
Wer auf der True-Crime-Welle surft, dürfte irgendwann schon einmal von Henry Howard Holmes gehört oder gelesen haben. Der Mann, der eigentlich Herman Webster Mudgett hieß, soll einer der ersten Serienmörder der USA gewesen sein. Um sein Leben und seine kriminellen Machenschaften ranken sich allerlei Geschichten, aber in der Populärkultur hat sich vor allem eine verfestigt: Zur Weltausstellung 1893 in Chicago soll H. H. Holmes Touristen in sein Hotel gelockt und sie der Reihe nach umgebracht haben. Sein Hotel diente ihm dabei als begehbare Geisterbahn mit angeschlossener Folterkammer. Und genau dieses Horror-Hotel ist nun Schauplatz für den neusten Teil der "Dark Pictures"-Reihe.
Wir reisen allerdings nur für die Vorgeschichte zurück ins Jahr 1893, die Hauptgeschichte spielt in der Jetztzeit. Darin wird eine fünfköpfige Filmcrew auf eine Insel eingeladen, auf der ein reicher Visionär das Hotel von H. H. Holmes bis ins kleinste Detail nachgebaut hat, vorgeblich um es als Touristenattraktion zu nutzen. "Ein Ferienlager aus der Hölle" nennt einer der Fünf das Setting später. Solange sie da überhaupt noch zu fünft sind, denn auch in diesem Spiel geht es wieder darum, möglichst alle Personen (und vielleicht sogar einen Hund) vor den tödlichen Fallen dieser Insel zu bewahren.
Die vorherigen Teile der Serie ("Man ofMedan", "Little Hope" und "House ofAshes") muss man zum Verständnis von "The Devil in Me" nicht gespielt haben, denn es wird jeweils eine eigenständige Geschichte erzählt. Alle Episoden sind nur über den sogenannten Kurator miteinander verbunden, wie immer gemimt von dem wunderbaren Pip Torrens ("The Crown", "Preacher"). Entweder allein, in einer Couch-Party oder zu zweit im Online-Koop-Modus steuern wir abwechselnd die fünf Leute aus der Third-Person-Perspektive durch den blanken Horror. Die wie immer ziemlich lineare Geschichte können wir durch kluge (oder unkluge) Dialogentscheidungen und Quick-Time-Events (das Drücken der richtigen Taste zur passenden Zeit) verändern. So haben wir tatsächlich einige Stunden lang gedacht, dass wir es erstmals schaffen würden, alle zu retten. Aber dem Tod entkommt man hier wirklich nur mit Raffinesse.
Was uns gefallen hat

Das Setting ist grandios gelungen. Dieses Horror-Hotel im viktorianischen Stil, die Lobby, die Bar, die Flure, alles atmet die Luft vergangener Zeiten und bereitet die atmosphärische Bühne für die trickreiche Escape-Hatz. Denn irgendwer in diesem Hotel scheint den fünf Leuten nach dem Leben zu trachten, und zwar nach allen Regeln der Kunst. Der Boden tut sich auf, wo gerade noch plüschiger Teppich lag, Wände verschieben sich, unsichtbare Türen öffnen sich, während sich andere für immer schließen. Manchmal könnte man aber auch meinen, "The Devil in Me" würde auf einer Nordseeinsel spielen, denn ständig schieben Ostfriesen (oder einfach Männer in gelben Overalls) mysteriöse Dinge über den Innenhof.
Es ist nicht nur der Tod, der auf dem Flur hinter der nächsten Ecke lauern kann; manchenorts sind wir gezwungen zu entscheiden, welche der zwei uns schon ans Herz gewachsenen Figuren wir opfern, um die andere zu retten. Reißen wir das junge queere Glück auseinander oder lassen wir den nikotinabhängigen Boss draufgehen, der eigentlich ein trauriger Ritter ist?
