
Herford. Als junger Mediziner wunderte sich Stephan Blaschke manchmal über die Methoden seines Fachs. Da redete ein Psychiater mit einem Patienten ausführlich über die Zubereitung von Essen. "Der macht nur Larifari, spricht über Kochrezepte", dachte sich Blaschke damals. In seinem Job, das war eine schnelle Erkenntnis, gehe es weniger um Röntgenbilder, Blutwerte und operative Eingriffe - "Belastbares", wenn man so will. Stattdessen steht der Mensch und sein psychisches Wohl im Mittelpunkt der Betrachtung. Ein paar Jahrzehnte später ist der heute 52-jährige Blaschke Chefarzt der Klinik für Psychiatrie an der Schwarzenmoorstraße. Seit gut 100 Tagen bekleidet er das Amt, sein Interesse für die menschliche Psyche begleitet ihn aber seit seinem Studium in Bayern.
Blaschke verbringt seine Kindheit und Jugend in der Nähe von Würzburg, wo er sein Abitur abschließt. Bei den Johannitern im Rettungsdienst und Katastrophenschutz wächst sein Interesse für Medizin. Deshalb schreibt er sich in der unterfränkischen Universitätsstadt für ein Studium ein. Später zieht es ihn nach Marburg. "Eigentlich wollte ich Neurologe werden", sagt er rückblickend. Doch nachdem er 1995 sein Studium abschließt, zieht es ihn für ein Jahr nach Gelsenkirchen. Blaschke wird Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. "Ich habe gemerkt, mir liegt das mehr." Eine Zeit lang ist er aber überdies in der Neurologie tätig.
Chefarzt Agelink lotste ihn nach Herford
Im Jahr 2005 zieht es ihn dann schließlich vom Ruhrgebiet nach Herford. Mit dem damaligen Chefarzt Marcus-Willy Agelink baut er die neue Klinik auf. "Ich war sein Außenminister", sagt Blaschke mit Blick auf die damalige Zeit. Er habe im Kreis Herford den Kontakt nach außen, zu psychosozialen Netzwerken gesucht. Der Aufgabe geht er noch heute etwa im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) nach. Nach der Ära Agelink und dem Fortgang von Michael Kellner, der einige Jahre als Chefarzt tätig war, hat Blaschke diese Position Anfang April übernommen.
An der Schwarzenmoorstraße selbst und den Standorten der Tageskliniken in Herford und Bünde arbeiten rund 50 bis 60 Menschen: Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Therapeuten, Verwaltungsmitarbeiter. Hinzu kommen rund 70 bis 80 Pflegekräfte. "Es ist sicherlich kein einfaches Arbeiten. Es sollten Leute sein, die das wirklich möchten", erklärt Blaschke. Denn mit den Patienten gingen die unterschiedlichsten Krankheitsbilder einher: Depressionen und Suchterkrankungen seien die häufigsten Fälle. Bei Letzteren sei es oft der Alkohol, zunehmend auch Medikamente und illegale Drogen, die eine Inanspruchnahme von Hilfe nötig machten.
Teilweise spiegelt sich in den Therapien ein Stück aktueller Entwicklungen wider: Eine Gesellschaft, die "schneller, effizienter" werde, sei ein Faktor. "Es gibt zunehmende Belastungen", erklärt Blaschke. Daneben beobachtet er einen "gewissen Trend zur Psychiatrisierung". Nicht jeder Kummer und jede Traurigkeit ist Ausdruck einer Krankheit. Ein Grund dafür könnte die Individualisierung, der schwindende Zusammenhalt in Familien, Vereinsamung und solche Aspekte sein, die vor Jahrzehnten noch nicht in der Form präsent gewesen sind.
Blaschke hat weitere Ziele für die Klinik
Vielen könnte in der Klinik geholfen werden. Wichtig sei aber auch das Eingeständnis, nicht allmächtig zu sein. Das sagt Blaschke, der als Chefarzt weiterhin den Kontakt zu den Patienten sucht. Er, der in einem weißen Kittel Statussymbol oder Schutzausrüstung sieht und daher beides nicht braucht, hat für die Zukunft der Klinik weitere Pläne: Zum einen möchte er spezifischere Angebote für Menschen mit chronischen Depressionen entwickeln. Zum anderen kann er sich eine qualifiziertere Beratung für suchterkrankte Menschen - gerade in Bezug auf Alkohol - vorstellen.
Bleibt die Frage, was es mit den Kochrezepten damals auf sich hatte. Es sei darum gegangen, die Stärken und Ressourcen des Patienten herauszustellen, erklärt der Chefarzt. Statt darauf zu schauen, was alles nicht funktioniert, könne durch den positiven Fokus einiges durch "kognitives Umstrukturieren" in Bewegung geraten. Mit Larifari hatte das also nichts gemein, die Person damals konnte schlichtweg gut kochen und sich an diese Stärke im Gespräch erinnern.