Wohnungen und Geschäfte: Diskussion um Bauvorhaben in Rheda-Wiedenbrück

Rheda-Wiedenbrück. Über das Projekt "Grünes Quartier an der Kolpingstraße", so die Bezeichnung des Hamburger Investors Procom, gehen die politischen Meinungen auseinander. Während Move, Grüne und FWG das Ende des Bauleitplanverfahrens fordern, halten CDU, SPD, FDP und Offene Liste daran fest. Sie fordern aber ein neues Verkehrskonzept und setzten das mit 13 zu 10 Stimmen durch. Vorhaben 18.500 Quadratmeter misst die Fläche zwischen Bahndamm und Kolpingstraße. Erste Ideen für ein reines Einkaufszentrum hatte die Hahn AG schon 2008 präsentiert. Seit rund vier Jahren will Procom auf dem Areal mit alten Lagerhallen einen Mix aus Wohnungen und Geschäften realisieren. "Heute hoffen wir, alle Fragen zu beantworten und Ihre Skepsis zu nehmen", stellte Projektentwickler Bastian Hämmerle den aktuellen Stand im Ausschuss für Bauen und Stadtentwicklung vor. Geplant sind sechs Gebäude entsprechend des im Herbst prämierten Siegerentwurfs eines Architekturwettbewerbs. Drei Häuser sind für 60 Wohnungen unterschiedlicher Größe gedacht. 20 Prozent sollen öffentlich geförderter Wohnraum sein. Auf das Wohnen entfallen rund 7.000 Quadratmeter, auf die Verkaufsfläche 4.430 Quadratmeter - ein Verhältnis von 61 zu 39 Prozent. 87 Parkplätze sind für Bewohner geplant, 213 Stellplätze für Kunden. Ansiedeln wollen sich Rewe, Rossmann, Woolworth und Ernsting's Family. "Das ist ein nahversorgungsorientiertes Konzept und keine Konkurrenz zur Innenstadt", spricht Hämmerle von einem "Mehrwert für Rhedas Einzelhandel", von einer "Symbiose von Kolpingstraße und Innenstadt". Die soll fußläufig angebunden werden über die Bahnhofstraße oder die Hagemannstraße. Ein Weg über ein Grundstück der Gemeinde St. Clemens sei noch nicht möglich, "wir bemühen uns weiter". Verkehr Das Ingenieurbüro Röver informiert in einem Verkehrsgutachten, dass der vorhandene Platz auf der Kolpingstaße Durchgangsverkehr ermöglicht. Untersucht wurden drei Alternativen, um die Straße an der Kita abzubinden. Gesorgt werde weniger Verkehr, aber "zu Lasten der Funktionsfähigkeit des Bahnhofskreisels". Dort sei in der nachmittäglichen Spitze mit höheren Wartezeiten an den Zufahrten Wilhelmstraße und Bahnhofsplatz/Kolpingstraße zu rechnen. Auch eine Ertüchtigung des Bahndamms zur Verteilung der Verkehre sieht das Verkehrsgutachten positiv. Eine wichtige Rolle dabei spielten aber auch Grundstückseigentümer, Bahn und Straßenbaulastträger. Laut Michael Duhme, Tiefbauamt, könnte eine Versetzung der Verkehrsinseln am Bahnhof helfen. Bislang warten Autos im Kreisel, sind Passanten auf den Zebrastreifen. Dennis Barth, Procom-Geschäftsführer, informierte, dass "alle Untersuchungen und Verkehrsmaßnahmen uns als Vorhabenträger angelastet werden". Verwaltung Die Bauverwaltung befürwortet das Procom-Vorhaben. Bürgermeister Theo Mettenborg schreibt in einem Werbeflyer des Investors: "Die ausgewählte Entwurfsplanung nimmt unsere Ideen hervorragend auf." Von einer Kompromisslösung, die inhaltlich sehr gut funktioniere, auch wenn der Investor verkehrliche Herausforderungen noch lösen müsse, sprach Stephan Pfeffer, Technischer Beigeordneter. "Hätte die Stadt keine positive Haltung zu dem Projekt, läge es dem Ausschuss nicht vor." Verbände und Gutachter Der Masterplan 2020+, erstellt 2010, will den Einzelhandel in den Zentren stärken. An der Kolpingstraße sei wegen der "abgesetzten Lage absehbar keine Magnetwirkung für den Stadtkern Rheda, sondern eine Konkurrenz zu erwarten". Verödungstendenzen könnten sich verstärken, heißt es. Das Einzelhandelskonzept, verabschiedet 2017 und erstellt von "Stadt + Handel", kommt nach einer Bürgerbefragung zu einem anderen Ergebnis: Es sieht "hohe Kopplungsquoten", die zu einem Mehrwert für Rhedas Innenstadt führten. "Das nun vorliegende Konzept erfüllt demnach aus gutachterlicher Sicht die Anforderungen des Pflichtenheftes und stellt nicht nur eine verträgliche, sondern auch gewinnbringende Konzeption im Hinblick auf den zentralen Versorgungsbereich Rheda dar." Die Industrie- und Handelskammer (IHK) kann sich grundsätzlich eine Einzelhandelsentwicklung an der Kolpingstraße vorstellen, sieht aber keine Synergieeffekte für das Zentrum. Sie