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Sind wir mit unserer Figur allein auf weiter Flur, sorgt das Spiel durch den deutlich hörbaren Atem für dauernde Anspannung. Was bei Harry Potter noch ein Heidenspaß ist, weil sich Treppen ständig verschieben, ist in diesem Hotel ein tödlicher Kniff, denn plötzlich ist der Fluchtweg keiner mehr, wenn da mit einem Mal nur noch eine Backsteinmauer steht, an der kein Durchkommen ist. Und wenn von hinten der Mörder naht, der Tod fast unausweichlich scheint, wählt man bei den zwei vom Spiel dargebotenen Wegen (weglaufen oder verstecken) in der Todeseile doch manchmal den falschen.
Die Figuren sind auch diesmal wieder besser charakterisiert, so dass wir eher geneigt sind, sie nicht dem Tod zu überlassen. Das war in der "Dark Pictures"-Reihe nicht immer so. Bei "The Devil in Me" lässt sich das Spiel aber ausreichend Zeit, in die Geschichte und die Beziehungen untereinander einzuführen, auch wenn wir uns teilweise immer noch ein wenig fremdschämen müssen bei den trashigen Unterhaltungen, die da teilweise geführt werden. Aber das haben auch "The Quarry" oder "Until dawn" nicht wirklich besser hingekriegt.
Neu bei "The Devil in Me" ist, dass die Spielfiguren jetzt Items tragen und nutzen können, um etwa Schubladen zu öffnen oder elektrische Geräte in Gang zu bringen, ohne die ein Fortkommen nicht möglich wäre. Auch können wir jetzt an bestimmten Stellen klettern und springen. Und ein Wunsch wurde uns endlich erfüllt: Wir können rennen! Das war in den ersten drei Teilen nicht möglich - was wirklich zum Haareraufen war. Das sind dann aber auch schon die einzigen Weiterentwicklungen des Spielprinzips.
Was uns nicht gefallen hat

Irgendwie erwartet man bei den "Dark Picture"-Teilen immer, dass die ihre deutsche Sprachausgabe nicht richtig hinbekommen und es einfach diverse technische Fehler gibt. Diese Erwartungen wurden auch hier wieder erfüllt. Wir haben in allerlei Situationen plötzlich Audio-Aussetzer in der Synchronisation gehabt, aber immerhin wurde dann auf Englisch weiter erzählt, und die Lippen bewegten sich nicht einfach nur so. Das ist ja auch schon mal was. Richtig nervig fanden wir die Sprünge unserer Spielfigur: Waren wir früher als unsere Begleiter an einer Stelle, sprang unsere Figur plötzlich ein bis zwei Schritte zurück, um der anderen Figur sozusagen Platz für ihre vorgegebene Aktion zu machen.
Die Optik des Spiels auf unserer PS5 war übrigens definitiv nicht der Knaller, sondern eher auf Last-Gen-Niveau, aber was die Reihe immer wieder gut hingekommt, ist das Spiel mit Licht und Schatten. So waren wir etwa sehr angetan von den sich am Badewannenrand spiegelnden Lichteffekten des Wassers. Die Mimik unserer Figuren dagegen hat uns oft sehr an die hölzernen Gesichtsausdrücke der Augsburger Puppenkiste erinnert. Das müsste Supermassive Ende des Jahres 2022 eigentlich besser hinkriegen.
Fazit
Wir haben im ersten, rund siebenstündigen Durchgang drei unserer Figuren an Land gerettet. Dank der vielen möglichen Enden dieser in weiten Teilen mitreißenden und atmosphärisch dichten Horror-Story ist der Wiederspielwert hoch. Für uns ist "The Devil in Me" ein guter Abschluss der ersten Staffel, und es hätte sogar der beste werden können, wenn Supermassive einfach mal vor dem Release die technischen Kinkerlitzchen ausradiert hätte.
Die Reihe geht aber ja in eine neue Staffel. Da ist also noch Hoffnung, dass die Entwickler aus den Fehlern der ersten Staffel lernen. Wir werden das überprüfen, sobald die neue Folge namens "Directive 8020" auf den Markt kommt. Was wir jetzt schon wissen: Es geht offenbar ins Weltall. Da kann man dann vermutlich wieder nicht rennen...
"Dark Pictures: The Devil in Me" ist seit dem 18. November 2022 für PC, Playstation 4, Playstation 5, Xbox One und Xbox Series X|S verfügbar und kostet rund 40 Euro. Das Spiel hat keine Jugendfreigabe.