Legendäres Gütersloher Event verschwindet nach 40 Jahren für immer

Gütersloh. Das letzte Stück war von Trisomie 21, &bdquo;The Last Song“ ein Klassiker von 1986, Dark Wave. Es muss so gegen 4.30 Uhr gewesen sein, als DJ Micky ihn anspielte. Der Morgen graute noch nicht, aber wem graute, waren die letzten Verbliebenen auf der Tanzfläche. Sie hatten durchgemacht, durchgehalten, und nun standen sie da und stellten fest: Das war’s, mehr kommt nicht. Die Zappelfete der Weberei, sie ist Geschichte. Nach mehr als 40 Jahren. Schon kurz nach Eröffnung der Alten Weberei 1984 hatte die Zappelei begonnen. Sie ist legendär. Sie schaffte es auf die Titelseite des &bdquo;Stern“, sie zog Leute aus der ganzen Region und dem Ruhrgebiet an, sie beschäftigte Polizisten und die Kulturpolitiker im Bundestag. Nun ist ihr der Stecker gezogen worden. Weil die Weberei demnächst wegen Großsanierung schließen muss, lässt sie ihr Programm ausplätschern: die letzte Zappelfete, der letzte Paradance, der letzte Cable Street Beat. Ihr Inventar verhökert sie auf dem Flohmarkt. Lesen Sie auch: Gütersloher Weberei vor Scherbenhaufen: Hat das Wahrzeichen noch eine Chance? 400, vielleicht 500 Leute waren es, die am Samstag kamen, um ein letztes Mal zu zappeln. Ein großteils ergrautes Publikum, 40 bis 70 Jahre alt. DJ Micky legte auf, was er in den letzten Jahren immer auflegte: Radiohead, Nirvana, Pearl Jam, die Ramones, die Pixies, The Clash, Anne Clarke, New Order, solche Sachen. Independent-Zeug halt, dazu etwas Wave und Post-Punk. Die Mischung funktionierte stets recht verlässlich. Experimente blieben rar. Gütersloher blicken mit Nostalgie zurück Micky, richtiger Name: Michael Förster, zieht an solch einem Zappelfeten-Abend rund 80 Stücke durch. Er pickt sie aus einer Liste von einigen Tausend, die er auf seinem Laptop gespeichert hat. Wie die meisten DJs arbeitet er mit der Profi-Software von Traktor, auch sein Controller ist von Traktor. Drei Meter neben ihm steht Didi, der LJ, Lichtjockey. Als die beiden in der Nacht ihre Apparate ausknipsen und ihr Mitgebrachtes verstauen, ist die Halle nahezu leer. Zu rührenden, herzergreifenden Abschiedsszenen sei es nicht gekommen, berichtet Micky anderntags per Mail. &bdquo;Eine gewisse Trauer hat aber manche doch erfasst, auch mich.“ 15 Jahre lang hat er die Leute zappeln lassen, ist selbst darüber gealtert. Nun wird er künftig öfter in Bielefeld, Soest oder Dortmund auflegen. Lesen Sie auch: Gütersloher Weberei-Chef rechnet ab – warum die Kündigung unumgänglich war Vorerst können die Leute in Gütersloh nur in Nostalgie schwelgen. Legendär sind vor allem die ersten Jahre. Als die Alte Weberei aufmachte, war das für das junge Volk eine große Sache. Die vielen Babyboomer, alle im passenden Alter, hatten in Gütersloh eine neue, große Stätte, wo sie abfeiern konnten. Die Zappelfete, eigentlich eine harmlose Jugend-Disko, ging durch die Decke. Rund 1.000 Leute kamen, jede Woche, und das, obwohl sie mittwochs stattfand. Gütersloher Zappelfete wurde Treffpunkt für alle Subkulturen &bdquo;Das war schon irgendwie kurios“, erinnert sich Ulrike Schüler. &bdquo;Die Zappelfete entwickelte sich im Nu zum Treffpunkt für alle möglichen Subkulturen. Da trafen die Punker auf die Skinheads, die Hippies auf die Waver. Völlig klar, dass das nicht immer gut ging.“ Es gab Schlägereien, Polizeieinsätze. Ulrike Schüler erinnert sich an Jahre, in denen kaum eine Zappelfete friedlich verlief. Die Gangs prügelten sich auf der Tanzfläche, manche brachten Waffen mit. &bdquo;Es war ein Spektakel“, sagt Schüler. &bdquo;Wenn du donnerstags in die Schule gingst, hattest du immer was zu erzählen.