Bauflaute

Seniorenwohnungen in Bielefeld: Experten schlagen Alarm wegen steigender Nachfrage

Durch den Renteneintritt der Babyboomer steht ein sprunghafter Anstieg des Bedarfs an altersgerechten Wohnungen bevor. Was Experten fordern – und was die Stadt Bielefeld sagt.

Eine ältere Frau mit Gehstock in ihrer Wohnung. Für Menschen mit Gehbehinderungen sollten nicht nur die Zugänge von Häusern und Wohnungen barrierefrei sein, sondern zum Beispiel auch die Bäder und Toiletten. | © picture alliance / KNA

Martin Krause
24.03.2025 | 24.03.2025, 17:48

Bielefeld. Die Babyboomer gehen in Rente. Doch Bielefeld ist auf den Wohnungsbedarf der steigenden Zahl älteren Menschen nach Ansicht von Experten schlecht vorbereitet. Eine Untersuchung des Pestel-Instituts aus Hannover zeigt, dass bis 2035 in Bielefeld rund 70.400 Menschen im Ruhestand sein werden, 7.900 mehr als heute. Die Entwicklung bereitet Sorgen, denn: „Es fehlen Seniorenwohnungen“, sagt Matthias Günther, der Leiter des Instituts.

Die Studie zeigt, dass in 29 Prozent der etwa 164.300 Haushalte der Stadt bereits heute Senioren leben. Schon jetzt benötige Bielefeld über 11.000 altersgerechte Wohnungen für Ältere, „die nicht mehr gut zu Fuß sind“. Für 2045 prognostiziert die Untersuchung, dass etwa 14.900 Haushalte entsprechende Unterkünfte benötigen werden. Oftmals seien die wenigen vorhandenen seniorengerechten Wohnungen zudem von jüngeren Familien belegt, da diese oftmals Schwellenfreiheit und mithin komfortable Zugangsmöglichkeiten auch für Kinderwagen bieten.

Das Pestel-Institut unterstreicht nun die Notwendigkeit einer umfassenden Sanierungsoffensive, um mehr passende Wohnungen zu schaffen.„Doch die ist bislang nicht in Sicht: Das Fatale ist, dass wir dazu politisch nur eine Vogel-Strauß-Taktik erleben. Statt mit einem effektiven Programm fürs Seniorenwohnen das Problem anzupacken, hat vor allem der Bund den Kopf in den Sand gesteckt und die graue Wohnungsnot seit Jahren ignoriert“, so Günther.

Newsletter
Wohnen & Wohlfühlen
Immo-News, Bautrends und Wohntipps aus Bielefeld.

Wohnungsmarkt in Bielefeld: Wie sieht der aktuelle Trend aus?

Wohnungsbau auch wichtig für die Konjunktur

Das müsse sich jetzt dringend ändern, fordert Katharina Metzger. Sie ist Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der die Untersuchung zum Seniorenwohnen beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. An die Adresse der Politik richtet Metzger einen eindringlichen Appell: „Der Wohnungsbau braucht einen gewaltigen Schub. Es ist wichtig, dass die CDU und die SPD in Bielefeld dieses ‚SOS-Notsignal fürs Wohnen‘ deutlich nach Berlin funken.“

Nötig seien mehr Seniorenwohnungen durch Neubau und Sanierung, aber zudem auch mehr bezahlbare Wohnungen und mehr Sozialwohnungen, so die Präsidentin des Baustoff-Fachhandels. Eine künftige schwarz-rote Bundesregierung müsse den Wohnungsbau zudem als Motor für die Binnenkonjunktur nutzen, sagt Metzger. Denn es gehe auch um die Erhaltung vieler Arbeitsplätze von Bauarbeitern und Handwerkern, die längerfristig dringend gebraucht werden.

