Reportage aus dem Wasserwerk

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Gegen Dürrejahre: Bielefelder Trinkwasser kommt künftig auch aus dem Ruhrgebiet

Das gute Wasser aus der Senne soll wegen eines drohenden Wassermangels mit solchem aus Ruhrtal-Sperren vermischt werden. Die Stadtwerke erklären, warum das sein muss.

Olaf Kulaczewski ist bei den Stadtwerken Bielefeld für die Wassergewinnung verantwortlich. Es braucht künftig Hilfe von außen, sagt er. | © Susanne Lahr

Susanne Lahr
08.08.2024 | 08.08.2024, 14:53

Bielefeld. Trinkwasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Es ist ein emotionales Thema und Gut. Das zeigt auch die jüngste Debatte um die Frage, ob das sehr gute Wasser aus den Tiefen der Senne mit „Gelsenwasser“ aus dem Ruhrgebiet gemischt werden sollte. Die Stadtwerke wollen dies, weil sie sicher sein wollen, rund 346.000 Bielefelder auch zukünftig und in trockenen Jahren verlässlich mit ausreichend Trinkwasser versorgen zu können. Es könnte nämlich knapp werden, wie die Dürrejahre 2018 bis 2022 gezeigt haben. Doch wo kommt das Wasser für Bielefeld denn bislang her? Versiegt dieser Strom gar irgendwann?

Olaf Kulaczewski öffnet die metallene Tür im unteren Teil eines unscheinbaren, langgestreckten, grün-lackierten Gebäudes, das auf einer grünen Wiese außerhalb der Stadt steht. Von außen ist nicht zu sehen, dass sich in dessen Eingeweiden ein 2.000 Kubikmeter fassender Wasserbehälter befindet, in den unentwegt Frischwasser hineinströmt.

Der Leiter Wassergewinnung der Stadtwerke Bielefeld macht kurz Licht im Behälter, so dass durch ein Bullauge zu sehen ist, wie das kostbare Nass aus vielen kleinen Öffnungen der Rohre hineinströmt. Bloß nicht zu lange hell, wegen möglicher Algenbildung.

Das Wasser aus der Tiefe zehn bis zwölf Grad kalt

In diesen und in einen weiteren ebenso großen Behälter in der Nachbarschaft strömt über Zulaufleitungen das Wasser, das in acht Wasserwerken auf dem Truppenübungsplatz Senne sowie in Schloß Holte-Stukenbrock gefördert wird. Das Hauptwasserwerk der Stadtwerke befindet sich am dortigen Mittweg, unweit des Safarilandes, und ist gut gesichert, da es sich um kritische Infrastruktur handelt.

Das Wasser hat eine Temperatur von 10 bis 12 Grad, was in der unbeheizten Vorkammer des Wasserbehälters, durch die große Rohrleitungen verlaufen, zu einer ebenfalls frischen Raumtemperatur führt. „Pro Tag werden von hier über zwei große Transportleitungen 40.000 Kubikmeter Trinkwasser Richtung Bielefeld befördert“, erklärt Olaf Kulaczewski. Zwei Pumpwerke mit moderner Technik sind dafür rund um die Uhr im Einsatz.

Eine Leitung führt über Oerlinghausen, eine Richtung Sennestadt, von dort führen zwei Leitungen dann Richtung Innenstadt. Auf dem Weg dorthin werden auch weitere (Hoch-)Behälter gefüllt. Insgesamt gibt es davon 22 Stück, die 53.000 Kubikmeter zwischenspeichern können. Mit deren Hilfe werden die starken Schwankungen des täglichen Wasserverbrauchs ausgeglichen, wird für einen konstanten Wasserdruck im Leitungssystem gesorgt.

Nur 33 Prozent des Wassers wird in der Stadt selbst gefördert

Insgesamt betreiben die Stadtwerke 15 Wasserwerke – 14 davon in der Senne, eines im Teutoburger Wald. Aber nur 33 Prozent liegen tatsächlich auf Bielefelder Stadtgebiet. Zusammen verfügen sie über 154 Brunnen, die etwa 97 Prozent des Bedarfs abdecken, der im Vorjahr bei rund 19,1 Millionen Kubikmetern lag – Tendenz steigend. Das restliche Wasser, knapp 500.000 Kubikmeter, wird aus Paderborn und Steinhagen zugekauft. Gebraucht wird das Wasser nicht nur in Bielefeld, sondern auch in Oerlinghausen, Augustdorf und weiteren umliegenden Kommunen, die ebenfalls auf Wasser von den Stadtwerken angewiesen sind.

