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Rekordverdächtiger Einsatz: Gleich sechs Bomben in Bielefeld entschärft

Sechs Bomben mussten am Donnerstag in Schildesche entschärft werden. Hunderte Bielefelder mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen.

Das Team des Kampfmittel-Beseitigungsdienstes hält die Zünder der entschärften Bomben in die Kamera. | © Barbara Franke

Das Wichtigste zur Bombenentschärfung in Bielefeld in Kürze:

  • Bei der Bombensuche auf einem Acker bei Schildesche sind sechs Blindgänger entdeckt worden.
  • 620 Menschen mussten für die Entschärfung ihre Häuser verlassen.
  • Der Bahnverkehr zwischen Bielefeld und Hannover wurde vorübergehend gestoppt.
  • Um 16.05 Uhr waren alle Bomben entschärft.
  • Um 17.09 Uhr waren alle Bomben, die teilweise aufgeplatzt waren, gesichert. Danach konnten die Bewohner des Gefahrengebiets nach Hause gehen.

Bielefeld. Die Stadt sprach erst von vier Blindgängern, später von fünf und als um 17.09 Uhr die Arbeit getan war, stellte sich heraus, dass die Entschärfer vom Kampfmittelbeseitigungsdienst gleich sechs Bomben auf einen Streich unschädlich gemacht haben. Ein rekordverdächtiger Einsatz in Schildesche.

Das Entschärfer-Team: der Technische Einstzleiter, Arne Brinkmann-Walter, (v.l.), die beiden Truppführer Peter Asmussen und Uwe Pawlowski sowie die drei Räumarbeiter Alessandro Randisi, Jan-Philipp Schröder und Patricia Heyne. - © BARBARA FRANKE
Das Entschärfer-Team: der Technische Einstzleiter, Arne Brinkmann-Walter, (v.l.), die beiden Truppführer Peter Asmussen und Uwe Pawlowski sowie die drei Räumarbeiter Alessandro Randisi, Jan-Philipp Schröder und Patricia Heyne. | © BARBARA FRANKE

Bevor aber Arne Brinkmann-Walter (technischer Einsatzleiter), die Truppführer Uwe Pawlowski und Peter Asmussen sowie die Räumarbeiter Patricia Heyne, Alessandro Randisi und Jan-Philipp Schröder an ihr gefährliches Werk gehen konnten, mussten 620 Menschen im Umkreis von 500 Metern rund um den Acker südlich der Talbrückenstraße ihre Wohnungen und Häuser verlassen.

Im Video: So lief die Bombenentschärfung in Bielefeld ab

Dem Bio-Landwirt, dessen Bombenfunde in seinen Feldern nun schon zum zweiten Mal Anlass für eine Bombenentschärfung waren, sind die Einschränkungen für die Bürger sehr unangenehm. Die Sondierung seiner Ackerflächen sei aber alternativlos gewesen.

Keine Oberflächenräumung in Bielefeld seit dem Weltkrieg

Er habe sich beim Feuerwehramt erkundigt, das in Absprache mit dem Kampfmittel-Experten der Bezirksregierung zu der umfassenden Überprüfung geraten hatte.

Denn seit dem Weltkrieg habe es außer einer Oberflächenräumung seit dem Krieg nie eine Kampfmittelbeseitigung auf diesen Äckern gegeben, sagt Jesko Löhr vom Bevölkerungsschutz der Feuerwehr. Das heißt, dass das Erdreich ab einer Tiefe von ein bis zwei Metern noch voller Bombensplitter, zerplatzter Bombenteile und Blindgänger ist.

Am Rande des heutigen Einsatzes verkündet Oliver Eichstädt, Sprecher der Bielefelder Feuerwehr: „Es wird weitere Entschärfungen in diesem Areal geben. Es ist aber noch unklar, wann und mit wie vielen Bomben.“

Polizeieinsatz in Bielefeld: Einige Anwohner öffnen nicht die Tür

Um 12 Uhr hatten rund 125 Kräfte der Freiwilligen Feuerwehren sowie der Hilfsorganisationen mit der Evakuierung des Gefahrenbereichs begonnen. In einigen Wohnungen, unter anderem in einem Wohnblock an der Straße Liethstück, öffneten aber einige Anwohner ihre Türen erst gar nicht.

Die Feuerwehr musste daraufhin die Polizei um Hilfe bitten. Diese drohte wiederum damit, dass man die Türen von außen öffnen würde, wenn die Bewohner nicht freiwillig herauskämen – traurige und ärgerliche Routine bei solchen Evakuierungen.

Faqirzada Monawar und sein Freund aus Afghanistan verließen den Gefahrenbereich freiwillig. Für sie sind entschärfte Mienen und Bomben in der Heimat leider Alltag gewesen. „Der Vater meines Kumpels hat durch eine solche Miene sein Bein verloren“, erzählt Faqirzada. „Ich finde es gut, dass die hier die Bomben gefunden haben.“

Feuerwehrmann und Rollstuhlfahrerin fallen sich in die Arme

Am Rande des Großeinsatzes kommt es zu einem überraschenden Wiedersehen: Brigitte Bayer (65) ist auf den Rollstuhl angewiesen und muss von einem Krankentransport abgeholt werden. Als sie mit den Feuerwehrleuten der Löschabteilung West auf ihr „Taxi“ wartet, erkennt sie plötzlich René Hecht von der Feuerwehr wieder: „Bist du es, René?“ , fragt sie. Die beiden haben sich 35 Jahre lang aus den Augen verloren und treffen sich nun zufällig am Balgenstück wieder. Fassungslos fallen sich die beiden alten Freunde in die Arme.

