Hilfsprojekt

Vor Schulstart in Gütersloh: Kinder-Fahrräder dringend gesucht

Ein pensionierter Lehrer kümmert sich in Gütersloh um das Projekt „Fahrräder für Flüchtlinge“. Er bekommt sogar Dankebriefe aus Aserbaidschan. Früher konnte er sich vor Angeboten kaum retten – doch aktuell herrscht Ebbe.

Der frühere Gesamtschullehrer Ludger Klein-Ridder (75) aus Gütersloh kümmert sich ehrenamtlich um das Projekt "Fahrräder für Flüchtlinge". | © Andreas Frücht

Christian Bröder
15.08.2024 | 15.08.2024, 16:27

Gütersloh. Allein in ihren Unterkünften hat die Stadt Gütersloh nach jüngsten Angaben aus dem Rathaus derzeit 846 Flüchtlinge untergebracht. Die meisten davon, nämlich 368 Personen, stammen aus der Ukraine, gefolgt von Menschen aus den Herkunftsländern Syrien (184), Irak (113) und Afghanistan (89).

Einige von ihnen haben den Gütersloher Ludger Klein-Ridder als den Mann kennen gelernt, der Mobilität und Fahrt in ihr neues Leben in Ostwestfalen gebracht hat. Denn der frühere Gesamtschullehrer kümmert sich ehrenamtlich um die Aktion „Fahrräder für Flüchtlinge“ in Gütersloh.

„Wir setzen gespendete Räder instand, bereiten sie verkehrssicher auf und geben sie dann für kleines Geld weiter an Geflüchtete und Menschen, die finanzielle Unterstützung erhalten“, erklärt der tatkräftige Rentner.

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Fahrrad ist oft unverzichtbar

Seit der großen Flüchtlingskrise im Jahr 2015 gibt es das Projekt vom Arbeitskreis Asyl in Gütersloh. Fast 1,1 Millionen eingereiste Schutzsuchende registrierte das Bundesinnenministerium in Deutschland damals, als Kanzlerin Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das“ prägte.

„Es war auch für uns als Arbeitskreis Asyl eine Verpflichtung zu helfen“, erzählt der aus dem westfälischen Borken stammende Ludger Klein-Ridder. Konkret hätte sich seinerzeit die Frage ergeben, wie man die Menschen, „die zuhauf angekommen und in Turnhallen untergebracht waren“, in Bewegung bekäme.

Denn vor allem für Geflüchtete, deren Unterkunft außerhalb des Zentrums liege, ist ein Rad oft unverzichtbar für die Teilhabe am sozialen Leben.

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Mittlerweile hat die Initiative 2.000 Räder gesammelt, instandgesetzt und damit Neuankömmlingen ein Stück Mobilität verschafft. - © Andreas Frücht
Mittlerweile hat die Initiative 2.000 Räder gesammelt, instandgesetzt und damit Neuankömmlingen ein Stück Mobilität verschafft. | © Andreas Frücht

Polizei Gütersloh spendet gestohlene Räder, die wieder auftauchen

Als Lösung wurde das Konzept „Fahrräder für Flüchtlinge“ aus der Taufe gehoben. Das Prinzip ist simpel: Privatpersonen, Kommunen oder auch Firmen spenden gebrauchte Fahrräder. Diese werden teils abgegeben oder abgeholt, dann repariert und technisch aufgearbeitet, bis sie an Neueinwohner und andere Bedürftige, etwa Bezieher von Bürgergeld, gehen.

„Auch Spenden der Polizei erreichen uns, wenn ein gestohlenes Rad gefunden wurde, dessen Besitzer schon eine Erstattung von der Versicherung bekommen hat“, berichtet Klein-Ridder. Über all die Jahre konnte so bis heute eine beachtliche vierstellige Summe an Zweirädern weitergegeben werden.

10 Euro für ein normales Fahrrad

Die Marke von 2.000 aufbereiteten Fahrrädern hat das Projekt Ende Mai geknackt. „Das Jubiläumsrad war ein 15 Jahre altes Hollandrad der Marke Batavus, das wir an eine Familie gegeben haben. Es mussten Ersatzteile aus der Nähe von Gronau besorgt werden“, erinnert sich Ludger Klein-Ridder.