Durch ein Bullauge ist ein Blick in einen Wasserbehälter im Hauptwasserwerk der Stadtwerke Bielefeld möglich. Stetig rieselt aus Öffnungen der Zulieferleitungen hinein. - © Susanne Lahr
Durch ein Bullauge ist ein Blick in einen Wasserbehälter im Hauptwasserwerk der Stadtwerke Bielefeld möglich. Stetig rieselt aus Öffnungen der Zulieferleitungen hinein. | © Susanne Lahr

Aufbereitet werden muss das Wasser aus der Senne und dem Teutoburger Wald nur in wenigen Fällen. In den Sennestädter Wasserwerken ist beispielsweise zu viel Kohlensäure im Wasser, in Ummeln müssen chlorierte Kohlenwasserstoffe herausgefiltert werden. Der Härtebereich reicht von „mittel“ bis „hart“.

Hauptgrundwasserleiter ist der Sennesand. Das oberflächennahe Grundwasser wird aus Tiefen zwischen 20 und 50 Meter gefördert. Um an das im Kalkstein befindliche Tiefenwasser zu kommen, reichen die Brunnenschächte bis in 630 Meter Tiefe. Das Wasser, das sich dort findet, ist Niederschlagswasser vom Kamm des Teutoburger Waldes. Und es dauert teilweise mehrere Tausend Jahre, bis es im Grundwasserleiter ankommt.

Ganz wichtig für die Neubildung sind die Niederschläge in den Wintermonaten. Olaf Kulaczewski erklärt, dass von der durchschnittlichen Bielefelder Regenmenge von 870 Millimetern auf den Quadratmeter nur 300 bis 350 Millimeter zu Grundwasser werden. „Bei einer Jahresniederschlagsmenge von 670 Millimetern wie 2018 kommt gar nichts unten an.“ Vegetation und Verdunstung verschlingen bereits alles.

Bielefelds Trinkwasserversorgung im Detail

Schematische Darstellung des Wassernetzes in Bielefeld. In 22 (Hoch-)Behältern können 53.000 Kubikmeter zwischengespeichert werden. - © Stadtwerke Bielefeld
Schematische Darstellung des Wassernetzes in Bielefeld. In 22 (Hoch-)Behältern können 53.000 Kubikmeter zwischengespeichert werden. | © Stadtwerke Bielefeld

Da sich die Dürrejahre auch nach 2018 fortsetzten, seien in der Folge die Grundwasserpegel gefallen. „2022 hatten wir an vielen Stellen einen historischen Tiefstand“, erinnert sich Kulaczewski. Die Stadtwerke mussten Brunnen stilllegen oder die Fördermenge deutlich drosseln.

Gleichzeitig ist der Wasserverbrauch der Bielefelder in den heißen Jahren wieder gestiegen. Die Stadtwerke mussten folglich die Fördermenge heraufsetzen und nahezu ans Limit gehen. Die höchste Tagesabgabe waren rund 75.000 Kubikmeter an einem Tag (2023: 67.600).

Theoretisch gibt es Wasserrechte von 100.000 Kubikmetern pro Tag. „Aber das Wasser war einfach nicht da“, erinnert sich Kulaczewski. Es habe gerade noch so gereicht, jede Nacht die Hochbehälter in der Stadt wieder aufzufüllen. „Das hat uns unsere Grenzen aufgezeigt.“

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Dieses Szenario sei sozusagen der Wendepunkt gewesen und die Erkenntnis, dass die Erhöhung bestehender Wasserrechte, die Optimierung von Anlagen und der mögliche Neubau eines Tiefenbrunnens und eines Wasserwerks in Ummeln (frühestens ab 2030 im Einsatz) in längeren Trockenphasen womöglich nicht ausreichen.

