Interesse an Bürgermeister-Wahl erschreckt: Nicht-Wählen in Gütersloh salonfähig geworden

Gütersloh. Die einen sagen &bdquo;Prost!“, die anderen &bdquo;Prost Mahlzeit!“: Als Maßnahme gegen eine niedrige Beteiligung bei der Europawahl im Juni hat die Stadt Duisburg eine aufsehenerregende Aktion gestartet und Freibier an Bürger verteilt. Wer sich seine Briefwahlunterlagen abgeholt oder ausgefüllt vorgezeigt hat, dem hat die Ruhrgebiets-Metropole einen alkoholfreien Gerstensaft ausgetan. &bdquo;Letztlich haben sich nur fünf Bürger beteiligt, aber der Medienrummel war groß und somit auch die Aufmerksamkeit für die eigentliche Sache“, so der Stadtsprecher. Sind die Grenzen des guten Geschmacks überschritten? Bei der Bürgermeisterwahl am Sonntag, 17. November, gab es 80.275 Wahlberechtigte in Gütersloh. 32.737 haben ihre Stimme für einen der vier Kandidaten abgegeben – macht eine Wahlbeteiligungsquote von 40,78 Prozent. Die Zahl hat viele erschreckt. Die Betroffenheit war parteiübergreifend gleich hoch. Lesen Sie auch: Gütersloh muss in die Stichwahl: &bdquo;Ein Spitzenduell, das spannend wird“ Die Mutmaßungen schießen ins Kraut: &bdquo;Nach der Abwahl von Norbert Morkes gehen die Leute nicht mehr wählen. Nach dem Streit im Rathaus haben alle die Nase voll. Von diesen Kandidaten kann man niemanden wählen. Es ändert sich ja ohnehin nichts.“ Anders als die Wahlbeteiligung beträgt die Meckerquote oft 100 Prozent. Niedrige Wahlbeteiligung ist kein neues Phänomen Es reicht ein Blick in die Vergangenheit, um festzustellen, dass die Wahlbeteiligung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kausal mit der jetzigen politischen Situation in Gütersloh zusammenhängt. Sie ist ein Trend. Bei der Bürgermeisterwahl im September 2020 lag sie bei 47,95 Prozent. In der Stichwahl von Henning Schulz und Norbert Morkes wurden 38,13 Prozent erzielt. Im September 2015 lag die Wahlbeteiligung bei 39,31 Prozent. In der anschließenden Stichwahl zwischen Henning Schulz und Matthias Trepper bei gerade mal 31,78 Prozent. Als Maria Unger und Heiner Kollmeyer einst um das Spitzenamt kämpften, lag die Wahlbeteiligung bei 50,98 Prozent – aber das war 2009 und eine andere gesellschaftliche Zusammensetzung. Inzwischen darf ab 16 gewählt werden. Haben die jungen Wähler ihre Stimme überhaupt abgegeben? Wer verweigert sich denn genau? Eine Analyse der Zahlen ist nicht möglich, denn eine Wahlbeteiligung nach Altersgruppen wird statistisch nicht erhoben. Wo soll man ansetzen, wenn man nicht weiß, wo? &bdquo;Die Wahl habe ich ganz vergessen“, &bdquo;Ich habe meine Wahlunterlagen verklüngelt“, &bdquo;Es hat geregnet“ – diese und andere Erklärungen haben die Wahlkämpfer um Henning Matthes und Matthias Trepper in den vergangenen Tagen im Haustür-Wahlkampf zu hören bekommen. Kreative Ideen zum Überzeugen der Bürger sind gefragt In den 70er-Jahren gingen mehr als 90 Prozent zu Bundestagswahlen. Das sind Werte, wie man sie sonst nur aus Ländern mit Wahlpflicht kennt. Das politische Interesse war hoch, das Ganze kombiniert mit einer verinnerlichten Wahlnorm. Man geht halt wählen. Bürgerpflicht. Diese Norm schwindet. Das Nicht-Wählen ist längst salonfähig geworden – auch bei vielen (gebildeten) Güterslohern. Eine Wahlpflicht gibt es bislang nicht. Möchte man die Entwicklung ändern und die Bürger an die Wahlurne bringen, braucht es kreative Ideen. Ist das Freibier so abwegig? Wer wählen geht, bekommt eine Belohnung. &bdquo;Ein Gratis-Eintritt im Schwimmbad“, könnte sich Alexander Döring vom FDP-Stadtverband vorstellen. Und Martin Noack von den Grünen hat angeregt, dass die Stadt &bdquo;etwa auf Minijob-Basis“ Personen einstellt, die in Stadtvierteln von Tür zu Tür ziehen und Bewohner neutral auf die bevorstehende Wahl hinweisen. Lesen Sie auch: Deutliche Worte vor der Gütersloher Bürgermeister-Stichwahl: Die Highlights des Duells Vielleicht müssen wir uns erst an diesen Gedanken gewöhnen, dass Menschen zur Wahl gelockt werden müssen. Das scheint absurd. Aber eine Wahl mit 30 Prozent Beteiligung und der tatenlosen Hoffnung, dass es irgendwann mal besser wird, scheint genauso absurd. Bis zur Stichwahl am 1. Dezember bleibt jetzt nur noch Zeit für einen Appell: Nutzen Sie bitte Ihre Stimme! Zur Belohnung dürfen Sie anschließend bei Missfallen meckern. Mit Berechtigung.

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