
Bielefeld. „Wir haben es geschafft“, flüstert Regina Breitenbücher ihrer Mitschülerin Hülya Arslan ins Ohr. Beide sitzen mit sieben Schülerinnen und drei Schülern des AWO-Berufskollegs an einem hölzernen Tisch im Naharija-Raum des Alten Rathauses. Sie lachen verhalten. Vor ihnen liegt ein Papierstapel mit über 15.000 Unterschriften zum Paket zusammengeschnürt – mit roter Schleife.
Um 11 Uhr betritt Pit Clausen den Raum. Der Oberbürgermeister trägt ein dunkelblaues Sakko, lächelt Hülya Arslan und die Schüler an. Er begrüßt sie mit einem Handschlag. Die Schüler, so erzählen sie, sind zum ersten Mal im Alten Rathaus zu Gast.
Arslan überreicht Clausen die Unterschriften, die übers Internet im ganzen Bundesgebiet gesammelt wurden. Sogar in Kanada fanden sich Unterzeichner für die Petition, die die Schließung des AWO-Berufskollegs in Bielefeld verhindern sollte. „Das ist ja wie ein Geschenk eingepackt“, sagt Clausen lächelnd, als er die Unterschriften annimmt.

Petition der Hoffnung
Als bekannt wurde, dass die Schule für Erzieher und Heilerziehungspflegerinnen schließen sollte, waren die Schüler fassungslos. Auf den ersten Schock folgte entschlossenes Handeln: Es bildete sich ein Organisationsteam um Hülya Arslan, die im zweiten Ausbildungsjahr ist. Sie koordinierte und rief die Online-Petition gegen die Schließung ihrer Schule ins Leben.

Nach dem Überreichen der Unterschriften liest die angehende Erzieherin einen zweiseitigen Text vor. In ihrer Rede bedankt sie sich für die Unterstützung der Stadt und weist erneut auf den dramatischen Erzieher-Mangel in Deutschland hin. Die Schüler hätten nie gedacht, dass sie einen Monat nach Bekanntwerden der Schreckens-Nachricht mit Pit Clausen an einem Tisch sitzen würden, sagen sie.
45 Minuten nimmt sich der Oberbürgermeister für die Fragen und Anliegen der Schüler Zeit. Sie befürchten, dass trotz Zusage der Stadt auf Übernahme das Kolleg dennoch schließen könnte. Zudem steht die Sorge im Raum, der Geist der Schule könne verloren gehen. Clausen beruhigt und stellt eine baldige, verbindliche Entscheidung in Aussicht.
Dies könne trotz aller Zuversicht auch noch dauern, betont er. Grund sind die anstehenden Herbstferien sowie ausstehende Zusagen der NRW-Landesregierung. Bis Ende des Jahres, so die Aussage des Oberbürgermeisters, werde aber alles in trockenen Tüchern sein.

Um 17 Uhr wird demonstriert
Nur wenige Stunden nach der Übergabe versammeln sich 150 Schülerinnen und Schüler auf dem Kesselbrink, um gegen die Schließung ihrer Schule zu demonstrieren. Sie halten Plakate mit der Aufschrift „jAWOhl“ hoch, blasen in Trillerpfeifen und tragen T-Shirts mit einem QR-Code, der direkt auf die Petition im Internet führt. „Wir wollen uns mehr Aufmerksamkeit, mehr Gehör verschaffen“, sagt Arslan, die sich unter die Demonstrierenden gemischt hat. Die Route führt dabei vom Kesselbrink über den Willly-Brandt-Platz, den Hauptbahnhof, bis hin zum Jahnplatz. Am Ende findet eine Kundgebung auf dem Kesselbrink vor dem Grünen Würfel statt. Es ist die zweite Demo in diesem Monat.
Arslan sagt: „Die Politiker haben uns zwar gesagt, dass sie versuchen werden, die Schule am Leben zu erhalten. Aber noch haben wir keine Zusage, keinen Beschluss, nichts schwarz auf weiß.“
Bereits jetzt, so die Schüler, habe die Petition die Leute wachgerüttelt und auf Missstände in dem ohnehin unterbesetzten Berufsfeld aufmerksam gemacht. „Wir haben es geschafft, viel Zustimmung und Anerkennung für unseren Beruf aus der Bevölkerung zu erhalten“, sagen sie. Die Petition, die den Schülern des AWO-Berufskollegs einen Besuch beim Oberbürgermeister ermöglichte, geht weiter.