Kriminalität in Bielefeld

Mehr Gewalttaten: „Frau Polizeipräsidentin, ist Bielefeld eine sichere Stadt?“

Bielefelds Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer spricht im Interview über die Hintergründe steigender Gewalt in Bielefeld und erklärt, warum eine Waffenverbotszone wichtig ist. Sorge macht ihr vor allem die Kriminalitätsrate bei Kindern und Jugendlichen.

Sandra Müller-Steinhauer ist seit zwei Jahren Polizeipräsidentin in Bielefeld. Mit mehreren Maßnahmen will sie der Gewalt in der Stadt Herr werden. | © Andreas Zobe

03.12.2024 | 04.12.2024, 16:27

Frau Müller-Steinhauer, Sie sind jetzt gut zwei Jahre lang bereits Chefin der Polizei in Bielefeld. War das erste oder das zweite Jahr das schwierigere als Polizeipräsidentin?

Müller-Steinhauer: „Schwierig“ ist keine geeignete Kategorie zur Einordnung der beiden Jahre. Die Arbeit ist verantwortungsvoll und herausfordernd. Sie macht mir aber auch großen Spaß. Von Anfang an hatte ich das Ziel, möglichst gut mit allen Akteurinnen und Akteuren für eine gemeinsame Sache – den Schutz der Sicherheit – zusammenzuarbeiten, Schnittmengen auszuloten und Schnittstellen zu glätten. In der Behörde habe ich mich daran gemacht, Abläufe zu verstehen, sie möglichst zu vereinfachen und zu beschleunigen. Und von Beginn an bin ich natürlich mit den Fragen beschäftigt gewesen, wie wir unser Personal dort flexibel einsetzen, wo es gerade zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Stärkung der Sicherheit benötigt wird.

Das sind alles Daueraufgaben, die man nicht im Sprint endgültig lösen kann. Dennoch haben wir auf dem Langstreckenlauf schon einige Etappenziele erreicht: Die Kooperationsvereinbarung mit der Stadt, die Planungen für das „Haus des Jugendrechts“ mit Stadt und Staatsanwaltschaft, die „Sonderkommission Innenstadt“. Das sind gute Entwicklungen für Bielefeld, mit denen die Arbeit nicht nur Früchte trägt, sondern noch mehr Freude macht.

In diesem Jahr hat die Polizei den Sommer über zunehmend Gewalttaten in der Bielefelder Innenstadt gemeldet. Gerade die Gewalttaten verüben oft junge Männer in langen Sommernächten. Warum haben Sie die Soko Innenstadt erst im Oktober gegründet – zu Beginn der Bielefelder Regenzeit?

Müller-Steinhauer: Wir beobachten die Fallzahlenentwicklung das ganze Jahr über sehr genau. Aber sie sind im Laufe des Jahres Schwankungen unterworfen und nur vorläufig zu betrachten. Dennoch verfestigte sich zur Mitte des Jahres eine unerfreuliche Fallzahlenentwicklung in der Bielefelder Innenstadt – da gibt es nichts zu beschönigen, aber es gibt auch keinen Grund zur Panik.

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Dagegen haben wir mit der Einrichtung der Soko etwas getan, so schnell, wie es organisatorisch möglich war. Die Soko ist freilich mit Beginn der dunklen Jahreszeit gestartet – dies aber schon jetzt mit spürbarem Erfolg und der sicheren Perspektive, dass sie diese Arbeit auch dann noch fortsetzen wird, wenn mit dem Frühling wieder noch mehr öffentliches Leben einkehrt.

Welche Erfolge hat die Soko mit ihrer Taktik der ständigen Nadelstiche bereits erzielt?

Müller-Steinhauer: Die Szene hat nach eigenen Aussagen erkannt, dass wir sie tagtäglich im Blick haben, immer wieder Kontrollen durchführen und Straftaten konsequent verfolgen. Mit der Soko wollten wir auch ein positives Signal für das Sicherheitsgefühl setzen. Das scheint sich zu bestätigen.

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Zumindest für den Kesselbrink gibt es erste positive Rückmeldungen, dass sich das Sicherheitsgefühl verbessert habe. Schon die ersten Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Palette reicht von Platzverweisen über Beschlagnahme von Betäubungsmitteln und Geld bis hin zur Vollstreckung von Haftbefehlen. Das gelingt nur durch das Engagement und die besondere Motivation der Soko-Mitarbeitenden.

Wir reden in der Öffentlichkeit viel über die Drogenszene und deren Auswirkungen auf die Kriminalität. Wie bedeutend sind Ihrer Ansicht nach aber die jungen, gewaltbereiten Männer, die durch Prügeleien und Gruppenauseinandersetzungen für viel Angst gesorgt haben?

Müller-Steinhauer: Für uns macht es keinen Unterschied, ob sich gewalttätige Auseinandersetzungen „in der Szene“ abspielen oder ob Unbeteiligte betroffen sind. Die Polizei ist immer zum Einschreiten verpflichtet. Diese Taten, wie sie sich in diesem Sommer in der Innenstadt mehrfach ereignet haben, und die nur zur Schau gestellte Gewaltbereitschaft tragen ganz entscheidend dazu bei, dass sich die Bevölkerung nicht mehr sicher fühlt. Auch wenn die Gefahr, selbst Opfer einer Straftat zu werden, gering ist.

Die Polizei will durch ständige Präsenz bestimmten Gruppen - wie hier am Kesselbrink - auf die Nerven gehen. - © Oliver Krato
Die Polizei will durch ständige Präsenz bestimmten Gruppen - wie hier am Kesselbrink - auf die Nerven gehen. | © Oliver Krato

Aufgabe der Polizei ist es auch, die gefühlte Sicherheit zu erhöhen. Dies gelingt ihr durch konkrete Maßnahmen, eine effektive Strafverfolgung, aber auch durch Präsenz und Ansprechbarkeit – nicht nur mit der Soko, sondern auch mit den Beamten der Leitstelle und den Streifenbeamten auf den Wachen. Ich werbe ganz nachdrücklich dafür, die 110 zu rufen, wenn Sie sich unsicher fühlen oder aber eine Straftat beobachten.

Wo sehen Sie eine Veränderung?

Müller-Steinhauer: Besonders Sorge macht mir der deutliche Anstieg von Rohheitsdelikten im Bereich der Kinder- und Jugendkriminalität. 2023 war hier ein Plus von etwa 30 Prozent zu verzeichnen. Wenn Jugendkriminalität kein episodenhaftes Ausprobieren von Grenzen mehr ist, sondern dem Ganzen eine gesteigerte Gewaltbereitschaft und fehlende Konfliktfähigkeit zugrunde liegt, müssen wir uns besonders um die Täterinnen und Täter kümmern und helfen, Erziehungsdefizite aufzuarbeiten.

Statistik der Straßenkriminalität in Bielefeld bis 2023. - © NW
Statistik der Straßenkriminalität in Bielefeld bis 2023. | © NW

Um nicht zuzulassen, dass sich die Delinquenz verfestigt, haben wir gemeinsam mit der Stadt und der Staatsanwaltschaft die Einrichtung des „Haus des Jugendrechts“ stringent verfolgt. Die enge Zusammenarbeit der drei Behörden, die in den kommenden Monaten am Boulevard umgesetzt werden wird, ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Prävention und zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität in Bielefeld.

Außerdem arbeiten wir im Sozial- und Kriminalpräventiven Rat in der Arbeitsgruppe „Prävention an Schulen“ daran, unmittelbar in Schulen präventiv zu wirken. Meiner Ansicht nach müssen wir alles dafür tun, auch für die Gesellschaft von morgen ein gemeinsames Werteverständnis zu festigen. Polizistinnen und Polizisten sind dafür überaus geeignete Botschafterinnen und Botschafter.

Sind diese Gewalttäter auch im Bereich Drogenkonsum/-handel einzusortieren?

Müller-Steinhauer: Mögliche Zusammenhänge zwischen Gewalt- und Drogenkriminalität sind Gegenstand unserer aktuellen Untersuchungen. Um eine Lage zu verändern, müssen wir die Lage sorgfältig analysieren. Anschließende Maßnahmen werden jedoch nicht allein polizeiliche sein können. Gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen. Wichtig ist, unsere enge Zusammenarbeit, insbesondere mit der Stadt Bielefeld, dort vor allem dem Ordnungs- und Sozialbereich, der Drogenberatung und den Ausländerbehörden. Daneben ist aber auch die gesamte Gesellschaft gefordert.

Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer arbeitet von Anfang an eng mit der Stadt Bielefeld zusammen, natürlich auch mit Oberbürgermeister Pit Clausen. - © Sarah Jonek
Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer arbeitet von Anfang an eng mit der Stadt Bielefeld zusammen, natürlich auch mit Oberbürgermeister Pit Clausen. | © Sarah Jonek

Unsere polizeilichen Erkenntnisse geben Anstöße, um die Aufgaben zu erkennen und an ihnen gezielt zu arbeiten. Erforderlich ist ein Gesamtpaket, das wir gemeinsam immer weiter verbessern. Prävention und Repression werden so nicht als Widerspruch oder Abgrenzung verstanden, sondern als gemeinschaftlicher Auftrag, aus unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam zur Verbesserung der Sicherheitslage – aber auch der Lebenslage Betroffener – beizutragen.

