Warum meiden viele diese Gesamtschule im Kreis Gütersloh? Eltern und Mitarbeiter sprechen

Halle. Die Gesamtschule Halle kommt nicht zur Ruhe. Seit 2018 sanken die Anmeldezahlen stetig. Nach dem Tiefpunkt von 52 Anmeldungen in 2022 und der Androhung der Bezirksregierung, die Schule auf eine Sekundarschule ohne Oberstufe herabzustufen, gab es vor einem Jahr ein deutliches Anmeldeplus. Insgesamt 81 zukünftige Fünftklässler verzeichnete man im Februar 2023. Die Verantwortlichen blickten plötzlich optimistisch nach vorn. Aber dann kam im Frühjahr der Dämpfer und das ernüchternde Ergebnis, dass sich statt der insgeheim erhofften 100 Schüler nur 78 zum nächsten Schuljahr angemeldet haben. Enttäuschung machte sich breit, sowohl im Kollegium als auch bei der Stadt Halle als Träger. Schließlich hatte man zuvor kräftig die Werbetrommel gerührt, einen Imagefilm veröffentlicht und sich beim Tag der offenen Tür von der besten Seite präsentiert. Und wieder einmal steht die entscheidende Frage im Raum: Warum meiden eigentlich viele Eltern die Gesamtschule? Wir haben uns auf den Weg gemacht, um Antworten zu finden. Ehemaliger Mitarbeiter erklärt Hintergründe Im Gespräch gibt ein ehemaliger Mitarbeiter der Haller Gesamtschule Einblicke ins System. Er möchte nicht, dass sein Beruf oder sein Name genannt werden. Dabei berichtet er uns Folgendes. Ein grundsätzliches Problem der Gesamtschulen bestehe darin, dass bei dem Versuch, mehrere Schulformen zusammenzuführen, die Gymnasien oft außen vor geblieben seien. Eigentlich sollen Gesamtschulen zu je einem Drittel von potenziellen Haupt-, Realschülern und Gymnasiasten besucht werden. In der Realität besuchten Jugendliche mit Gymnasial-Empfehlung in Halle aber eher das Kreisgymnasium. &bdquo;Dieses Drittel ist nicht ausreichend vertreten“, erklärt der ehemalige Mitarbeiter. Genau nachhalten lässt sich das indes nicht. Entsprechende Zahlen werden in vielen Kreisen veröffentlicht, der Kreis Gütersloh gibt sie nicht heraus. &bdquo;Das kann nur die Politik ändern. Warum sollte man sein Kind mit Gymnasial-Empfehlung auch an die Gesamtschule schicken?“, stellt er die rhetorische Frage. Es fehlen Schüler mit Gymnasialempfehlung Trotzdem müsse die Gesamtschule einen erheblichen Anteil Abiturkandidaten hervorbringen. &bdquo;Wenn sie allerdings zu großen Teilen Schüler ohne Gymnasial-Empfehlung bekommen, wie wollen sie daraus Q-Vermerke machen?“, fährt unser Gesprächspartner fort. Tatsächlich habe man politisch schon nachgesteuert und die Bedingungen an den Gesamtschulen etwas vereinfacht. So habe man dort mehr Fächer zur Verfügung, um die nötigen guten Noten nachzuweisen. &bdquo;Eine Extra-Chance für benachteiligte Schüler.“ Die fehlenden starken Schüler verursachten aber auch soziale Folgen. &bdquo;Gesamtschulen sind ja meist Riesen-Systeme. Da ist es natürlich schwieriger als auf anderen Schulen. Viele Schüler haben außerdem eine geringe Frustrationstoleranz; einfach wenig Werkzeug, um mit Problemen umzugehen“, erzählt der Mann aus seinen Erfahrungen. Sprachliche Hürden und große Konkurrenz Dazu käme, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern bei schwierigen Schülern manchmal ebenso schwierig sei. &bdquo;Da spielen sprachliche Hürden eine Rolle, aber auch Vertrauen. Wenn die Eltern misstrauisch sind gegenüber der Schule, wird es schwer.“ Und wegen des großen Systems werde es für schwierige Schüler entsprechend leichter &bdquo;durchzurutschen“. Die benachbarte Peter-August-Böckstiegel-Gesamtschule profitiere im Vergleich zu Halle davon, dass sie die leistungsstarken Schüler aus Borgholzhausen abgreifen könne. Und auch in Werther sei mit dem Evangelischen Gymnasium - das zudem Schulgeld verlangt - die Konkurrenz um die guten Schüler schwächer. &bdquo;Außerdem wurde die PAB zu einer Zeit aufgemacht, als man die Gesamtschule noch mehr als Chance gesehen hat“, so der ehemalige Mitarbeiter der Haller Gesamtschule. Schwieriger Ruf ist nicht gerechtfertigt Aber was ihm wichtig sei: Trotz allem wolle er seinen früheren Arbeitgeber keinesfalls schlechtmachen. &bdquo;Ich finde, dass der schwierige Ruf der Haller Gesamtschule nicht gerechtfertigt ist. Es gibt dort viele tolle Konzepte und engagierte Lehrer, die hart arbeiten.