Die Familie der Bünder Bürgermeister

Bünde. Wo gibt es das schon, dass Vater und Tochter sich zusammen in der Reihe der Bürgermeister einer Stadt wiederfinden? Siegfried Hagemann ist seit jener Zeit mit der Kommunalpolitik verbunden, als Ennigloh durch die Gebietsreform seine Eigenständigkeit genommen wurde. Weltpolitisch tobte in Südostasien der Vietnamkrieg und die Amerikaner landeten gerade auf dem Mond. Jetzt wird das sozialdemokratische Bünder Urgestein 90 Jahre alt. Große Dokumentensammlung jüngerer Bünder Politikgeschichte In Unterhaltungen zeigt Siegfried Hagemann gern sein Archiv. Aktenordner mit Zeitungsartikeln über politische Vorgänge der vergangenen Jahrzehnte in der Stadt. Darüber hinaus noch Dokumente und eigene Notizen, die er chronologisch sortiert aufbewahrt. Man könnte Stunden, gar Tage darin blättern, und könnte dabei Abläufe in der jüngeren Vergangenheit der Stadt bis in die 1970er Jahre nachvollziehen. Dabei tritt die Akribie des Buchhalters zutage, denn das war es, was Siegfried Hagemann Jahrzehnte lang bei der Energie- und Wasserversorgung Bünde im Rechnungswesen gemacht hat. Auch in Vereinen engagierte sich Hagemann und hatte auch dabei viel mit Zahlen zu tun - wie beim VfL Holsen, in dem er das älteste Mitglied ist und 1956 zum Hauptkassierer gewählt wurde. Siegfried Moning war damals Vorsitzender und über ihn ist Siegfried Hagemann zur Kommunalpolitik gekommen. "Sport habe ich im Verein nie betrieben", sagt er mit einem Augenzwinkern. Die sozialdemokratische Prägung erhielt er aber schon sehr viel früher in den 1930er Jahren, als sein Großvater Wilhelm Brinkmann immer mittags zum Essen kam. "Der schimpfte immer auf Hitler und hörte dann im Radio die BBC aus London. Meine Mutter stand in der Tür immer Schmiere, denn das durfte ja keiner mitbekommen. Im Jungvolk, wo wir alle rein mussten, habe ich als Pimpf angefangen und war das auch nach vier Jahren noch. Ich habe da nie mitgemacht, weil mich das einfach nie interessiert hat", erinnert sich Siegfried Hagemann. "Ich hätte der SPD drei Jahre eher beitreten sollen" "Mein Großvater war erst Zigarrenmacher - allerdings kein guter. Deshalb war er froh, dass er später den Konsum in Holsen leiten konnte. Er hat sich kommunalpolitisch immer dafür stark gemacht, dass auch Kinder aus Arbeiterfamilien eine Schulbildung erhielten", so der 90-Jährige, der bis 1945 die Volksschule Holsen I besuchte. Eine neue Schule wollte der Großvater, der ebenfalls natürlich für die SPD aktiv war, schon vor 1933 bauen. "Dafür hätte die Gemeinde Holsen aber 12.000 Goldmark Schulden machen müssen. Die anderen waren damals dagegen", erzählt Siegfried Hagemann und man sieht ihm sofort an, dass ihm bei diesem Satz Parallelen zu heutigen Debatten im Stadtrat in den Sinn kommen. 