Rechnet sich die TWE die Reaktivierung im Kreis Gütersloh schön? Ein Blick auf Details

Gütersloh. Thorsten Demel ist ein Mann der Zahlen. &bdquo;Zahlen bilden die Wirklichkeit ab“, sagt der Physiker. Im Idealfall zumindest. Sie können aber auch eine eigene Realität schaffen, die mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Eine solch konstruierte Realität erkennt der 65-Jährige in dem Gutachten zur Reaktivierung der TWE-Strecke. Zwischen Harsewinkel, Gütersloh und Verl sollen ab Ende 2027 wieder Personenzüge fahren. Doch Thorsten Demel ist skeptisch: &bdquo;Die genannten Zahlen gehen nicht auf. Weder betriebswirtschaftlich noch volkswirtschaftlich ist eine Reaktivierung der Strecke sinnvoll“, sagt der Verler. Seine Aussage belegt er mit detaillierten Analysen des Gutachtens. Thorsten Demel kennt sich in der Welt der Zahlen aus. Er hat in Festkörper-Quantenphysik am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung bei dem Physiknobelpreisträger von 1985, Klaus von Klitzing, promoviert. &bdquo;Als Berater bei McKinsey, Geschäftsführer bei Arvato Systems und Manager bei der Deutschen Bank gehörte die schnelle Plausibilisierung und Analyse betriebswirtschaftlicher Zahlen zu meinem Handwerk“, sagt er. Sogar die Berechnungen des Gutachtens von 2019 angeschaut &bdquo;Mich hat es in der öffentlichen Diskussion in den letzten Wochen um das Für und Wider der TWE-Reaktivierung gestört, dass nur Glaubenssätze, aber keine Fakten ausgetauscht werden“, begründet er seine Motivation, sich das Gutachten einmal genauer anzusehen. Da wegen der gestiegenen Investitionskosten ohnehin eine Neuberechnung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens notwendig sei, hat er selbst die Berechnungen des Gutachtens von 2019 im Detail vollzogen und in einen Algorithmus überführt, in dem man jede beliebige Investitionssumme als Parameter eingeben kann, um aus den bewerteten Einzelnutzen des Gutachtens das Nutzen-Kosten-Verhältnis zu berechnen. Nutzen-Kosten-Verhältnis In der standardisierten Bewertung von 2019 (nach der Verfahrensanweisung 2016) wurde bei Investitionskosten von 34,5 Millionen Euro das Nutzen-Kosten-Verhältnis mit 1,62 berechnet und das Projekt somit als gesamtwirtschaftlich sinnvoll angesehen. Thorsten Demel gibt dabei zu bedenken: &bdquo;Schon damals wurde im Gutachten darauf hingewiesen, dass das Nutzen- Kosten-Verhältnis bei einer Steigerung der Investitionskosten von 48 Prozent auf 1,0 sinken würde.“ Aber nur bei einem Wert größer als 1,0 übernehmen der Bund 90 Prozent und das Land 5 Prozent der Investitionskosten. Bekanntlich sind die Kosten aber mittlerweile auf 110 Millionen Euro gestiegen, eine Steigerung um 219 Prozent. Damit liegt das Nutzen-Kosten-Verhältnis bei 0,3, also weit unter dem benötigten Wert. Für die korrekte Vergleichbarkeit müssten laut Demel allerdings die Investitionskosten von 110 Millionen Euro um 23,7 Prozent auf den Preisstand von 2017 deflationiert werden, sie lägen dann bei 89 Millionen Euro. Der Kosten-Nutzen-Wert steigt damit leicht auf 0,45 bleibt aber deutlich unter 1.0. Kommentar: Zukunft der TWE-Strecke in Gütersloh: Ist das Ende des Millionen-Projekts nah? Busverkehr Damit nicht genug. Thorsten Demel hat sich auch den Busverkehr genau angeschaut. Dafür sieht das Gutachten im Zuge der TWE-Reaktivierung drastische Einschränkungen des Angebots für die Linien 71 (Gütersloh – Harsewinkel – Versmold) und 73 (Gütersloh – Verl – Hövelhof) vor. So sollen die Schnellbusfahrten zwischen Gütersloh und Harsewinkel entfallen und der Busverkehr auf der Linie 73 soll nur noch sechsmal täglich und zweistündlich statt jetzt stündlich (morgens und abends sogar halbstündlich) fahren. Im &bdquo;Integrierten Mobilitätskonzept“ der Stadt Verl vom Juni 2024 hat Thorsten Demel indes entdeckt, dass nach der TWE-Reaktivierung der Bus der Linie 73 weiterhin stündlich und fast unverändert zur jetzigen Linienführung, aber halbstündlich zeitversetzt zur TWE-Bahn fahren soll. Das heißt, die Einsparung würde wesentlich geringer ausfallen. Dies berücksichtigend, ergibt sich ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,34. Folgekosten Aufgrund der gestiegenen Investitionskosten und der dadurch bedingten höheren Abschreibungen des Infrastrukturbetreibers reduziert sich der Überschuss und steigen die jährlichen Folgekosten für den Betrieb der