer der erfolgreichsten Politiker der AfD. Ich kann an ihm nichts entdecken, was ihn von der Mehrheit der AfD-Mitglieder unterscheiden würde." Die Partei brauche „solche profilierten Leute wie Höcke."
Die Linke
Jörg Volacek, Kreisvorsitzender der Linken, befürchtet, dass nach den Vorkommnissen in Thüringen bei den bürgerlichen Parteien „allmählich Dämme brechen und wir österreichische Verhältnisse bekommen." In Österreich sei die mit der AfD vergleichbare FPÖ mittlerweile salonfähig.
Gegenüber rechtsradikalen Tendenzen dürfe es aber keine Toleranz geben und deshalb werde man sich in Höxter an der Gegenveranstaltung zum Höcke-Auftritt „lautstark beteiligen". Es sei schon „peinlich, dass in Höxter die AfD die besten Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen bekommt", meint Volacek. „Andere Kommunen wehren sich wenigstens so gut es geht". In Höxter sei dies nicht der Fall. Umso wichtiger sei es nun, am 28. März in Höxter „lautstark Nein zu sagen".
INFORMATION
Der Kreisverband der Jungsozialisten ruft zur Teilnahme an der Gegenkundgebung zum Höcke-Auftritt am 28. März in Höxter auf. „Wir sind überzeugt, dass jemand, der die Taten des Nationalsozialismus verharmlost und sich öffentlich gegen eine offene, freie und vielfältige Gesellschaft ausspricht, nichts in unserer Kreisstadt zu suchen hat", schreibt Juso-Kreisvorsitzender Liborius Schmidt. Bei einem Brainstorming am Samstag, 15. Februar, um 10.30 Uhr im Forum Jacob Pins sollen Ressourcen gebündelt und gemeinsam überlegt werden, „wie wir Höcke geschlossen entgegentreten können", so Schmidt. Anmeldungen werden per E-Mail an demokratie-hoexter@gmx.de entgegengenommen.