Kommt die Impfpflicht und ist sie legitim? "Ich bin total dafür!"

Bünde. Tot ist die Debatte nie gewesen: Alle paar Wochen und seit der Zulassung der Impfstoffe diskutieren Politik und Bürger, ob eine "Piks-Pflicht" die Lösung in der Krise sein könnte. Sollten Geimpfte Privilegien genießen und Verweigerer benachteiligt werden? Verstößt das gegen die Grundrechte? Noch verspricht die Regierung, dass es keinen Zwang geben wird. Allerdings kommt die Kampagne im Sommer eher schleppend voran und die vierte Corona-Welle klopft an. Etwa die Hälfte der Menschen im Kreis Herford haben den vollen Impfschutz, was geschieht mit dem Rest? Die NW hat mit unterschiedlichen Akteuren über das sensible Thema "Impfpflicht" gesprochen. Gastronom Steigen die Inzidenzen im Herbst wieder wie im Frühjahr, droht den Gastronomien erneut eine Zwangspause. "Das wäre dann der K.o. für uns alle, wir würden sie nicht überleben", sagt Stefan Möcker vom Mexims. Dürfen dann nur noch Geimpfte und keine Getesteten mehr speisen, wenn sie nicht mehr gleichgestellt sind? Einerseits möchte der Betreiber sein Restaurant unbedingt offenlassen, andererseits will er einem Gast, der ungeimpft ist, nicht vor dem Kopf stoßen. "Kommt eine Impfpflicht, wäre es nicht unser Stil, Kunden draußen zu lassen - wir wollen alle empfangen", meint Möcker, der die Debatte für komplex und schwierig hält. Am besten sei es, wenn jeder Einzelne die Impfquote nach oben treibe. Grundsätzlich können Gastronomen laut Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) aufgrund der Vertragsfreiheit nur Geimpften Eintritt gewähren. Arzt Als Mediziner hat Hans-Jürgen Beckmann, Facharzt für Chirurgie, eine klare Position und ist total für einen "Zwang": "Ich bin verpflichtet, Menschen zu schützen und dafür sorgt die Impfung." Der Bünder könne nicht verstehen, warum eine Pflicht nicht durchgesetzt wird. "Wie soll eine maximale Versorgung bei voll ausgelasteten Krankenhäusern mit Covid-Patienten gelingen, die sich nicht impfen lassen wollten?", fragt er sich. Gleichzeitig schaut er in die Vergangenheit: "Ich kenne noch Kinder, die an Polio (Kinderlähmung) erkrankt sind." Mit der Impfung hätte man sie schützen können. Beckmann verweist auch auf die Situation in Namibia, wo er Verwandtschaft hat. "Dort türmen sich Leichensäcke in den Krankenhäusern." Man könne kaum glauben, wie Corona dort zuschlage. Bürgermeisterin Susanne Rutenkröger (SPD) wünscht sich, dass die Debatte gar nicht geführt werden müsste und sich jeder selbst freiwillig impfen lässt. Sie selbst hat das Vakzin zum Schutz vor dem Coronavirus bereits erhalten und hofft, dass sich jeder Bürger selbst freiwillig impfen lässt wie bei der ersten Sonderaktion beim Impfmobil am Rathaus. Am Mittwoch nutzten 118 Bünder das Angebot. "Damit schützt man nicht nur sich, sondern auch andere", so die Bürgermeisterin. Die Impfstoffe seien die einzige Lösung, um aus der Krise zu bekommen. Landrat "Die Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht, sollte eine freiwillige bleiben", sagt Jürgen Müller (SPD). Es sei ein hohes Gut, selbst über seinen Körper zu entscheiden. Ein ebenso hohes Gut sei es, das Für und Wider in Ruhe und ohne Zwang abzuwägen. "Wir müssen die Menschen überzeugen und nicht zwingen", erklärt der Landrat. Zusätzlich gäbe es derzeit noch keine Studien über mögliche Neben- oder Langzeitwirkungen der Impfung. "Diese Tatsache macht die Diskussion um eine Impfpflicht zu einer sehr kritischen Diskussion – eine Impfpflicht ist dadurch schwer vertretbar und schwer durchsetzbar." Müller ist selbst geimpft und hat seit Anfang Juli den vollen Impfschutz. Er geht davon aus, dass die Impfquote mit den zusätzlichen Impfstoffen, die in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, steigt. "Mittlerweile gehen wir zu den Menschen und warten nicht, bis sie selber kommen." Auch die Aufklärungskampagnen würden mehr Menschen überzeugen, sich freiwillig impfen zu lassen. Dass in vielen Berufsgruppen wie Pfleger, Erzieher und Lehrer die Impfquote per se hoch ist, nehme der Landrat wahr. Auch hier halte er die Debatte um eine Impfpflicht derzeit für nicht angemessen. Kultur Großveranstaltungen und Konzerte finden wie vor der Pandemie noch gar nicht statt, die Kulturbranche leidet weiter an der ungewissen Situation, weil sie nicht planen kann. Und das Beispiel in der Herforder Diskothek X zeigt, welche weitreichende Folgen ein Corona-Fall bei einer Besucherzahl von 1.200 Menschen hat. Mehrere müssen in Quarantäne und sich testen lassen. Das bedeutet einen enormen Aufwand für die Ämter. Unter anderem deswegen fordert die Branche eine Impfpflicht für Besucher und Beschäftigte. Intendant Dirk Kaiser (Universum Bünde) möchte sich an einer Diskussion über die Impfpflicht nicht beteiligen und sagt: "Was wir brauchen, sind verlässliche Konzepte und Regeln, die es uns möglich machen unsere Veranstaltungshäuser endlich wieder dauerhaft öffnen zu können." Unternehmen Auch in den USA gibt es bislang keine Impfpflicht - dort haben die Konzerne Google und Facebook nun aber mitgeteilt, dass ihre Angestellten sich vor einer Rückkehr ins Büro impfen lassen müssen. Wie sieht es bei heimischen Unternehmen aus? Hettich teilt mit, dass sie keine Impfzahlen der Mitarbeiter vorliegen haben. Das liege an datenschutzrechtlichen Gründen. Zur Debatte über die Impfvorschrift möchte sich das Unternehmen nicht äußern.

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