Polit-Newcomer holt bestes Ergebnis aller Grünen - das ist sein Geheimrezept

Gütersloh. Martin Noack ist ein Neuling auf der politischen Bühne. Und ein Zugezogener. Öffentlich in Erscheinung getreten ist er bislang ebenfalls kaum. Wie ist es möglich, dass so einer auf Anhieb seinen Wahlbezirk gewinnt? Mit einem der besten Wahlergebnisse stadtweit? Und dabei einen derart renommierten Konkurrenten wie den CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Ischo Can um nahezu zehn Prozent deklassiert und aus dem Stadtrat kegelt? Noacks liebste Erklärung: Haustürwahlkampf. Der 41-Jährige hat Klinken geputzt Der 41-Jährige, Mitglied der Grünen, hat Klinken geputzt. Und zwar jede. Vier Wochen hat er in seinem Wahlbezirk 160 (Heidewaldschule) nur wenig anderes getan, war jeden Tag, bis aufs Wochenende, stundenlang unterwegs. Vier Wochen hat er sich dafür Zeit genommen – die letzten beiden Wochen seiner Elternzeit und zwei Urlaubswochen. &bdquo;Ich wollte es durchziehen", sagt Noack. &bdquo;Ich wollte wirklich überall gewesen sein." In dieser Konsequenz dürfte das selten bis einmalig sein. Noack sagt, an manchen Tagen habe er 60 Türen geschafft, an anderen 120. In Wohnkomplexen wie an der Weserstraße reichte es ihm nicht, sein Werbematerial unten in die Briefkästen zu stopfen, sondern er ging hinein und klingelte an jeder einzelnen Tür. Traf er die Bewohner nicht an, legte er ihnen seine Postkarte und einen kleinen Zettel davor. &bdquo;Ich wollte, dass die Leute wissen, dass ich mich ihnen persönlich vorstellen wollte." Auch die Bauernhöfe im hintersten Winkel seines Wahlbezirks besucht Als er am Samstag vor der Wahl noch nicht die 100-Prozent-Abdeckung geschafft hatte, setzte er sich aufs Rad und fuhr die Bauernhöfe auch im hintersten Winkel seines Wahlbezirks ab. &bdquo;Am Ende fehlten nur drei Häuser", sagt Noack. Wobei zu ergänzen sei, dass Ines Böhm und Maik Steiner ihm 110 Türen abgenommen hätten. Noack nimmt an, dass sich das Engagement ausgezahlt hat. Auf 30 Prozent hatte er gehofft, auf ein enges Rennen mit Ischo Can, nun wurden es 34,99 Prozent und das beste Ergebnis aller Grünen. &bdquo;Haustürwahlkampf wirkt", sagt Noack. Für jenen, der vor der Tür steht, aber auch für die Demokratie insgesamt. Der promovierte Arbeits- und Organisationspsychologe, bei der Bertelsmann-Stiftung beschäftigt, verweist auf eine Studie der Universität Mainz. 2014 hatten Wissenschaftler dort ein Experiment zu Mobilisierungspotenzialen bei Wahlkämpfen durchgeführt. In 28 Wahlbezirken erforschten sie die Effektivität von Haustürbesuchen, ergänzt um eine Umfrage. Ihr Fazit: Während Briefkasten-Flyer im Müll landen und keinen nachweisbaren Effekt haben, bleiben Hausbesuche hängen – in der Erinnerung und der Personenbezogenheit. Zwar wirken sie sich kaum auf die Wahlentscheidung aus, aber sie fördern das Gefühl, ernst genommen zu werden, und das erhöht die Wahlbeteiligung. Die Stadt soll befristet Haustür-Wahlkämpfer anstellen Gerade dieser Aspekt ist Noack wichtig. &bdquo;Wie kann es sein, dass die Wahlbeteiligung bei einer Kommunalwahl unter 50 Prozent liegt?" Er finde das erschreckend. Schulen, Straßen, Kitas, Nahverkehr, Energieversorgung: Man müsse den Leuten erklären, wie wichtig Kommunalpolitik sei, wie unmittelbar sie sich auf ihre Lebenswelt auswirke. Noacks Idee: Die Stadt soll befristet Haustür-Wahlkämpfer anstellen: Parteiunabhängige, die im Auftrag der Kommune von Tür zu Tür gehen und die Bewohner darauf hinweisen, dass eine Wahl bevorsteht. &bdquo;Es muss so konkret wie möglich sein", sagt Noack. &bdquo;Wann ist zu wählen, wie ist zu wählen, um welche Art von Entscheidung geht es, wer steht dafür zur Wahl?" Sein Rat: Mehr Bürgernähe Je mehr Aufklärung betrieben werde, desto höher die Wahlbeteiligung, desto gestärkter die Demokratie. &bdquo;Eine Stadt oder meinetwegen auch ein Staat sollten dafür Geld zur Verfügung haben." Es gebe zwar immer mehr Informationskanäle, vor allem digitale, aber das tatsächliche Wissen über Sinn und Zweck von Wahlen drohe zu schwinden. Mehr Bürgernähe, das ist das, was er jedem Politiker raten würde. &bdquo;Ja, auch ich bin bei Twitter, Facebook und Instagram und habe meine Abonnenten, Likes und Kontakte, aber das reicht nicht. Politiker brauchen Interaktion, nicht nur Präsentation. Der Bürger muss die Authentizität eines Kandidaten erleben können." Wer sich nie in realiter blicken lasse, dürfe sich über Wahl- und Politikmüdigkeit nicht wundern. In rund 40 Prozent seiner Hausbesuche traf er die Bewohner an. &bdquo;Mal beschränkte sich das auf ein kurzes Guten Tag, mal kam es zu längeren Gesprächen. Gelegentlich bin ich auch hineingebeten worden." Vor sieben Jahren ist er nach Gütersloh gezogen Um in den Stadtrat einzuziehen, hätte sich Noack den Haustürwahlkampf sparen können. Obwohl erst vor zwei Jahren bei den Grünen eingetreten, hatten sie ihn auf Listenplatz sechs platziert, das Mandat war ihm sicher. Ihm sei sei es aber darum gegangen, sich als Direktkandidat zu zeigen, als derjenige, der sich für die Belange Sunderns einsetzt. &bdquo;Ich verstehe mich nun als direkter Ansprechpartner der Sunderaner. Wäre ich über die Liste eingezogen, hätte ich eine höhere Notwendigkeit gesehen, deren Anliegen gegen städtische Interessen abzuwägen." Vor sieben Jahren war Noack mit seiner Familie nach Gütersloh gezogen. Vier Töchter hat er, in der Heidewaldschule hat er unlängst auf Wunsch der Lehrerin eine Unterrichtsstunde über Wahlen abgehalten. Günstige Umstände für den Newcomer Dass er als Newcomer ein derart gutes Ergebnis erzielte, hat Noack auch günstigen Umständen zu verdanken. Wolfgang Harbaum (CDU), beim letzten Mal Gewinner des Wahlbezirks, und Susanne Kohlmeyer, bekannte SPD-Ratsfrau, hätten das Feld geräumt. &bdquo;Ich empfinde einen enormen Respekt für jeden, der ehrenamtlich Politik betreibt", sagt Noack. Geboren in Leipzig, aufgewachsen in der DDR, komme er aus einem Land, &bdquo;wo Wahlen nichts gebracht haben". Immer wieder hätten seine Eltern Ausreiseanträge gestellt, bis die Familie ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer endlich die Genehmigung bekam und nach Lübeck zog. &bdquo;Demokratie ist was Kostbares, wir sollten sie hüten und pflegen", sagt er.

Meistgelesen