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Bielefeld: Sechsfache Bombenentschärfung in Schildesche

In der bereitgestellten Sammelstelle der Plaßschule wartet derweil gut ein Dutzend Menschen auf das Ende der Entschärfung. Bei guter Stimmung: Helga Hänsel vertreibt sich die Zeit mit der Lektüre der „Neuen Westfälischen“. Die anderen klönen und genießen die Betreuung von ASB, DRK und JUH. Um 14.25 Uhr kann dann endlich die Entschärfung beginnen.

Blindgänger mit offenem Körper, Sprengstoff rieselt heraus

Zwei der sechs 500-Kilo-Fliegerbomben sind sogenannte Teildetonierer. Das heißt, eine Seite ist explodiert, im Rest der Bombe liegt aber immer noch explosionsfähiger Sprengstoff. Bei zwei der US-amerikanischen Blindgänger ist beim Aufprall der Boden herausgeplatzt, berichtet Peter Asmussen: „Die sahen schon ziemlich deformiert aus.“

Möglicherweise ein großes Problem, denn einen Zünder aus einem verformten Gewinde zu drehen, ist höchst schwierig. Da reicht dann die Körperkraft nicht mehr aus. „In solchen Fällen können wir die Bomben mit einem Wasserstrahlschneidgerät aufschneiden.“ Eine Alternative wäre eine Maschine, die mit größerer Kraft am Zünder drehen kann. Oder den Bombenmantel beim Zünder aufbohren.

125 Feuerwehrleute und Mitglieder der Hilfsorganisationen waren unterwegs oder im Planungsstab involviert, um die Evakuierung zu ermöglichen. - © BARBARA FRANKE
125 Feuerwehrleute und Mitglieder der Hilfsorganisationen waren unterwegs oder im Planungsstab involviert, um die Evakuierung zu ermöglichen. | © BARBARA FRANKE

Bielefelder Bomben lagen in 2 bis 3,50 Metern Tiefe

Doch das Entschärfer-Team hat Glück. Die Gewinde machen weniger Problem als gedacht. Schon um 16.05 Uhr sind alle Zünder entfernt und die Bomben damit unschädlich. Zumindest zünderlos.

Trotzdem dauert es noch bis 17.09 Uhr, bis Oliver Eichstädt, Sprecher der Feuerwehr, verkünden kann: „Die Bomben sind sicher verpackt.“ Weil die Bomben teils aufgeplatzt waren, mussten sie zunächst mit Folie eingewickelt werden, damit kein Sprengstoff mehr herausrieseln kann. Erst danach konnten die Betroffenen endlich in ihre Wohnungen zurück. Der Zugverkehr, der mit Beginn der Entschärfung um 14.25 Uhr gestoppt werden musste, lief seit 16.05 Uhr wieder.

So sieht ein Aufschlagzünder aus, der vorn und hinten in den Fliegerbomben verschraubt war und theoretisch den Blindgänger noch zum Explodieren bringen könnte. - © Barbara Franke
So sieht ein Aufschlagzünder aus, der vorn und hinten in den Fliegerbomben verschraubt war und theoretisch den Blindgänger noch zum Explodieren bringen könnte. | © Barbara Franke

Die Bomben hatten laut Asmussen in einer Tiefe von 2 bis 3,50 Metern gelegen. Dass die Experten an einem Tag gleich sechs von ihnen entschärfen mussten, ist eine Besonderheit. „Für mich war es das erste Mal, dass wir gleich sechs Blindgänger vor uns hatten“, sagt Asmussen. „Da weiß man, was man getan hat.“

Der Liveticker zum Nachlesen: So verlief die Bombenentschärfung in Schildesche

Erfolgreiche Bombenentschärfung in Bielefeld

Erst am vergangenen Donnerstag, 12. September, mussten 2.333 im Gefahrenbereich gemeldete Bielefelder für Stunden ihre Wohnungen verlassen, damit im Falle einer misslungenen Entschärfung keine Gefahr für sie besteht.

An jenem Tag hatte der Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Arnsberg bereits zwei 500-Kilo-Bomben in der Nähe des Sattelmeyerweges entschärft. Die Evakuierung lief genauso wie die Entschärfung nach Plan, sodass am Ende alle gesund und sicherer wieder nach Hause gehen konnten.

Der zerstörte Viadukt bei Kriegsende: gut 130 Meter waren aufgrund des „Erdbeben-Effektes der Grand-Slam-Bombe“ eingestürzt. - © Stadtarchiv Bielefeld
Der zerstörte Viadukt bei Kriegsende: gut 130 Meter waren aufgrund des „Erdbeben-Effektes der Grand-Slam-Bombe“ eingestürzt. | © Stadtarchiv Bielefeld

Die Schildescher sind in dieser Hinsicht Kummer gewohnt. Seit Anfang 1944 hatten die Alliierten das Viadukt als eines der Hauptziele bei Bielefeld bombardiert, um die Strecke der „Cöln-Mindener-Eisenbahn“ zwischen dem Ruhrgebiet und Berlin zu unterbrechen. Alleine 54 Bombenangriffe gab es auf das Bauwerk. Tausende Bomben landeten im Umkreis, viele davon landeten im Erdreich, ohne je hochgegangen zu sein – sogenannte Blindgänger.

Erst am 14. März 1945 zerstörten englische Flugzeuge das Schildescher Wahrzeichen endgültig mit einer fast zehn Tonnen schweren Bombe namens „Grand Slam“.