Im Rathaus der Stadt Bielefeld wird die Sache etwas entspannter gesehen. In Bielefeld gebe es dem Statistischen Landesamt (IT.NRW) zufolge weit mehr als 170.000 Wohnungen. Eine exakte Erhebung, wie viele Wohnungen davon seniorengerecht oder barrierefrei sind, liege zwar nicht vor. In Gebäuden der Gebäudeklassen 3 bis 5 dürften aber bereits seit vielen Jahren Wohnungen nur dann entstehen, wenn die Wohnungen barrierefrei sind. Das gelte auch für öffentlichb geförderte Wohnungen, teilte ein Sprecher der Stadt mit. Demnach müsste sich das Angebot an barrierefreien Wohnungen in Bielefeld in den vergangenen Jahren kräftig erhöht haben.

Immer informiert: Alles zum Thema Bauen und Wohnen in Bielefeld

Stadtverwaltung sieht Bielefeld „gut aufgestellt“

Zwar seien mit dem Standard der Barrierefreiheit Mehrkosten verbunden, die sich auf die Mieten niederschlagen, aber angesichts des demografischen Wandels sei der Standard bedarfsgerecht. Stadtsprecher Niklas Böhmer erinnert auch daran, dass es in Bielefeld bereits seit 1996 das sogenannte „Bielefelder Modell“ gebe: Dabei wird die pflegerische Versorgung von Menschen im Quartier in den Mittelpunkt gestellt. Die Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH (BGW) bietet älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung komfortable und barrierefreie Wohnungen, die in bestehende Wohnquartiere und in guter infrastruktureller Anbindung einbezogen sind.

Das Konzept ermöglicht Senioren und Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Wohnen mit Versorgungssicherheit, ohne dass dafür eine Betreuungspauschale anfällt. Das Bielefelder Modell hat bundesweit Aufmerksamkeit erlangt: „Insofern sieht sich die Stadt Bielefeld im Bereich der Wohnungswirtschaft in Bezug auf den demografischen Wandel, anders als vielleicht andere Kommunen, gut aufgestellt“, so das Fazit der Verwaltung.

Das Pestel-Institut warnt aber noch vor anderen Problemen auf dem Wohnungsmarkt für Ältere: Denn vielen Senioren, die zur Miete wohnen, drohe Altersarmut. „Bei vielen Babyboomern gab es Phasen von Arbeitslosigkeit. Außerdem waren die geburtenstarken Jahrgänge die, die oft zum Niedriglohn gearbeitet haben. Also gehen viele Babyboomer mit einer eher kleinen Rente nach Hause. Ihre Miete können sie sich damit nicht mehr leisten“, prognostiziert das Pestel-Institut. In Zukunft würden also deutlich mehr Menschen als heute auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um ein Dach über dem Kopf zu haben, so die Befürchtung.

Lesen Sie auch: Tipps für das barrierefreie Wohnen

Drohende Wohnungsnot als „sozialer Sprengstoff“

Die Untersuchung nimmt auch die Mietkosten der Senioren ins Visier. So liege die durchschnittliche Kaltmiete in Bielefeld aktuell bei rund 7,10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. 61 Prozent der Seniorenhaushalte, die zur Miete wohnen, leben sogar günstiger: Rund 13.600 Haushalte in Bielefeld, in denen Ältere leben, zahlen nach Angaben des Pestel-Instituts derzeit weniger als die Durchschnittsmiete. „Noch jedenfalls“, sagt der Ökonom Matthias Günther. Denn das werde sich ändern, wenn der Staat nicht bereit sei, den kostspieligen Neubau von Seniorenwohnungen und den altersgerechten Umbau bestehender Wohnungen kräftig zu unterstützen.

Die neue Bundesregierung müsse die Brisanz, die die Wohnungsnot habe, erkennen, mahnt auch Katharina Metzger: „Wer schlecht wohnt, fühlt sich schlecht regiert. Wer eine horrende Miete zahlen muss oder erst gar keine Wohnung findet, die er noch irgendwie bezahlen kann, bei dem wächst Frust. Das alles ist sozialer und letztlich auch demokratischer Sprengstoff“, warnt Metzger. „Statt wenige Gebäude mit übertriebener Klimaschutztechnik zu fördern, muss der Bund künftig deutlich mehr Geld für mehr Wohnungen in die Hand nehmen, die dann auch barrierearm sein müssen.“

📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld