Alarmierende Zahlen: Kriminalität an Kesselbrink und Jahnplatz explodiert

Bielefeld. Im Januar 2024 sprach Bielefelds Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer über den besorgniserregenden Anstieg der Straßenkriminalität in Bielefeld. Damals erreichten die Zahlen der Gewalt-, Raub- und Drogendelikte in der Öffentlichkeit von 2023 einen vorläufigen Höchststand (seit 2019). Doch in diesem Sommer scheint die Zahl der Taten nicht weniger zu werden. Viele Beobachter des Geschehens sagen bereits: &bdquo;Man kann sich ja gar nicht mehr in die Innenstadt trauen.“ Ist das so? Die Bielefelder Polizei hat nun – auf Anfrage – ein halbes Jahr später erneut Bilanz gezogen und muss feststellen: Trotz aller Bemühungen, auf die Entwicklung einzuwirken und den Trend umzukehren, ist der Aufwärtstrend ungebrochen. Am Jahnplatz hat sich die Zahl der Taten im Vergleich zum Rekordjahr sogar fast verdoppelt. Nach dem Bielefelder Höchststand nochmals 15 Prozent mehr Polizeisprecherin Sonja Rehmert berichtet, dass im Jahr 2023 in Bielefeld 5.877 Delikte der Straßenkriminalität dokumentiert wurden. &bdquo;Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies einen Anstieg um 16,3 Prozent.“ Zieht man nun die Zahlen der ersten sieben Monate 2024 zum Vergleich mit den Monaten Januar bis Juli 2023 kommt die Polizeistatistik nun abermals auf einen Anstieg von rund 15 Prozent. Ein neuer Rekord bahnt sich also an. Seit 2019 gab es in diesem Zeitraum keinen höheren Wert, sagt Rehmert. Auch wenn die Aussagekraft der Zahlen mitten im Jahr durch übliche Schwankungen noch mit Vorsicht zu genießen sei. Lesen Sie dazu: Angeblich sicherste Großstadt – Analyse der Kriminalität in Bielefeld Wer die Polizeimeldungen in diesem Jahr aufmerksam verfolgt hat, merkt schnell, dass in diesem Sommer für den Aufwärtstrend vor allem wiederkehrende Auseinandersetzungen auf dem Kesselbrink, aber auch an der Tüte verantwortlich sein dürften. Deutliche Steigerungen bei den Körperverletzungen Aus diesem Grund hat die Polizeibehörde auf Anfrage die Straßenkriminalität (Diebstahl, Raub, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und Sexualdelikte) sowie die Drogendelikte von Kesselbrink, Jahnplatz und Tüte (Hauptbahnhofsumfeld) im internen Vorgangssystem ausgewertet und kommt zum Teil auf beunruhigende Zahlen. Kesselbrink: 46 Prozent Anstieg Der Vergleich der Fallzahlen für die Monate Januar bis Juli 2023 und 2024 zeigt bei Straßenkriminalität auf dem Kesselbrink eine Steigerung von 46 Prozent, berichtet Sonja Rehmert. &bdquo;Dies lässt sich insbesondere auf einen Anstieg in den Bereichen der Körperverletzungs- und Raubdelikte zurückführen.“ Regelmäßig berichtete die Polizei von Schlägereien und Raubüberfällen in diesem Bereich. Insbesondere junge Männer sind bei diesen Meldungen aufgefallen. Lesen Sie auch: Zwischen Chillen, Gewalt und Angst – eine Nacht am Bielefelder Kesselbrink Dieser Anstieg dürfte umso schwerer wiegen, wenn die Polizei gleichzeitig feststellt, dass auf dem Kesselbrink die Betäubungsmittelkriminalität um 72 Prozent massiv zurückgegangen ist. Ist es der Polizei gelungen, die Drogendealer hier zurückzudrängen? So einfach kann man das nicht beantworten. Denn Drogentaten sind Kontrolltaten. Kontrolliert die Polizei weniger oder führt nur einen Bruchteil der großen Razzien vom Vorjahr durch, gehen die Zahlen automatisch runter. Jahnplatz: 97 Prozent Anstieg Der Jahnplatz galt zuletzt als unauffällig. Die Zahlen hatten sich seit 2019 auf einem Niveau bewegt. Nur 2021 gab es einen Ausreißer nach oben. 2024 scheint sich nun ein Teil der Schlägereien vom Kesselbrink zum Jahnplatz verlagert zu haben. Tatsächlich vermeldet Sonja Rehmert nun eine Explosion der Straßenkriminalität. &bdquo;Der Vergleich der Fallzahlen zeigt im Bereich Straßenkriminalität eine deutliche Steigerung von 97 Prozent“, berichtet sie. Auch hier seien insbesondere Körperverletzungsdelikte für den Anstieg zuständig. Das erstaunt umso mehr, wo sich doch &bdquo;im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität ein Rückgang im Jahr 2024 feststellen lässt“, sagt die Polizeisprecherin. &bdquo;Tüte“: weiter hohes Niveau Rund um den Alkoholiker- und Drogenszenetreffpunkt an der Tüte (Stadthallenpark, Bahnhofsumfeld) gab es im Zeitraum Januar bis Juli keine Veränderungen bei der Straßenkriminalität. Das heißt, das hohe Niveau des Vorjahres blieb bestehen, steigerte sich aber nicht – wie etwa am Kesselbrink oder am Jahnplatz. 