Bielefeld. Bieten kommunale Gremien Spektakel? Eher selten. Besonders selten der Naturschutzbeirat, ein Fachgremium, in dem 16 Verbände sitzen - vor allem beratend. Dienstag war das anders. Thema: Trinkwasser. Dass es hier am Rande eines Vortrags der Stadtwerke nach zwei Stunden zur Eskalation kam, hatte viele Gründe - vor allem aber waren es Einlassungen von Stadtwerke-Geschäftsbereichsleiter (Netze und Infrastruktur) Nils Neusel-Lange. Sie hinterließen in den Gesichtern die ganze Bandbreite von Fragezeichen bis Zornesfalten.
Der Reihe nach: Die Stadtwerke möchten dem Trinkwasser, das zu einem Drittel aus Bielefeld und sonst aus den Kreisen Paderborn und Gütersloh kommt, fremdes Wasser hinzufügen. Bisher werden nur 2,5 Prozent der 19 Millionen Kubikmeter zugekauft, es sollen 15 Prozent werden. Ohne Veränderung der Wasserqualität. 2,5 Millionen Kubikmeter jährlich sollen es ab 2030 sein, von Gelsenwasser aus dem Ruhrgebiet. Gelsenwasser baut Leitungen gen OWL - die letzten 17,7 Kilometer bis Sennestadt wollen die Stadtwerke bauen und das Wasser konstant für Bielefeld dazukaufen. Warum das Ganze?
Stadtwerke wollen Wassermangel in Bielefeld vorbeugen
Neusel-Lange: „Wir wollen auf dem Fahrersitz bleiben, deshalb möchten wir selbst investieren - für eine langfristige Absicherung der Trinkwasserversorgung.“ 50 bis 100 Jahre. Doch schon bis 2050 drohe eine „Beschaffungslücke“ von bis zu 6,8 Millionen Kubikmetern. Im Extremfall. Dem soll vorgebeugt werden: durch konstanten Zukauf und so geschonte Ressourcen in Bielefeld.
6,8 Millionen Kubikmeter? Neusel-Lange von den Stadtwerken: „Wir haben viele Glaskugeln bemüht, das ist sehr kompliziert.“ Fakt sei: „Vorhandene Kapazitäten haben wir weitgehend aufgezehrt, wir haben mit 90 Prozent einen sehr hohen Ausnutzungsgrad von Netzen und Wasservorkommen - das System ist unter Druck, wir haben kaum noch Puffer.“ Er stellte klar: Die für den Extremfall berechnete Sicherheit (n-1 genannt) „ist nicht mehr voll gegeben, die haben wir schon heute nicht mehr“.
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2,5 Millionen Kubikmeter Wasser sollen zugekauft werden
Dass nur 2,5 Millionen Kubikmeter zugekauft werden sollen, habe diese Gründe: Erhöhung bestehender Wasserrechte, Optimierung der Anlagen, möglicher Neubau von Wasserwerken (in Ummeln). Mehr ginge aber nicht. Stillgelegte Brunnen seien geprüft worden, aber nicht mehr zu reaktivieren. Deshalb Gelsenwasser, auch, weil Bielefeld dann mit Grundwasser und zugekauftem Oberflächenwasser breiter aufgestellt sei - das fördere die Widerstandsfähigkeit des Systems.
Anmerkungen aus dem Beirat, dass vor dem Zukauf erst einmal das Wassersparen stehen müsse, um Ressourcen (Wasser, Landschaft) zu schonen, wies Stadtwerke-Bereichsleiter Neusel-Lange von sich: „Wir sind Versorger, es ist nicht unsere Aufgabe, den Bielefeldern zu sagen, dass sie nicht 124 Liter, sondern nur noch 100 Liter am Tag verbrauchen sollen.“ Der Blick müsse sich da auf die Politik richten.
Informationen über die geplante Trinkwasserversorgung fehlten
Hier fing es nun an, kritisch zu werden. Wie der Beirat monierten auch Dominik Schnell (Umweltausschuss) sowie Tanja Möller (Umweltamt) deutlich, dass Ämter und Gremien monatelang keine Informationen über die geplanten Veränderungen der Trinkwasserversorgung erhalten hätten. Auch BUND-Vorstand Adalbert Niemeyer-Lüllwitz beklagte, auf im März gestellte Fragen keine Antworten erhalten zu haben, stattdessen habe ein Anwalt geschrieben, „dass die Fragen nicht legitim sind“.
Manfred Dümmer (BUND): „Wir Naturschutzverbände haben aus der Presse davon erfahren, bis heute fehlen uns notwendige Informationen - das ist mehr als traurig, zumal die Stadtwerke eine städtische Tochter sind.“ Schnell: „Das Thema ist sehr lange unter dem Radar eines Großteils der Politik gelaufen.“
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Die Reaktion von Neusel-Lange von den Stadtwerken überraschte dann, er sagte: „Ich war vier, fünf Mal in unserem Stadtwerke-Aufsichtsrat, der sehr politisch besetzt ist, und dachte, dass das dann politische Beteiligung ist.“ Es sei ihm nun eine Lehre, „dass das nicht ausreicht“. Er frage sich aber auch: „Wozu ist denn der Aufsichtsrat politisch besetzt?“
Das hat der Beirat fast einstimmig entschieden
Als dann der Beirat sein Votum fasste - einstimmig bei drei Enthaltungen -, eskalierte es weiter. Das Votum war vorab formuliert worden, Beiratsvorsitzende Claudia Quirini-Jürgens fragte jedoch, ob es Änderungswünsche gäbe. Keiner meldete sich. Das Votum: Vorrangig müsse Bielefeld die eigenen Wasservorräte schützen, in erster Linie gelte es, Wasser zu sparen.
Kritisch wird der Ankauf von Trinkwasser aus Regionen gesehen, die ebenfalls auf lange Sicht Wasserprobleme bekämen (was die Stadtwerke anders sehen, da der Verbrauch im Ruhrgebiet sinke). Kritisch gesehen würden die Eingriffe in die Natur beim Bau der Leitungen. Vor einem Fernwasserbezug müsse ein Trinkwasserkonzept stehen. Offene Fragen müssten beantwortet werden. Plötzlich aufgebauter Zeitdruck sei unangemessen - Veränderungen müssten verhältnismäßig sein und vor allem vorab politisch intensiv diskutiert werden.
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Nun wurde es hitzig, denn Neusel-Lange beklagte jetzt, dass „ein vorbereitetes Votum die Diskussion in keiner Form würdigt“. Zudem empörte er sich darüber, dass der BUND ohne sein Wissen auch einen Vortrag habe halten dürfen, „obwohl wir uns in rechtlicher Auseinandersetzung befinden“ (Statement des BUND zur Trinkwasserleitung für Bielefeld). Neusel-Lange: „Gute Nacht, wenn wir uns so bei Infrastrukturprojekten aufführen.“
Politik kritisiert Umgang mit der Öffentlichkeit
Die Reaktionen? Professor Oliver Krüger: „Standpunkte vorzubringen ist ein normales Prozedere“ - und zum Votum: „Hier herrscht freie Meinungsbildung, wir sind nicht das Polit-Büro von Nordkorea.“ Quirini-Jürgens: „Es wollte keiner etwas ändern, das Verfahren ist ein eingespieltes Prozedere.“ Niemeyer-Lüllwitz: „Ihr Beitrag spiegelt wider, wie Sie seit Monaten mit der Öffentlichkeit umgehen. Sie sollten das große öffentliche Interesse ernst nehmen, das ist der Kern dieses Votums.“