“ Dabei erkenne er durchaus, dass &bdquo;da Sachen schiefgelaufen sind“. &bdquo;Vielleicht hätte man den ein oder anderen problematischen Schüler eher nach Hause schicken sollen“, sagt er. Tatsächlich sei genau das aber auch gar nicht so einfach. &bdquo;Auch ein Schüler, der suspendiert ist, muss ja beschult werden“, stellt der ehemalige Mitarbeiter fest. &bdquo;Und vor allem: Was hat man davon, wenn man jemanden so früh vor die Wand laufen lässt?“ Problemschüler wenn nötig einfach auszusortieren, wie mancher Außenstehende sich das vorstelle, sei in der Praxis keine Lösung. Zuletzt gelte es zu bedenken, dass eine Schule, die bereits einen angeschlagenen Ruf habe, zusätzliche Probleme bekomme, Lehrer zu finden. Außerdem wohnten viele Lehrerinnen und Lehrer in Bielefeld, für die seien kürzere Arbeitswege oft angenehmer, weshalb es Schulen in Werther, Steinhagen und den Randbereichen der Großstadt leichter falle, Personal zu finden. &bdquo;Unterbesetzung hat die Probleme verstärkt“, sagt der Mann. In diesem Punkt wiederum widerspricht die Bezirksregierung: &bdquo;Die Schule ist hinreichend mit Lehrerstellen besetzt, so dass der Unterricht nach Plan stattfinden kann“, heißt es in einer Stellungnahme aus Detmold. Vakanter Leitungsposten wirft Fragen auf Derzeit wird die Gesamtschule interimsmäßig von Lea Witteborg gesteuert. Dass eine Schule ohne Leitung dasteht, ist zunächst einmal keine Seltenheit. Zuletzt war fast jede zehnte Schulleitungsstelle im Regierungsbezirk unbesetzt. Negativ kann es sich aber auswirken, wenn die Leitungen der Mitbewerber schon seit vielen Jahren im Amt sind. So sind das beim Kreisgymnasium Halle Markus Spindler und bei der Realschule Steinhagen Frank Kahrau. Zudem stellen sich viele Eltern die Frage, warum die Gesamtschule derzeit nur ein kommissarisches Leitungsteam hat und mehr noch, warum der Nachfolger von Gründungsleiterin Almuth Burkhardt-Bader, die im vergangenen Sommer pensioniert wurde, im November nach nur vier Wochen schon wieder kündigte. Da mögen die Gründe noch so persönlich und privat gewesen sein: In Gesprächen unter den Eltern wird dennoch spekuliert, ob es nicht doch schulinterne Gründe gegeben habe, die zur Kündigung geführt oder zumindest beigetragen hätten. Engagiertes Team und Bewerbungen auf Schulleiterstelle &bdquo;Wir haben nach wie vor ein sehr gut funktionierendes und Hand-in-Hand arbeitendes Schulleitungsteam“, hält Schulpflegschaftsvorsitzende Sonja Wolff dagegen. Die Besetzung einer Rektorenstelle sei derzeit landesweit ein problematisches Unterfangen. &bdquo;Als Mutter bin ich daher sehr froh, dass Frau Witteborg und ihr Team die Schule so gut leiten und etwaige Schwierigkeiten sofort angehen“, betont Wolff. Und laut der Bezirksregierung in Detmold ist hier Land in Sicht. &bdquo;Auf die Ausschreibung der Schulleiterstelle an der Gesamtschule Halle hat es Resonanz gegeben. Derzeit prüft die Bezirksregierung die Unterlagen, bevor der Beteiligungsprozess verschiedener Gremien sowie weitere Schritte veranlasst werden“, teilte eine Sprecherin jetzt auf Anfrage des HK mit. Gewalt in der Schule nicht polizeibekannt Im Umfeld ist ansonsten immer wieder zu hören, dass das Gewaltpotenzial an der Schule überdurchschnittlich hoch sei. Eltern, mit denen diese Zeitung gesprochen hat, berichten davon. Marodierende Mädchenbanden und wiederkehrende Drohungen soll es gegeben haben. &bdquo;Es gab Belästigungen von Schülern gegenüber anderen Schülern. Das hat man dann als Eltern eben selber gelöst, da die Lehrer dazu nicht in der Lage waren“, schildert ein Vater seine Erlebnisse. Bei den Tätern habe es sich oft um Jugendliche mit Migrationshintergrund gehandelt. Der Haller, dessen Kind mittlerweile nicht mehr auf der Schule ist, möchte anonym bleiben. Grundsätzlich beschäftigt sich die Schule bereits mit dem Thema Gewalt. &bdquo;Es besteht eine sehr enge Kooperation mit der hiesigen Polizeidienststelle, die eine Verbesserung der Prävention und keinesfalls ein Indiz für vermehrte Gewaltbereitschaft an unserer Schule darstellt“, betont die Schulpflegschaftsvorsitzende. Mark Kohnert, Sprecher der Kreispolizei, erklärt auf Anfrage, dass es seit Schuljahresbeginn keinen Polizei-Einsatz mehr an der Schule gegeben habe. Zudem könne er nicht bestätigen, dass die Schule in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit Gewalt auffällig gewesen sei. Bürgermeister Thomas Tappe ergänzt: &bdquo;Leider ist das Thema Gewalt an Schulen aus Sicht der Verwaltung an allen Schulen, nicht nur an Schulen in der Stadt Halle, mittlerweile ein großes Thema. Insgesamt betrachtet muss man leider das Resümee ziehen, dass eine sich verändernde Gesellschaft insbesondere auch vor Schulen nicht Halt macht.