Gütersloh

Wapelbad-Betreiber sagt: Gütersloh tut zu wenig für junge Menschen

Ist die Dalkestadt mit ihren 100.000 Einwohnern ein Friedhof für Jugendliche? Matthias Markstedt, Veranstalter der Wapelbeats und des Holi-Festivals, sagt ja.

Klare Worte: Der „Bademeister“, wie Matthias Markstedt gern von den jungen Gästen seiner Veranstaltungen im Wapelbad genannt wird, kritisiert die Stadt. | © Andreas Frücht

02.07.2019 | 02.07.2019, 11:37

Gütersloh. Matthias Markstedt, Betreiber des Wapelbads, ist davon überzeugt, dass die Stadt zu wenig für junge Menschen tut. Gäbe es die „Wapelbeats" nicht, wäre Gütersloh ein Friedhof für Jugendliche.

Herr Markstedt, Sie haben sich jüngst öffentlich darüber empört, dass Politik und Verwaltung in Gütersloh – überspitzt gesagt – jugendfeindlich seien.

MATTHIAS MARKSTEDT: Zumindest hat die Jugend in Gütersloh keine Lobby. Tatsache ist doch, dass es hier für junge Menschen mittlerweile so gut wie keine Freizeitangebote mehr gibt. Keine Disko, kein richtiges Jugendzentrum, ja nicht einmal einen öffentlichen Ort zum Treffen gibt es. Man hat den Eindruck, der Stadt wäre es am liebsten, alle jungen Leute zwischen 16 und 25 Jahren zögen weg und kämen erst mit 25 zurück. Für einen Ort mit mehr als 100.000 Einwohnern ist das ein Witz!

Das war früher anders?

MARKSTEDT: Allerdings! In den 70er Jahren, also in meiner Jugend, gab es zahlreiche Möglichkeiten. Wir hatten beispielsweise die katholische junge Gemeinde, die katholische studierende Jugend oder die Pankratius-Gemeinde mit ihrem Jugendheim, wo immer irgendetwas los war. Oder man fuhr ins Zeltlager. Ich war zwischen meinem 10. und 16. Lebensjahr regelmäßig in einem, das seinerzeit vom ehemaligen Jugendgerichtshelfer Günter Klauke geleitet wurde, der übrigens unser 2. Vorsitzenden ist und lange Zeit Chef des Gütersloher Jugendzentrums war – das es nun auch schon seit Jahren nicht mehr gibt. Außerdem hatten wir jedes Wochenende in Avenwedde Disko, im Haus Buchwald auch und ziemlich regelmäßig auch bei Pankratius. Zudem konnte man sich ungestört in den Parks der Stadt treffen. Es gab viele Orte, wo man zusammenkommen und quatschen konnte. Leider ist davon nicht viel übrig geblieben.

Warum eigentlich?

MARKSTEDT: Treffpunkte für junge Leute sind von der Stadt scheinbar nicht gewünscht. Allen, die versuchen, etwas auf die Beine zu stellen, wird es seitens der Verwaltung mit immer neuen Auflagen schwer gemacht. Oder die Medien schreiben, dass die jungen Leute alles vermüllen und sowieso nur kiffen, saufen und sich prügeln wollen. So, wie ihr es als NW.de zum 1. Mai ja auch gemacht habt. Das ist gegenüber den Jugendlichen nicht fair.

Tatsachen müssen aber berichtet werden . . .

MARKSTEDT: Klar, man muss aber auch die Kirche im Dorf lassen. Natürlich ist das mit dem Müll in den Dalkeauen Mist. Schwarze Schafe, die sich nicht benehmen können, gibt es eben überall. Der 1. Mai ist einmal im Jahr – die Stadt soll den Kram wegräumen und fertig. Vielleicht würden auch ein paar klare Ansagen helfen. Mit den meisten Jugendlichen kann man nämlich reden. Davon mal abgesehen, sieht es doch nach jedem Bundesliga-Fußballspiel deutlich schlimmer aus. Würde der FC Gütersloh noch hochklassig spielen, wäre das mit dem Müll ja auch kein Problem.

"Nach jedem Fußball-Bundesligaspiel sieht es schlimmer aus"

Als 1. Vorsitzender des Fördervereins Wapelbad betonen Sie gern, dass es bei den Wapelbeats oder dem Holi-Festival nie Probleme gibt. Wie kommt das?

MARKSTEDT: In der Tat erleben wir bei unseren Veranstaltungen nie negative Dinge, obwohl manchmal bis zu 4.000 Besucher da sind. Die jungen Leute sind nämlich gar nicht so übel, wie sie hingestellt werden, im Gegenteil: Die meisten sind glücklich, dass sie einen Ort zum Feiern haben und behandeln ihn entsprechend mit Respekt. Wohl auch, weil das Wapelbad der einzige Ort ist, wo man noch relativ ungestört feiern kann. Man kann sagen, dass wir die einzigen sind, die die Fahne für die Jugend hochhalten.

Event im Wapelbad: Die Wapelbeats sind bei jungen Güterslohern beliebt. - © Förderverein Wapelbad
Event im Wapelbad: Die Wapelbeats sind bei jungen Güterslohern beliebt. | © Förderverein Wapelbad

Ist das nicht ein wenig anmaßend? In Gütersloh gibt es doch deutlich mehr Veranstaltungsorte als das Wapelbad.

MARKSTEDT: Im sehr kostenintensiven Theater ist das Angebot für junge Menschen begrenzt, und die Stadthalle mit dem Charme eines Krematoriums geht überhaupt nicht klar. Statt dort Millionen zu investieren, müsste man sie abreißen und eine Multifunktionshalle bauen.

Was ist denn mit dem Parkbad. Es hat ähnliche Voraussetzungen wie das Wapelbad . . .