Seit 2016, damals leistete die Bürgerstiftung mit einer 1.000-Euro-Spende eine Anschubfinanzierung, führt der frühere Gesamtschullehrer der Anne-Frank-Schule akribisch Buch über die Ein- und Ausgaben. Auch jedes Rad, das in seinen Händen landet, behält er so im Blick.

Je nach Aufwand und Material wird der Preis berechnet, den ein fertiges Bike seinen neuen Besitzer kostet. „Wir haben mal mit 10 Euro angefangen. Für ein normales Rad gilt das heute noch“, erklärt der Rentner: „Entsprechend der Qualität und Typen müssen wir die Beträge aber anheben, damit die laufenden Kosten gedeckt werden.“

Rollende Werkstatt in seinem Privat-Auto

Auch E-Bikes zählen schließlich zum Fundus. Für die technische Instandsetzung stand ihm bis vor einiger Zeit mit dem ehrenamtlichen Fahrradmechaniker Otto Holdijk ein tatkräftiger Experte zur Seite. „Er ist jedoch aus gesundheitlichen Gründen kürzer getreten. Seitdem mache ich selber das, was ich machen kann“, erzählt Ludger Klein-Ridder, der mit Ehefrau Tamina (67) im Stadtteil Blankenhagen lebt.

In seinem Privat-Pkw, einem silbernen Toyota Prius, Baujahr 2006, hat er seine rollende Werkstatt mit Werkzeugkasten und Ersatzteilen. „Kabel, Beleuchtung, Klingeln, Schlösser, Ständer – alles, was wichtig ist.“

Bei schwierigeren Fällen kooperiert er mit einem Experten-Netzwerk aus Bekannten und Freunden sowie der Fahrradwerkstatt Blankenhagen und deren Leiter, dem Diplom-Pädagogen Christian Kempe. Gerade erst habe er „einen Kumpel aufgetan“, der sich mit der Aufbereitung von Akkus auskenne. Zum aktuellen Bestand von rund 40 Velos zählen immerhin sechs E-Bikes.

Kurz vor Schulbeginn: Jetzt werden Kinderräder dringend benötigt

Lange Zeit hat sich das Projekt „Fahrräder für Flüchtlinge“ vor Spenden kaum retten können. Doch generell sei das Aufkommen in den letzten Jahren etwas abgeebbt. „Insbesondere Kinderräder sind derzeit rar“, weiß der Experte, „dabei werden gerade diese kurz vor Beginn des neuen Schuljahres besonders dringend benötigt.“

Schließlich müsse der tägliche Weg zur Schule bewältigt werden und nicht alle Kinder seien wohnortnah untergebracht. Der Bedarf ist groß. Wer ein Fahrrad abgeben will, kann sich direkt mit Ludger Klein-Ridder unter Tel. 0152 24348299 oder 05241 33513 in Verbindung setzen.

Dankebrief aus Aserbaidschans Hauptstadt Baku

Gelagert und repariert werden die Fahrräder in drei Garagen an der Holzheide, Franckestraße und am Rudolstädterweg. Eine davon hat Ludger Klein-Ridder privat angemietet, zwei stellt ihm die Stadt Gütersloh zur Verfügung.

Regelmäßiger Abgabeort für die fertigen Fahrräder ist nahe der Radstation am Gütersloher Bahnhof, wo der Projekt-Initiator außerhalb der Ferienzeit an jedem Donnerstag um 14 Uhr auftaucht. Eine Stunde später ist er dann meist in der Garage an der Franckestraße zu finden. Um zu schrauben, zu basteln und zu flicken.

Wie es in Zukunft um das ehrenamtlich geführte Projekt bestellt ist, bleibt offen. Denn Ludger Klein-Ridder, der für sein Engagement auch schon mal Dankesbriefe erhält – wie vor kurzem aus Aserbaidschans Hauptstadt Baku –, denkt mit 75 Jahren langsam darüber nach, kürzer zu treten.

„Man wird ja nicht jünger. Ich stehe wegen eines Nachfolgers im Austausch mit dem Arbeitskreis Asyl. Aber auch falls generell jemand ehrenamtlich helfen möchte, würde ich mich natürlich sehr freuen“, wirbt der Gütersloher um Unterstützung.