“ Gütersloh entwickelte sich zum Sammelbecken für rechtsextreme Skins, auf der anderen Seite formierte sich eine große Antifa-Bewegung. Oft standen sie sich gegenüber – und der Druck entlud sich beim Zappeltanz. Trotzdem – oder vielleicht deswegen – gingen die Besucherzahlen nicht runter. Die Stadt, die Behörden, auch die Szene selbst wusste anders damit umzugehen: Sie formierte einen Disko-Rat, ein Gremium. Darin: Vertreter aller Subkulturen und der Kontaktbeamte der Polizei, Jan Bobe. &bdquo;Man setzte sich an einen Tisch, man verständigte sich. Am nächsten Mittwoch bekam der DJ eine Liste und genaue Instruktionen: erst drei Lieder für die Waver, dann drei Leute für die Ska-Szene, dann drei Lieder für die Punks. Die jeweils anderen hatten zu warten. So bekam man die Sache in den Griff.“ Gütersloher Weberei erregte deutschlandweite Aufsehen Wie Gütersloh es schaffte, Szenen zusammenzuführen, ohne permanent zu eskalieren, erregte Aufsehen. Das Magazin &bdquo;Stern“ druckte eine Story über Jugendkulturen und packte ein Bild von der Zappelfete auf die Titelseite. Die &bdquo;taz“ widmete der Weberei einen Komplettartikel. Selbst in Bonn wurde man aufmerksam. Eine Gütersloher Delegation sollte in einem Fachausschuss des Bundestages über Methoden der akzeptierenden Jugendarbeit berichten, der Termin stand fest, doch dann fiel in Berlin die Mauer, und etwas anderes erlangte Priorität. Auch interessant: Disco in Güterslohs Innenstadt seit zehn Jahren erfolgreich - Diese Promis waren schon da In der Weberei verlor die Zappelfete nach und nach ihr Prickeln. Der Reiz des Neuen war verflogen, Kloppereien hatte man genug gesehen. Die Neonazi-Szene, geführt durch die Nationalistische Front, bröckelte erheblich, folglich war auch weniger Widerstand nötig. Musikalisch kam Techno, House, Elektro, Hip-Hop auf. Manches davon gut tanzbar, vieles nicht. Gleichwohl: Die Zappelfete hielt sich, wenngleich Termine und Besucher schwanden. Als die Weberei finanziell mal wieder teil- oder vollkollabierte, der Sanierer Peter Vermeulen von der Parisozial den Auftrag erhielt, das Kultur- und Bürgerzentrum in eine andere Richtung zu steuern, es bürgerfreundlicher und familientauglich zu gestalten, waren die Randgruppen raus. Der Kult um die Zappelfete verflüchtigte sich – bis zur Wiederbeatmung in den 2010er-Jahren. Sonderzug kutschierte Tanzwütige durch den Kreis Gütersloh Die neuen Träger, die beiden Böning-Brüder, peppten das Format wieder auf, schufen Sonderformate wie &bdquo;Zappelfete meets Oelde“ oder &bdquo;Zappelfete meets Rockpalast“. Da es in den Städten viele der früheren Clubs nicht mehr gibt, waren mit diesem &bdquo;Meet“-Konzept eine Menge älterer Leute doch noch vom Sofa zu locken. Meistens legte Micky auf, manchmal ein DJ aus dem Bielefelder PC 69. Legendenstatus, sofern man das bei nur neun Jahre zurückliegenden Ereignissen behaupten kann, erreichte der Sonderzug: Über die TWE-Strecke kutschierte er Tanzwütige aus Harsewinkel und Marienfeld nach Gütersloh. Im Zug konnten sie prima vorglühen. &bdquo;Ja, schöne Zeiten waren das“, sagt Micky. Der 55-Jährige, geboren in Bielefeld, wohnhaft in Wadersloh, mag das Zappelfeten-Publikum, es war ihm mit das liebste. Er ließ sich auf dessen Musikwünsche ein und stieß auf Verständnis, blieb er bei dem Wunsch nach einem Schlager dennoch hartnäckig beim Nein. Umgekehrt wusste er immer, wie er die Tanzfläche gefüllt bekam. &bdquo;,Hate Is a 4-Letter Word von Shock Therapy, das war eine sichere Bank. Und dann der Weberei-Kultsong schlechthin: Where is My Mind von den Pixies“ Es wäre schön, wenn er das in Gütersloh irgendwann wieder auflegen dürfe, sagt Micky. Aktuelle News erhalten Sie täglich auf dem Whatsapp-Kanal der NW Gütersloh

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