MARKSTEDT: . . . und liegt mitten in einem Wohngebiet. Das hat zur Folge, dass man ständig Ärger hat. Das war schon früher so. Einige wenige Nachbarn nehmen vielen anderen den Spaß. Man muss sich das mal vorstellen: Um 21.15 Uhr muss bei Konzerten die Musik aus sein und um 22 Uhr ist komplett Schluss. Das ist doch lächerlich!

Bleibt noch die Weberei . . .

MARKSTEDT: Seit dem Auftauchen der Bönings ist daraus ein Kommerzschuppen geworden. Allein bei den Preisen wird einem speiübel. Welcher junge Mensch soll sich das leisten können? Davon abgesehen, gibt es dort nicht mal mehr eine vernünftige Disko. Die einzige, die lief, war die Robotrock/Elektrofon, und die ist mittlerweile tot. Bleiben nur noch die Ü-30-Partys – ein tolles Angebot für junge Erwachsene (lacht).

Was also könnte die Stadt für die jungen Menschen tun?

MARKSTEDT: Die Frage ist doch, warum die Stadt für viel Geld die Stadthalle und das Theater betreibt, die Weberei aber nicht. Meiner Meinung nach müsste man sich zuerst um die Weberei kümmern. Dorthin fließen jährlich 70.000 Euro Zuschuss, und zwar mit dem Ergebnis, dass die dort kein besseres Programm zustande bekommen. Was ist denn mit der Jugendarbeit? Warum gibt es dort keine Sozialarbeiter, warum gibt man alles in fremde Hände? Weberei und Bauteil 5 muss zusammen geführt werden mit mehr Sozialarbeitern in Vollzeit und nicht mit viel zu wenig Teilzeitkräften.

Was ist denn mit Treffmöglichkeiten im öffentlichen Raum?

MARKSTEDT: Das ist die große Frage. Es müssen im öffentlichen Raum wieder Plätze geschaffen werden, beispielsweise im Mohns Park. Der war früher immer ein Treffpunkt für junge Leute. Wer heute dort laut Musik anmacht, muss damit rechnen, rauszufliegen. Vom Grillen will ich gar nicht reden. Warum stellt die Stadt nicht die große Wiese im Mohnspark zur Verfügung und macht dort eine eigene Veranstaltung mit Musik von DJs oder Newcomern bis 22 Uhr? Oder warum wird der Dalke-Bereich zwischen Weberei und Brauhaus nicht anders genutzt?

Und warum?

MARKSTEDT: Das sind die ersten Auswirkungen einer überalterten Gesellschaft. Wer setzt sich schon dafür ein, dass 15 oder 16-Jährige irgendwo feiern können? Niemanden interessiert das. Im Stadtrat, der solche Angelegenheiten entscheidet, sitzen die Leute, bis sie 70 sind. Und eben die gehen dann abends in die Skylobby und prosten sich mit ihrem Prosecco gegenseitig zu. Freiwillig in die Weberei oder ins Wapelbad geht doch keiner von denen.

Also müssen die jungen Leute selbst etwas organisieren?

MARKSTEDT: Eigentlich können sie nur resignieren und zum Feiern woanders hinfahren. Denn welcher 20- oder 30-Jährige ist denn heute in der Lage, ein öffentliches Fest oder eine Party zu organisieren, die mit einem so großen Risiko verbunden ist? Allein schon, was Schallgutachten und Sicherheitskonzepte kosten, von einer etwaigen Haftung ganz zu schweigen.

Sie sprechen aus eigener Erfahrung?

MARKSTEDT: Als wir 2007 gestartet sind, waren wir überzeugt, dass Partys kein Problem sein werden. Es dauerte keine Stunde, bis sich die ersten Landwirte, also unsere direkten Nachbarn, telefonisch beschwerten. Wir hatten ständig Ärger, unter anderem wurde uns vorgeworfen, dass wir gegen den Naturschutz verstoßen, weil wir mit der Musik die wilden Tiere verscheuchen würden. Das ging so weit, dass man anwaltlich und mit Unterschriftenlisten gegen uns vorgegangen ist und die Wapelbeats auf der Kippe standen. Wir mussten ein Schallgutachten erstellen lassen mit dem Ergebnis, dass die Bässe nicht lauter als 70 Dezibel sein dürften. Irgendwann haben wir uns mit dem Ordnungsamt auf fünf Wapelbeats im Jahr bis 23 Uhr geeinigt. Größere Feiern wie Hochzeiten oder Geburtstage mit Musik sind damit nicht mehr gestattet.

Schützenfeste haben solche Probleme aber offenbar nicht.

MARKSTEDT: Weil das sogenannte Traditionsfeste sind. Vor einigen Jahren wollte Nobby Morkes von der BfGT mal im Rat den Antrag stellen, die Wapelbeats ebenfalls als Traditionsfest anzuerkennen, woraufhin uns mit der Kündigung des Pachtvertrages gedroht wurde, wenn ich den Nobby nicht zurückpfeife. Man muss sich ernsthaft fragen, was das überhaupt für eine Tradition ist, dieses sinnlose Rumgeballer auf irgendeinen Holzadler. Kein Wunder, dass den Schützenvereinen der Nachwuchs ausgeht und die ihre Zelte und Säle kaum noch voll kriegen. Die Jugend will vernünftige Feste feiern, mit vernünftiger Mucke, einer vernünftigen Anlage und einer vernünftigen Lautstärke. So einfach ist das – und genauso schwer.

Also bleibt alles beim Alten?

MARKSTEDT: Alles bleibt beim Alten. Würde es die Wapelbeats und das Holi-Festival nicht geben, wäre Gütersloh wieder ein Friedhof für die Jugend.