ist "skeptisch, ob die genannte Verkaufsfläche angemessen" ist. Die quantitative Ausstattung mit Lebensmittelläden in Rheda-Wiedenbrück sei gut. Weitere Märkte führten zu Umsatzverteilungen im Bestand. Von einer "mehr als angespannten" Ausstattung mit Lebensmittelläden spricht der Handelsverband NRW. Nur theoretisch gegeben sei die Anbindung des Sonderstandortes an die Innenstadt. "Niemand läuft 600 Meter von der Kolpingstraße in den anderen zentralen Versorgungsbereich von Rheda". Der Handelsverband empfiehlt: "Dringend diese Planung zu verwerfen." Kritiker Auf die Haltung von Handelsverband und IHK verwies Andreas Gernhold, Move. Seit der Erstellung des Einzelhandelskonzeptes seien weitere Nahversorger in der Stadt hinzugekommen. Es gebe bereits eine Abdeckung von mehr als 100 Prozent. Ein weiterer Lebensmittelladen führe zu einem Verdrängungswettbewerb mit entsprechenden Leerständen. "Was treibt die CDU an, das Projekt entgegen der unabhängigen Gutachten fortzusetzen?" Zumal wesentliche Verkehrsfragen nicht geklärt seien, ergänzte Martin Hünten. Eine fußläufige Anbindung in die Innenstadt fehle noch immer. Und das inzwischen dritte Gutachten "mit Alternativen wie der Abbindung der Kolpingstraße führt zum Kollaps des Bahnhofskreisels". Statt eines Einzelhandelsstandortes solle an der Kolpingstraße vielschichtiger Wohnraum entwickelt werden, auch mit kleineren Geschäften oder Dienstleistern, fordert Move. Das hat auch die FWG beantragt. Sie sieht bei den Wohnungen zudem eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen. "Die Realisierung eines Großmarktes muss verhindert werden, weil dieser der Entwicklung des Stadtzentrums Rheda eher schadet, als nutzt", so die FWG. Für die Grünen sagte Hans-Hermann Heller-Jordan, "dass wir kein Discounter-Paradies wollen". Die Planung sei Stadtentwicklung von gestern und "an maximaler Rendite" ausgerichtet. Woolworth komme nicht in Frage, so sein Fraktionskollege Alwin Wedler. Einen Mangel an Vollsortimentern sieht er nicht in der Stadt. "Wir können uns eine Wegnahme von Woolworth vorstellen", so der Procom-Geschäftsführer. Wedler fordert "Wohnungen, addiert um Dienstleister", zeigte sich aber kompromissbereit. Um beide politische Lager zusammenzubringen, sei "ein kleiner Rewe als Quartiersversorger" denkbar. "Vielleicht wäre die Kolpingstraße auch ein Standort für die KHW, sie würde weniger Verkehr verursachen als ein Kaufhaus". Befürworter Die Idee finde er reizvoll, so Uwe Henkenjohann, CDU. Seine Fraktion will an der Kolpingstraße die "beste Qualität in der Architektur und der Anbieterstruktur, um Rheda zu heben". Er fragte, was mit der Fläche passiere, sollte Procom mit seinem Projekt scheitern. Laut Barth sei reiner Wohnungsbau wegen der Schallimmissionen der Bahn sehr unwirtschaftlich. "Das würden die teuersten Wohnungen in Rheda-Wiedenbrück." Er habe auch schon eine Anfrage für das Lemgoer Modell bekommen. Mit dem will das Unternehmen Tönnies Wohnraum für Mitarbeitende schaffen. "Das wollen wir aber eigentlich nicht umsetzen", hofft Barth, auch die Kritiker "von unserem guten Projekt überzeugen zu können". Eine "eklatante Versorgungslücke in Rheda" sieht Marco Sänger, SPD. Weil es da viele Dinge nicht gebe, führen die Leute nach Wiedenbrück oder woanders hin. "Dann jaulen alle über den Verkehr auf der Hauptstraße." In Rheda gebe es zwei Discounter und zwei Quartiersversorger. Ein hochwertigerer Versorger wie Rewe sei keine Konkurrenz. "Rheda hat 26.000 Einwohner, da müssen wir uns mit Kommunen ähnlicher Größe vergleichen, denn wir haben nun einmal zwei Zentren." Das Procom-Vorhaben "ist ein großer Gewinn, besonders für Rheda", meint Patrick Büker, FDP. Geschaffen würden neue Wohnungen und Arbeitsplätze. "Wir sollten nach sechs Jahren Planung keine Vollbremsung hinlegen." Weil aber die verkehrliche Erschließung noch "nicht klug gelöst" sei, forderte die FDP mit CDU, SPD und Offener Liste ein neues Verkehrskonzept. Es soll die Kolpingstraße zwischen Hagemannstraße und Pixeler Straße weitestgehend verkehrsberuhigen und die Aufnahmekapazität des Bahnhofskreisels deutlich erhöhen. "Wäre diese letzte Pflicht erfüllt, stimmen wir dem Projekt gerne zu."

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