In Gütersloh fehlen die Minijobber - "Sie stehen auf der Verliererseite"

Gütersloh. Flaniert man dieser Tage durch die Gütersloher Innenstadt, fallen schnell die zahlreichen Aushänge an den Fenstern von Geschäften und Gastronomiebetrieben ins Auge. Mit großen Lettern wird nach 450-Euro-Kräften beziehungsweise Minijobbern gesucht. Die Zettel und Plakate weisen indirekt aber auch auf ein existenzbedrohendes Problem der Geschäftsleute hin: Aktuell sind nämlich kaum geeignete Minijobber zu finden. Lesen Sie auch: Landrat Adenauer will mit 2G-Regel Druck auf Ungeimpfte erhöhen So können viele Gastronomen und Einzelhändler in Gütersloh derzeit ihre festen Mitarbeiter nicht durch flexibel einsetzbare Kräfte entlasten. Die Folge: "Die Mitarbeiter, die täglich an der Front stehen, müssen Überstunden machen", sagt Andreas Gebauer. Der Filialleiter von Wellington of Bilmore am Kolbeplatz ergänzt: "Viele gehen auf dem Zahnfleisch." Das ist die Ursache für die fehlenden Minijobber Die Ursache für fehlende 450-Euro-Kräfte im Einzelhandel sowie in der Gastronomie sieht der Gütersloher Einzelhandelssprecher Rainer Schorcht in der Coronakrise. Weil die Unternehmer wegen diverser Lockdowns vorübergehend schließen mussten, sei es folgerichtig, dass Minijobber sich in andere Berufsbranchen umorientieren. "Viele Arbeitskräfte haben ihren Arbeitsplatz verändert. Aber wer soll es ihnen verübeln? Sie stehen auf der Verliererseite", sagt Schorcht, der auch einen Rückgang von Nachwuchskräften beobachtet. Andreas Kerkhoff musste wegen der Coronakrise bereits fünf Mitarbeiter ziehen lassen. Sie sind mittlerweile als Fensterbauer oder Industriekaufmann tätig, einer ist in die Photovoltaik-Branche gewechselt. Der Kreisvorsitzende der Dehoga OWL und Inhaber des Hotels Appelbaum erzählt außerdem von neuen Freizeit- und Bezahlmodellen in der Gastronomie in Gütersloh, um an neue feste Arbeitskräfte sowie auch Minijobber zu gelangen. "Viele Gastronomen haben einen zusätzlichen Ruhetag eingeführt. Andere bezahlen ihren Mitarbeitern fünf Tage, obwohl sie nur vier arbeiten müssen." Dennoch sei der zunehmende Branchenwechsel von Arbeitskräften kaum zu kompensieren. Insbesondere vor Weihnachten besteht laut Rainer Schorcht bei den Geschäftsleuten ein erheblicher Bedarf an flexiblen Minijobbern. Schließlich werde der Arbeitsaufwand für die Gütersloher Einzelhändler und Gastronomen in dieser Zeit erfahrungsgemäß höher. Aber: Sollte es wegen hoher Inzidenzen kurzfristig noch zu Schließungen kommen, besteht laut Kerkhoff die Gefahr der Fehlkalkulation. Die Gastronomie sowie der Einzelhandel müsse sich schließlich hinsichtlich ihrer Mitarbeiter für die Vorweihnachtszeit aufstellen. "An der Berliner Straße sucht jedes zweite Geschäft" Neben Wellington of Bilmore sind in Gütersloh unter anderem auch die Bäckerei Birkholz, Royal Donuts, das Kleidungsgeschäft Zeeno sowie der Grillimbiss Stüker auf der Suche nach Minijobbern. "An der Berliner Straße sucht jedes zweite Geschäft", sagt Andreas Gebauer. Eines dieser Geschäfte ist das Fast-Food-Restaurant Mam's Burger. Inhaber Jan Akgül erklärt im Gespräch, dass derzeit nur wenige auf den Aushang im Schaufenster des Restaurants reagieren. "Jetzt, wo die Inzidenzzahlen wieder steigen, werden die Leute vorsichtig", sagt er. Kommt es dann zum Vorstellungsgespräch, muss das nicht zwingend bedeuten, dass der Bewerber auch genommen wird. "Es muss passen", so Akgül. Dauer der Anstellung und Verkaufsgeschick spielen für ihn eine wichtige Rolle. "Wenn ich eine 450-Euro-Kraft zwei Wochen einarbeiten muss, sie aber nach drei Wochen wieder geht, dann hat keiner etwas davon." Andere Gastronomen und Einzelhändler in Gütersloh äußern sich ähnlich. Über 3.000 Minijobber schmissen in den letzten zwei Jahren hin Wie viele Minijobs aktuell im Kreis Gütersloh gesucht oder ausgeschrieben sind, ist unklar. Ebenso, wie viele 450-Euro-Kräfte sich während der Corona-Pandemie in andere Berufsgruppen umorientiert haben. Laut einer Statistik der Agentur für Arbeit Bielefeld wurden ihr im Oktober 2021 für den Kreis Gütersloh lediglich elf Minijobs gemeldet. "Das hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit", sagt Sprecherin Janine Billerbeck. "Unsere Kunden suchen zumeist nicht nach Minijobs", begründet sie. Aus dem Regionalreport der Agentur für Arbeit über Beschäftigte im Kreis Gütersloh geht allerdings hervor, dass vor der Coronakrise im März 2019 noch 40.716 Personen im Kreisgebiet einen Minijob ausübten. Im März 2021 waren es nur noch 37.711, also 3.005 Beschäftigte weniger. Das entspricht einem Rückgang von 7,4 Prozent. "Das ist sicherlich nicht eindeutig dem Corona-Effekt zuzuordnen, zeigt aber zumindest eine Tendenz an", sagt Janine Billerbeck. Lesen Sie auch: Verler Bürgermeister denkt über lokale Corona-Einschränkungen nach Einzelhandelssprecher sieht 12 Euro Mindestlohn als Chance Weil sie nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, gibt es für Minijobber kein Arbeitslosengeld. Der Beitrag zur Rentenversicherung ist freiwillig. "Sozialabgaben werden vom Arbeitgeber getragen", sagt Einzelhandelssprecher Rainer Schorcht. Aus diesem Grund seien Minijobs vor der Krise auch noch "sehr beliebt" gewesen. Vom geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro erhoffe er sich eine steigende Attraktivität für Arbeitnehmer. Aber: Wird die jährliche Verdienstgrenze von 5.400 Euro überschritten, liegt eine versicherungspflichtige Beschäftigung vor. "Bei einer Erhöhung des Mindestlohns ist es fraglich, ob die 450-Euro-Grenze ausreicht, oder ob sie beispielsweise um 100 Euro auf 550 Euro angehoben werden sollte", so Schorcht.

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