Sie haben am 17. Oktober eine Waffenverbotszone für die Bielefelder Innenstadt beantragt. Die Entscheidung dazu ist noch nicht gefallen. Welche Hoffnung setzen Sie darauf, sollte es dafür grünes Licht geben? Welche Vorteile ergeben sich für Ihre Beamten in der Stadt dadurch?

Müller-Steinhauer: In Waffenverbotszonen ist es für die Polizei um ein Vielfaches einfacher, präventiv einzuschreiten, zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionieren. Eine Waffenverbotszone ist kein Allheilmittel, aber eine Möglichkeit, um Gefahren zu verringern.

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Jedes Messer, das die Polizei aus dem Verkehr zieht, ist eine Gefahr weniger. Unerlässlich ist jedoch letztlich das gemeinsame Bewusstsein, dass Messer kein Mittel zur Streitschlichtung sind und dass eine gegenseitige „Bewaffnung“ mit Messern eine Gewaltspirale auslösen kann. Kurzum: Messer gehören nicht auf die Straße.

Eine Polizeipräsidentin ist nicht nur für die Gewalt in der Innenstadt zuständig? Was hat Sie zuletzt außerdem viel beschäftigt?

Müller-Steinhauer: Es fällt mir schwer, einzelne Punkte aus dem bunten Strauß meiner Aufgaben herauszupicken. Die Polizeibehörde in Bielefeld bietet so viele unterschiedliche Herausforderungen, die immer parallel bedient werden müssen – von der Sicherheit auf den Straßen über aufwendige Ermittlungsverfahren, in denen es gilt, justizfest einen Tatnachweis herzuleiten, bis hin zu Sicherheitsfragen im gesamten Stadtgebiet. Hinzu kamen in diesem Jahr natürlich die intensive Vorbereitung auf die Fußball-EM im eigenen Land und die weltpolitischen Ereignisse, die uns alle persönlich bewegen, aber auch als Polizei fordern. Die kriegerischen Auseinandersetzungen sorgen nicht nur für mehr Versammlungen, die wir begleiten. Sie fordern uns auch im Bereich des Staatsschutzes durch die politisch motivierten Straftaten.

Die Soko Innenstadt mit ihrer Präsenz ist einer von mehreren Hebeln zur Bekämpfung der Gewalt in der City. - © Moritz Trinsch
Die Soko Innenstadt mit ihrer Präsenz ist einer von mehreren Hebeln zur Bekämpfung der Gewalt in der City. | © Moritz Trinsch

Ich persönlich habe mich gerne den Diskussionen in der Öffentlichkeit, auch in den Randbezirken der Stadt, gestellt, weil mir der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern so wichtig ist. Wir müssen wissen, was die Bevölkerung umtreibt, um darauf reagieren zu können. Daneben hat mich natürlich auch die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der großen Polizeibehörde sehr beschäftigt. Die Personalzuweisungen des Landes müssen so aufgeteilt werden, dass jeder Bereich möglichst gut seine Aufgaben erfüllen kann und den Beamten auch Zeit bleibt, sich von den fordernden Tätigkeiten wieder zu erholen.

Wo wollen Sie im Jahr 2025 besondere Schwerpunkte mit der Polizei Bielefeld setzen?

Müller-Steinhauer: Viele Dinge, die wir in diesem Jahr intensiv vorgedacht und geplant haben, werden 2025 finalisiert oder in die Praxis umgesetzt werden können. Zunächst freue ich mich darauf, dass das Haus des Jugendrechts seinen Betrieb aufnehmen wird – ein zentraler Meilenstein zur Verbesserung der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität. Auch das Projekt mit Bielefelder Schulen wird nach bisheriger Planung 2025 starten können.

Gespannt blicke ich auf die Evaluation der Soko Innenstadt, die zunächst bis Ende August 2025 eingerichtet ist. Hieraus werden wir – derzeit noch nicht absehbare – Folgerungen für die Zukunft ziehen. Und das ist genau das, was den Blick ins kommende Jahr so interessant macht: Es wird sich jetzt noch gar nicht absehen lassen, welche Herausforderungen auf uns zukommen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass sich die Polizei Bielefeld ihnen stellen und gute Lösungen finden wird.