“ Dass es aber ein erhöhtes Gewaltpotenzial an der Gesamtschule Halle gebe, sei aus Sicht der Verwaltung nicht erkennbar. Diese Erkenntnis spiegele sich auch in Austauschrunden mit der örtlichen Polizei wider. Fehlende Tradition macht es schwer Die Gesamtschule startete im August 2014 und verabschiedete im vergangenen Sommer ihren ersten Abiturjahrgang. Als Ersatz für die Haupt- und Realschule kann sie noch keine lange Tradition vorweisen. Frühestens in zehn Jahren dürften die ersten Kinder eingeschult werden, deren Eltern schon auf der Schule waren. &bdquo;Meiner Meinung nach wählen die Eltern erst einmal Altbekanntes, manche stellen dann nach einiger Zeit fest, dass die gewählte Schulform nicht zu ihrem Kind passt und wechseln daher später von Schulen der Umgebung hin zur Haller Gesamtschule“, sagt Sonja Wolff. In den vergangenen fünf Jahren seien es stets mindestens 25, mitunter auch mehr als 30 Kinder gewesen, die als Seiteneinsteiger in der Unterstufe dazugekommen seien. &bdquo;In der Mittelstufe müssen meines Wissens sogar regelmäßig Schülerinnen und Schüler abgelehnt werden, da die Klassen die maximale Klassenstärke erreicht haben“, sagt Wolff. Entscheidend sei die Bilanz am Ende der Schullaufbahn. &bdquo;Das deckt sich sehr häufig nicht mit den Empfehlungen der Grundschulen. Viele Schülerinnen und Schüler erreichen an der Gesamtschule höhere Abschlüsse als prognostiziert. Das spricht für die Qualität des Unterrichts, da der Lernstand durch die zentralen Prüfungen mit anderen Schulen mindestens gleichziehen kann.“ Vater beklagt unzuverlässige Strukturen &bdquo;Für uns hat sich die Schule in erster Linie als nicht verlässlicher Partner dargestellt. Es gab ziemlich viele Unterrichtsausfälle und übermäßig viele langzeiterkrankte Lehrer“, schildert derweil ein Haller Vater seinen Eindruck. &bdquo;Dieses wurde oft schlecht kommuniziert, so dass man als berufstätige Eltern oft ins Schleudern kam, um das Kind aus der Schule zu holen, da dann kein Bus fuhr“, fährt er fort. In einer Gesamtschule träfen nun einmal verschiedene Leistungsstufen aufeinander. Man habe das Gefühl gehabt, dass einige Lehrkräfte mit dieser &bdquo;gemischten Situation“ überfordert seien. Es seien in Summe viele Kleinigkeiten gewesen, wie etwa Ärger ums Mensa-Essen oder eine &bdquo;Über-Pädagogik“, wenn die Kinder Konflikte miteinander hatten. &bdquo;Wir hatten den Vergleich zwischen einem wirklich gut organisierten KGH und den vielen Problemen auf der Gesamtschule“, so der Vater. &bdquo;Man hat gemerkt, dass die Schule kein homogenes Konstrukt ist, sondern ein Politikprojekt“, sagt der Haller mit Blick auf die anfänglichen Startschwierigkeiten der Schule, die von der CDU abgelehnt wurde und gegen die der Kreis Gütersloh sowie Werther, Steinhagen und Borgholzhausen vor dem Verwaltungsgericht erfolglos geklagt hatten. &bdquo;Diese Startschwierigkeiten“, so der Haller weiter, &bdquo;haben sich bis heute nicht gegeben.“ Wie geht es jetzt weiter? &bdquo;Selbstverständlich beschäftigen die geringen Anmeldezahlen sowohl die Verwaltung als auch die Politik nunmehr seit vielen Jahren“, sagt Thomas Tappe. Gemeinsam mit der Gesamtschule Halle würden alle möglichen Anstrengungen unternommen, um die Anmeldezahlen zu erhöhen. &bdquo;Die Verwaltung setzt nunmehr aber große Hoffnung darauf, mit einer neuen Schulleitung eine tatsächliche Trendwende einzuleiten.“ Und man werde alles daran setzen, die Gesamtschule auch langfristig für die Stadt Halle zu erhalten.

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