Herforder Petrikirche live im Fernsehen: So läuft ein TV-Gottesdienst ab

Herford. &bdquo;Achtung, heute Fernseh-Gottesdienst“, steht auf einem Schild am Eingang zur Petrikirche am Herforder Wilhelmsplatz. Und - kaum eingetreten - kommt der Hinweis: &bdquo;Jacken bitte ausziehen und dort drüben aufhängen.“ - Das sieht im Fernsehen sonst wahrscheinlich nicht gut aus, wenn alle eingemummelt in den Bänken sitzen. Bereits zum dritten Mal ist an diesem Sonntag das Fernsehen zu Gast, überträgt den Gottesdienst live im ZDF. Proben gab es im Vorfeld auch schon. Und vor dem Übertragungsstart um Punkt 9.30 Uhr gibt es ein Warmup. 9.15 Uhr: &bdquo;Wir müssen jetzt alle mal ein bisschen in Stimmung kommen“, sagt Pfarrer Bodo Ries und übergibt an Kreiskantor Leon Sowa, der heute auch am Flügel den Gottesdienst begleitet: &bdquo;Steht auf, lockert Eure Schultern, dann klopft ihr Euch am ganzen Körper selbst ab. Das macht wach - auch die Stimme.“ Einige Strophen der geplanten Lieder werden noch ein letztes Mal gemeinsam gesungen, ein paar Hinweise dazu gibt es noch. Und dann wird es still in der Petrikirche, in der überall Kameras und Scheinwerfer stehen und hängen. 9.26 Uhr: Das aufgeregte Gemurmel in der Kirche klingt langsam ab. Hier und dort werden noch ein paar Dehnübungen gemacht. Ein letztes Mal Nase putzen. Leon Sowa wärmt seine Finger fürs Klavierspielen auf. Dann ist es still. Lächeln und laut, akzentuiert singen 9.30 Uhr: Die roten Lichter an den Fernsehkameras leuchten auf, das Klavier setzt ein. Pfarrer Bodo Ries begrüßt alle und deutet auf den Tisch im Zentrum der Petrikirche: &bdquo;Wir laden Euch heute ein und decken diesen Tisch für Euch.“ - Klaviermusik. Gesang der rund 150 Gottesdienst-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer. &bdquo;Die Zeit ist jetzt“, singen sie - laut und akzentuiert. Darauf wurde bei den Proben besonders geachtet, damit der Text auch in den rund 800.000 Wohnzimmern ankommt, in denen für gewöhnlich europaweit der ZDF-Fernseh-Gottesdienst verfolgt wird. &bdquo;Warum nicht jetzt? Ein kleiner Moment kann riesig sein. Zeig der Welt all Deine Farben. Die Zeit ist jetzt. Wir laufen los“, geht es weiter. Viele lächeln beim Singen, auch darauf wurde im Vorfeld hingewiesen. Während des Liedes wird der Tisch in der Mitte der Kirche gedeckt - mit Tischdecke, Tellern, Gläsern, Servietten - wie bei der Vesperkirche im vergangenen Jahr. Und Pfarrer Bodo Ries erzählt von dem Projekt: &bdquo;Und mit einem Mal saßen alle gemeinsam an einem Tisch - ein Bankangestellter neben einem Obdachlosen, eine Schülerin neben einem Rentner. Und der Raum füllte sich mit Gesprächen.“ Auch Akteure der Vesperkirche berichten von ihren Erfahrungen, zum Beispiel Linda, die eine Woche lang dafür zuständig war, die Tagesgerichte auf eine Tafel zu schreiben. &bdquo;Damit jeder wusste, was es gibt. Das hat Spaß gemacht und war wie ein großes Restaurant, in dem es nichts kostet.“ &bdquo;Vesperkirche - das ist Gutes für Leib und Seele“ Auch Henry berichtet: &bdquo;Ich bin Koch hier in Herford im Hotel Pfennigskrug und habe für die Vesperkirche einen Teil des Hauptganges zubereitet.“ Und Schülerin Linda erzählt: &bdquo;Wir haben geholfen als Kellner oder Küchenhilfe. Ich habe beim Kellnern eine ältere Dame kennengelernt und es stellte sich heraus, dass sie früher mit meiner Großmutter zur Schule ging. Wir kamen so ins Gespräch. Das war ein toller Austausch zwischen den Generationen.“ Das abschließende Wort zu diesem Gottesdienstteil über die Vesperkirche hat wieder Pfarrer Bodo Ries: &bdquo;Wir haben festgestellt, dass Gott mitten unter uns war - bei Kasseler und Backfisch und auch anschließend in der Spülküche. Vesperkirche - das ist Gutes für Leib und Seele.“ 9.50 Uhr: Die Predigt startet. Bodo Ries nimmt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg zum Anlass, um über Gerechtigkeitsempfinden und über das Himmelreich zu sprechen. Auch die Funktion der Vesperkirche - &bdquo;alle konnten es sich gut gehen lassen und einander das auch gönnen“ - kommt noch einmal zur Sprache. 9.52 Uhr: Ein Mann aus dem Team des ZDF steht auf, gibt ein Zeichen, indem er eine kurbelnde Bewegung mit den Armen macht - Gas geben, bedeutet das. - Der Sendeplan des ZDF ist genau durchgetaktet. 50 Minuten wird aus Herford gesendet, 45 Minuten soll der Gottesdienst dauern. Bodo Ries spricht die aktuelle Missbrauchs-Thematik offen an &bdquo;Die Vorbereitung auf den Fernseh-Gottesdienst ist für mich eigentlich gut gelaufen. Ich habe mich gefreut, Ihnen von der Vesperkirche zu erzählen - bis Donnerstag“, spricht Bodo Ries weiter. &bdquo;Bis ich von der Studie über sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche erfahren habe. Das Ergebnis ist erschreckend und beschämend.“ Er hoffe, dass die Betroffenen bekommen, was sie brauchen, dass ihr Leid anerkannt werde und ein schneller Aufarbeitungsprozess einsetze. &bdquo;Kirche muss sich offen den Problemen stellen, die die Betroffenen benannt haben. Und wir müssen aufmerksamer sein in Zukunft und füreinander da sein.“ Sängerin Romina Markmann und Trompeter Linus Stickdorn stimmen - begleitet von Leon Sowa am Klavier - das nächste Lied an. Der Tisch in der Kirchenmitte wird ergänzt mit Brot und Wein für das Abendmahl - der Mann vom Fernsehteam zeigt einen Daumen hoch: Der Zeitplan stimmt wieder. Es wird weiter gesungen und nacheinander kommen die Reihen nach vorne zum Abendmahl. Währenddessen endet die Übertragung pünktlich. Lob aus den Reihen der Fernsehzuschauer Bereits kurz nach dem Gottesdienst kann Presbyterin Gerda-Marie Kleine von beinahe durchweg positiven Zuschauerreaktionen berichten. Sie hat sich mit 20 Ehrenamtlichen aus der Gemeinde um die Zuschaueranrufe gekümmert, die immer bei ZDF-Fernseh-Gottesdiensten eingehen und meist von den jeweiligen Gemeindegliedern beantwortet werden. &bdquo;Die allermeisten Anrufer haben den sensiblen Umgang mit dem Thema Missbrauch hervorgehoben. Sie haben gelobt, dass das nicht unter den Tisch gekehrt, sondern angesprochen wurde“, berichtet Kleine. Und noch ein großes Lob habe es mehrfach gegeben: &bdquo;So offen und fröhlich, wie ihr in Herford mit dem Thema Kirche umgeht - das ist etwas ganz Besonderes - das haben viele gesagt.“

Meistgelesen