2023 waren an der Tüte vor allem Diebstahlsdelikte in der Mehrheit. Aber auch Körperverletzungen waren auf das Niveau von 2019 gestiegen. Erstaunlich: Ausgerechnet im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität lasse sich an Bielefelds größtem Drogentreffpunkt &bdquo;ein Rückgang im Jahr 2024 feststellen“, so die Polizei. Zur Erinnerung: Diese Zahl ist stark von der Zahl der Polizeikontrollen abhängig (Stichwort: Kontrolldelikt). Stellt sich die Frage: Sind die Dealer bereits abgewandert oder gab es weniger Zugriffe und Kontrollen der Polizei. Eingesetzte Messer bleiben in Bielefeld überschaubar Zur Einschätzung dieser vorläufigen Statistik weist Sonja Rehmert darauf hin, dass die Zahlen für die ersten sieben Monate des Jahres nur eine begrenzte Aussagekraft haben. Erst eine komplette Jahresstatistik sei für eine abschließende Einschätzung geeignet. Messer-Taten Die Polizei hat angesichts der jüngsten Messerattacken – zuletzt wurde ein 21-jähriger Bielefelder am Rathaus lebensgefährlich mit einem Messer verletzt – auch die Summe der eingesetzten Messer analysiert. &bdquo;Die Messergewalt nahm in den Monaten Januar bis Juli 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an den drei Örtlichkeiten zu, die Anzahl der Messertaten bewegte sich aber von Januar bis Juli sowohl 2023 als auch 2024 jeweils im einstelligen Bereich“, heißt es von der Polizei. Beziehungstaten oder Zufallsopfer Viele Bielefelder fragen sich tatsächlich inzwischen, ob sie sich noch in die Bielefelder Innenstadt trauen sollen. Dabei stellt sich natürlich vorrangig die Frage, wie wahrscheinlich ist es, als normaler Besucher der City Opfer einer Straftat zu werden. Tatsächlich müssen Passanten rund um Bahnhof und Kesselbink – vor allem, wenn es dunkel wird – mit Überfällen rechnen. Diebe sind fast in der ganzen Fußgängerzone aktiv. Die suchen aber gerne das Gedrängel. Kriminelle, die per Raub oder Diebstahl an Wertsachen kommen wollen, suchen sich in der Regel Zufallsopfer. Dabei schauen sie auf Einzelpersonen oder Betrunkene, die sich nicht oder nicht ausreichend wehren können. Bei Raubüberfällen wird auch schon mal geschubst, geschlagen oder mit einem Messer gedroht. Bei Schlägereien besteht meist eine Beziehung zwischen Opfer und Täter Neuerdings ist auffällig, dass die eine gewisse Zahl an Raubdelikten in Bielefeld mit Pfefferspray verübt wird. Die Täter versuchen damit, die nötige Wehrlosigkeit ihrer Opfer hervorzurufen. Die Polizei ermittelt derzeit wegen einer ganzen Serie solcher Überfälle. Weniger wahrscheinlich ist es, als Normalbürger Opfer einer Schlägerei oder sogar eines lebensgefährlichen Messerangriffs zu werden. &bdquo;Aus den Erfahrungen der Sachbearbeiter lässt sich sagen, dass insbesondere bei Körperverletzungsdelikten verhältnismäßig selten unbeteiligte Personen zufällig Opfer werden“, bestätigt Polizeisprecherin Rehmert. Faustrecht herrscht neuerdings unter jungen Männern am Kesselbrink Dass am 31. Juli bei einer Massenschlägerei auf dem Kesselbrink eine unschuldige Familie mit Kindern durch den Einsatz von Pfefferspray verletzt wurde, ist eine neue Qualität, blieb bisher aber eine absolute Ausnahme. Nicht weniger problematisch ist, dass Zeugen, die einer bedrängten Frau am Kesselbrink helfen wollten, plötzlich einer Horde von Angreifern gegenüberstanden. Hier scheint sich unter bestimmten Gruppen junger Männer das Faustrecht durchgesetzt zu haben. Die Gruppen geraten immer wieder aus verschiedenen Gründen und in verschiedenen Zusammensetzungen aneinander. Es ist sicherlich eine Erklärung für die aktuellen Zahlen der Polizei.

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