„Hätten wir 2023 noch so ein trockenes Jahr gehabt, hätte unser Wasser nicht gereicht“, betont Kulaczewki. Es hätte Einschränkungen und Verbote geben müssen, wie schon anderenorts in OWL praktiziert. Dann aber sind glücklicherweise rund 1.200 Millimeter Jahresmenge auf den Quadratmeter gefallen. In der Folge haben sich die Grundwasserpegel erholt. Doch so etwas lasse sich nicht in einem Fünf-Jahres-Plan kalkulieren, sagt Olaf Kulaczewski.

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Trinkwasser für Bielefeld

Sogar die Bezirksregierung habe erklärt, die Bielefelder müssten ihre einst gekappten Wasserrechte unbedingt wieder ausweiten, so der Leiter der Wassergewinnung. „Detmold sieht ein Defizit von 4,3 Millionen Kubikmetern.“ Daher wurden Machbarkeitsstudien und Gutachten beauftragt, Probebohrungen vorbereitet.

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Die Stadtwerke gehen davon aus, dass der Bedarf in nächster Zeit von 20,5 auf 21,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr steigen wird. Aus eigener Kraft könne man im besten Fall zwei Drittel des geschätzten Verbesserungspotenzials von 4,75 Millionen realisieren. Auch wenn der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Bielefeld glaube, dass das Wasser aus der Region und mehr Wasserschutz reichen müsse – „wir brauchen mehr“, betont Olaf Kulaczewski. Weil die Bevölkerung weiter wächst; als Reserve – für Folgen des Klimawandels, etwa erwartbare Dürreperioden wie 2018 bis 2022, für Ausfälle von Anlagen, im Falle von Verunreinigung einzelner Wasserwerke . . .

2,5 Millionen Kubikmeter von „Gelsenwasser“

Mit den zusätzlichen 2,5 Millionen Kubikmetern jährlich von „Gelsenwasser“ sehen die Stadtwerke diese Sicherheit gegeben. Und es biete sich derzeit die vielleicht einmalige Gelegenheit zum Anschluss, da der Wasserversorger von Oelde bis Rheda-Wiedenbrück derzeit eine 40 Kilometer lange Leitung verlege. Bis Sennestadt seien es von Varensell aus nur noch 18 bis 20 Kilometer.

Das „Gelsenwasser“ kommt aus dem Ruhr-Talsperren-System, das wohl ausreichende Kapazitäten besitzt. Allerdings stammt das Wasser dort nicht aus Tiefenbrunnen wie in der Senne, sondern ist Oberflächenwasser und wird aufbereitet. „Eine Chlorung gibt es dort aber nicht“, betont Olaf Kulaczewski. Es entspreche selbstverständlich den strengen Anforderungen der Trinkwasserverordnung.

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Letztlich werde das beigemischte Fremdwasser einen Anteil von 15 Prozent der Gesamtwassermenge ausmachen, sagt der Fachmann und werde mehr Aufbereitung erforderlich machen. Aber leider könne nicht nur bei Bedarf zugekauft werden, sondern das Wasser müsse stetig fließen, um Verunreinigungen zu vermeiden. Es sei aber auf alle Fälle ein Missverständnis, wenn davon geredet werde, die Stadtwerke wollten 6,8 Millionen Kubikmeter jährlich zukaufen, betont Olaf Kulaczewski.

Stadt Bielefeld muss neues Wasserkonzept vorlegen

Der Aufsichtsrat der Stadtwerke hat den Bau der Leitung und die Gründung einer eigenen Gesellschaft für den Wasserbezug beschlossen.

Dem muss der Hauptausschuss der Stadt Bielefeld als Hauptgesellschafter zustimmen. Die Stadt Bielefeld selbst muss nach politischer Beratung im Herbst der Bezirksregierung ein neues Wasserkonzept vorlegen, das alte stammt von 2018.

„Und da stand von Dürrejahren noch nichts drin“, sagt Olaf Kulaczewski. „Unser Anspruch ist, jedenfalls, zu jeder Zeit die Wasserversorgung von Bielefeld sicherzustellen.“

Warum der Wald so wichtig für die Wassergewinnung ist