TWE-Strecke ebenfalls drastischer als im Gutachten angenommen. Beträgt das Defizit auf mehr als 30 Jahre gerechnet beim Gutachten von 2017 jährlich nur knapp 2,95 Millionen Euro, so steigt es nach Demels Berechnung mit Investitionskosten von 110 bzw. deflationiert 89 Millionen Euro auf 5,6 Millionen Euro, bei Berücksichtigung des Preisstandes von 2024 sogar auf 6,89 Millionen Euro. &bdquo;Eine erhebliche Summe im Vergleich zum Gesamtbudget des Kreises Gütersloh für den Öffentlichen Nahverkehr in Höhe von 13,3 Millionen Euro, wie er im Haushalt von 2025 angegeben ist“, gibt Thorsten Demel zu bedenken. Komfort &bdquo;Die Fahrzeiten auf der Strecke Harsewinkel – Gütersloh – Verl betragen nur 39 Minuten und sind damit deutlich attraktiver als bisherige Verbindungen“, heißt es für die TWE-Strecke auf der Seite des NWL (Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe). So schlecht schneidet aus Demels Sicht der Busverkehr indes nicht ab. Selbst in Spitzenzeiten beträgt die Verspätung laut Gutachten auf der Strecke Verl – Gütersloh sechs Minuten, im täglichen Durchschnitt nur zwei Minuten. &bdquo;Selbst wenn die TWE pünktlich fahren sollte, dürfte die angegebene Zeitersparnis mit Warten und Umsteigen an den TWE-Haltestellen mehr als aufgefressen werden“, so Demel. Außerdem kritisiert er, dass es für die Bahnstrecke viel weniger Haltestellen geben werde, als sie jetzt entlang der Buslinie existieren. &bdquo;Die Nutzung der TWE-Bahn macht die Fahrten nach und von Gütersloh für alle unbequemer, die nicht zufällig in Gehentfernung einer Haltestelle wohnen und arbeiten“, sagt er deshalb. Sollte die TWE zudem nicht auf Gleis 1 am Hauptbahnhof Gütersloh halten können, fielen auch längere Umsteigewege an als heute vom ZOB zum Hauptbahnhof. &bdquo;Und selbst wenn die TWE auf Gleis 1 einfahren sollte, wird sich wegen des Vorrangs des Fernverkehrs auf den Gleisen des Hauptbahnhofes eine neue Verspätungsanfälligkeit einstellen“, lautet sein Gegenargument. Angesichts der überall fehlenden Lokführer könnte sich schließlich auch noch ein Szenario einstellen, wie es viele Betroffene in den letzten Jahren mit der Eurobahn erlebt haben: Züge fallen aus, Zugverbindungen werden gestrichen und am Ende muss der Betreiber von NWL übernommen werden. Fazit &bdquo;Das Projekt ist nicht mehr gesamtwirtschaftlich sinnvoll“, findet Thorsten Demel. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis liege mit 0,45 bzw. 0,34 (korrigiertes Busangebot) so deutlich unter 1,0, dass man kaum davon ausgehen könne, dass die Aktualisierung des Gutachtens nach dem neuen Bewertungsverfahren 2016+ den Wert wieder über 1,0 bringen wird. Diese Aktualisierung war zwar schon im Juni 2024 beauftragt worden, sie liegt aber bis heute nicht vor. Zudem mache das neue Bewertungsverfahren die Berechnung des Nutzens komplizierter und somit für die Öffentlichkeit schwerer nachvollziehbar. Bei gleicher Investitionssumme müsste der Nutzen mindestens um den Faktor drei steigen, um Nutzen-Kosten-Verhältnis von mindestens 1,0 auszuweisen und den gesamtwirtschaftlichen Nutzen nachzuweisen. Gerade deshalb habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf zu erfahren, die Kriterien und Annahmen zur Nutzenberechnung im aktualisierten Gutachten zu erfahren. Thorsten Demel ist kein Gegner des ÖPNV. Er findet die Verkehrswende, also die Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs auf öffentliche Transportsysteme, richtig. Seine Frau und er nutzten hin und wieder die Linie 73 und finden allenfalls die Preissetzung noch verbesserungswürdig. Immerhin könne man anstelle der Folgekosten der TWE-Reaktivierung auch 5.500 werktägliche Fahrten auf der Strecke Verl – Gütersloh kostenlos anbieten und garantiert mehr Fahrgäste vom Pkw auf den ÖPNV locken als mit der TWE. Doch in der Reaktivierung der TWE-Strecke kann er keinen Vorteil im Sinne besserer Mobilität erkennen. Im Gegenteil. &bdquo;Angesichts der finanziellen Belastungen der Länder und Kommunen sollte die TWE-Reaktivierung unverzüglich gestoppt werden, bevor noch mehr Steuergelder der Bürger für ein wirtschaftlich wie verkehrspolitisch zweifelhaftes Projekt verschwendet werden.“ Stattdessen schlägt Demel vor, die in den letzten Wochen wiederholt geäußerte Idee eines Radschnellwegs auf der TWE-Strecke auf ihren gesamtwirtschaftlichen Nutzen überprüfen zu lassen.

Meistgelesen