1969 trat er dann der SPD bei und sagt heute: "Das hätte ich drei Jahre eher machen sollen." Grund ist der Opa, der 1966 starb und dem er so gerne noch gezeigt hätte, dass auch er nun Genosse war. "Mein Großvater trat der Partei 1904 bei. Wenn ich eher eingetreten wäre, hätten wir als Familie in drei Jahren unser 120-Jähriges gehabt", rechnet Hagemann etwas wehmütig vor. Die Sozialdemokratie wurde den Kindern der Familie offensichtlich seit vielen Jahrzehnten in die Wiege gelegt. Siegfried Hagemann hat zwei Töchter und einen Sohn. Susanne, die heutige Bürgermeisterin der Stadt Bünde, sagte ihm damals jedenfalls nicht, dass auch sie der SPD beitreten wollte und überraschte ihren Vater auf einer Versammlung des Holser SPD-Ortsvereins, dessen Vorsitzender er 20 Jahre war, mit ihrer Beitrittserklärung. Plötzlich landete er im Bürgermeistersessel Sechs Jahre nach seinem eigenen Beitritt zur SPD im Jahre 1969 zog er 1975 für seinen Wahlkreis in den Stadtrat ein. 1984 wurde Hagemann Fraktionsvorsitzender und folgte auf Werner Nienhaber, der verzogen war. Als der damals amtierende ehrenamtliche Bürgermeister Herbert Voss verstorben war, landete plötzlich Siegfried Hagemann im September 1990 im Bürgermeistersessel. "Zwei Stunden war ich täglich im Rathaus und habe die Post gemacht. Aber es waren reine Repräsentationsaufgaben - oft an Wochenenden", sagt Hagemann, der damals zusammen mit Stadtdirektor Gerhard Thees - ebenfalls ein Sozialdemokrat - die Spitzenämter der Stadt Bünde innehatte. Thees im Hauptberuf und Hagemann ehrenamtlich. 1.000 D-Mark Aufwandsentschädigung gab es damals pro Monat für ihn. "Damals war man als ehrenamtlicher Bürgermeister der Ansprechpartner für die Bürger, weil man auch viel in der Stadt unterwegs war und Leute traf", gibt der heute 90-Jährige einen Einblick in die Zeit vor 1997. In dem Jahr schaffte man im Land die ehrenamtlichen Bürgermeister ab und machte das Amt zum Hauptberuf eines Wahlbeamten auf Zeit. "Früher musste ein Stadtdirektor immer auch Volljurist sein. Heute stellt man den hauptamtlichen Bürgermeistern einen Beigeordneten zur Seite", so Siegfried Hagemann. Er selbst war von 1990 bis 1997 der letzte ehrenamtliche Bürgermeister von Bünde. Aber welches System ist besser? "Wer konnte denn früher ehrenamtlicher Bürgermeister sein? Das konnten doch nur Rentner, die die Zeit dafür hatten", sagt der Vater der amtierenden Bürgermeisterin Susanne Rutenkröger. Er ging 1994 in Rente, konnte durch seine Tätigkeit für die städtische Tochter EWB in den vier Jahren zuvor allerdings in gewissem Umfang auch Aufgaben während der Dienstzeit wahrnehmen. "Dass das Bürgermeisteramt heute ein Hauptamt ist, ist schon richtig", sagt er. "Womit habe ich so ein Glück verdient?" Dass er heute 90 Jahre alt wird, hat er eigenen Worten nach nie erwartet. "Ich frage mich manchmal sogar, womit ich das verdient habe, so ein Glück zu haben. Mein Vater ist 64 Jahre alt geworden, mein ältester Bruder ist zwei Tage vor seinem 18. Geburtstag in Gefangenschaft gestorben, der nächst ältere Bruder ist 55 Jahre alt geworden und mein jüngerer Bruder 51. Alle starben an Herzinfarkt. Sogar mein Großvater väterlicherseits - mit 43 Jahren." Mit 81 Jahren hat Siegfried Hagemann zum ersten Mal ein Krankenhaus als Patient von innen gesehen und bekam einen Herzschrittmacher. 2018 folgte eine zweite Operation und seitdem sei er beschwerdefrei. Politik spielte in seiner Familie immer eine große Rolle. Seine Frau verstarb vor einigen Monaten. "Sie war immer unpolitisch, aber eine fantastische Zuhörerin", schwärmt Siegfried Hagemann.

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