Ausstellung im Zellentrakt hat Jehovas Zeugen zur NS-Zeit zum Thema

Herford. "Hinter der gewaltigen Zahl von sechs Millionen während des Nationalsozialismus ermordeter Menschen jüdischen Glaubens scheinen andere Opfergruppen fast zu verschwinden", sagte Christoph Laue bei der Vorstellung der kommenden Ausstellung in der Gedenkstätte Zellentrakt: Sie heißt "Standhaft" und beschäftigt sich mit den Zeugen Jehovas. "Die Religionsgemeinschaft war die erste, die während es Dritten Reiches verboten wurde", sagte Laue. Das Verbot trat bereits am 18. April 1933 in Kraft. Von den rund 25.000 "Ernsten Bibelforschern" in Deutschland waren etwa 10.700 unmittelbar verfolgt, 1.000 von ihnen starben in Arbeits- oder Konzentrationslagern. Dazu kamen weitere Verfolgte und Todesfälle in den von Deutschland besetzten Gebieten. So weit die nüchternen Zahlen. Die Ausstellung "Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime" dokumentiert auf 48 Schautafeln Leiden, Diskriminierungen und Repressalien, denen die Zeugen Jehovas, individuell und als Religionsgemeinschaft ausgesetzt waren. Die Herforder Ausstellung wurde vom Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas in Selters zusammengestellt. Gezeigt werden außerdem Aquarelle von Johannes Steyer (1908-1998), der zehn Jahre in Konzentrationslagern eingesperrt war und seine Erinnerungen an diese Zeit mit Pinsel und Farbe festhielt. Auf zehn lokalen Tafeln werden Biografien von der Verfolgung Betroffner und typische Formen der Folgen wie Berufsverbot, Denunziation, Kindesentzug, Haft, KZ bis zu Todesurteile exemplarisch dokumentiert. Verweigerung führte früh zum Konflikt mit dem NS-Regime "Die Zeugen Jehovas gerieten früh mit dem Regime in Konflikt, unter anderem wegen ihrer strikten Weigerung, Militärdienst zu leisten, sich in eine der diversen NS-Massenorganisationen einzugliedern oder den Hitler-Gruß zu entbieten", sagte Laue, "mit dem deutschen Angriff auf Polen und fortschreitender Kriegsdauer intensivierte sich die Verfolgung zusehends". Für den Bereich der Orte Löhne, Vlotho, Herford, Bünde und der Ortschaften des heutigen Hiddenhausen sind für die Zeit ab 1933 etwa 100 Angehörige der Glaubensgemeinschaft nachweisbar. Mindestens 40 davon standen bis 1945 vor unterschiedlichen Gerichten, 35 wurden zu Haftstrafen verurteilt, sechs von den Verurteilten in Konzentrationslager verbracht. Die Haftdauer schwankte zwischen sechs Wochen und sieben Jahren, inklusive der Zeit in den KZs. Insgesamt acht Zeugen Jehovas aus dem Raum Herford verloren ihr Leben, vier von ihnen nach Verurteilungen durch das Reichskriegsgericht. Auch zwei Fälle von Kindesentzug sind nachweisbar, ein Kind wurde in einem Erziehungsheim der Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) untergebracht, eins bei einer regimetreuen Familie in Herford. Einer der dokumentierten Fälle ist der des am 22. März 1899 geborenen Friedrich Meyer, dessen Schicksal der Hiddenhauser Jochen Schlüer, Mitglied der Herforder Gemeinde der Zeugen Jehovas, erforschte. Prozessakten bringen Ansätze für die Forschung "Meyer war mein Großvater und gehörte zu Verurteilten eines Sondergerichtsprozesses gegen 22 Zeugen Jehovas im Mai 1937 im Herforder Amtsgericht", sagte Schlüer: "Er wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die Strafe galt allerdings nach sieben Monaten Untersuchungshaft als verbüßt." Bereits am 18. Mai hatte er wegen seiner "illegalen Tätigkeit", der "Weitergabe von Zeitschriften", seine Stelle als Justizangestellter beim Amtsgericht verloren. "Im Februar 1945 wurde er erneut verhaftet, weil er wiederholten Stellungsbefehlen zum Volkssturm nicht gefolgt war", sagte Schlüer. Zum Prozess vor dem Standgericht kam es nicht mehr, möglicherweise weil ehemalige Kollegen ihn ins Jugendgefängnis verlegen lassen und so der direkten Aufmerksamkeit der Behörden entzogen hatten. Am 4. April 1945 wurde er von den amerikanischen Besatzungstruppen, die Herford vor den Briten erreicht hatten, befreit. "Im Historischen Jahrbuch (HJB) für den Kreis Herford 2019 schildert Schlüer die Lebensgeschichte seines Großvaters ausführlich. In Schlüers Besitz befindet sich die Originalanklageschrift des Prozesses von 1937 mit den Namen aller Angeklagten. "Diese Namen boten viele Ansatzpunkte für Nachforschungen in den diversen Archiven", sagte Schlüer, der sich lange und intensiv mit der Geschichte der Zeugen Jehovas befasst und die Ergebnisse unter anderem in den HJB 1998 und 2004 publiziert hat. Archivar Laue habe ihm dabei immer wieder Hinweise gegeben, was die Arbeit in den Archiven angehe. Ein Blick zurück mit höchst aktuellen Fragen &bdquo;Die Ausstellung dokumentiert nicht nur, sondern sie wirft auch Fragen auf", sagte Christoph Laue vom Kuratorium Erinnern, Forschen und Gedenken, das die Ausstellung präsentiert. Eine sei die, ab wann überhaupt von Widerstand gesprochen werden könne. Lange wurden zum Widerstand nur dezidiert politische Zirkel wie die Weiße Rose oder der Kreis um die Attentäter vom 20. Juli gerechnet, nicht aber Menschen, die sich dem totalitären des Zugriff des Staates durch Verweigerung zu entziehen suchten, seien es nun Zeugen Jehovas oder die Jugendlichen der Edelweißpiraten. In Berlin erinnert seit 1992 ein Emmy-Zehden-Weg an Emmy Zehden, die in einer Gartenlaube mehrere Kriegsdienstverweigerer versteckte und dafür am 19. November 1944 hingerichtet worden war. Auch hier gibt es eine Verbindung nach Ostwestfalen, denn Zehden, war am 28. März 1900 in Lübbecke als Emmy Windhorst geboren worden. Daher geht es im pädagogischen Begleitmaterial, das auf der Homepage www.zellentrakt.de bereitgestellt wird, auch um Fragen wie Intoleranz, Gruppenzwang, persönliche Verantwortung, Achtung menschlichen Lebens und des Gewissens. Fragen danach, wie Menschen ihrer Überzeugung treu bleiben können, auch wenn ernstliche Gefahr droht, oder ob nationale Gesetze auch einmal hinter das Gebot von Gewissen und Menschlichkeit zurücktreten müssen, sind aktuell wie lange nicht in Zeiten, in denen große Zeitungen wie Die Zeit im Sommer 2018, in zynischer Zuspitzung danach fragen, ob das Retten von Menschen aus Seenot legitim ist.

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