"Der abgefuckte Kahn ist doch nicht normal!" Ja, so oder ähnlich kann man das Setting des neusten Horror-Adventures von Supermassive Games beschreiben. "Man of Medan" heißt der erste Teil einer auf acht Folgen angelegten Horror-Anthologie aus der Schmiede der "Until Dawn"-Macher.
Worum geht's?
Eine Gruppe von Freunden chartert ein Motorboot samt griesgrämiger Kapitänin, um auf See nach einem Schatz zu tauchen. Der Anfang erinnert an ein Mashup aus Serien wie "Harper's Island" und der PS4-Exclusive-Reihe "Uncharted": fünf wunderschöne, junge Menschen mit zum Teil nicht eindeutig erkennbarer Intelligenz klettern auf ein Boot, die Stimmung ist ausgelassen, die Sonne taucht alles in ein herrliches Sommerlicht, doch der Betrachter ahnt: schlechte Idee, Leute! Sehr, sehr schlechte Idee!
Wie schon in "Until Dawn" haben wir Spieler es in der Hand, wie viele der fünf Helden den bevorstehenden Horrortrip überleben. Vor dem sicheren Tod zu retten wären da die Brüder Brad und Alex, Alex' Freundin Julia, ihr Bruder Conrad und die Kapitänin Fliss. Wann der Spieler welche Rolle übernimmt, ist fest vorgegeben. Man selbst hat es dann in der Hand, die Figuren zu entwickeln. Es gilt zu entscheiden, wie sie reagieren und was sie sagen. Oder auch: ob sie lieber schweigen.
Das alles hat kurz- und langfristige Konsequenzen, aber die schwerwiegendsten drohen bei zu lässigem Handeln während der Quick-Time-Events. Das kann richtig fies nach hinten losgehen. Oder ziemlich tief in den Abgrund. Und vielleicht sollte man wissen, dass die Macher nicht weniger als 69 Arten entwickelt haben, wie man in "Man of Medan" den Tod finden kann.
Die Spielmechanik ist aus diversen anderen Adventure-Games bekannt: wir laufen hierhin und dorthin, sammeln Collectibles, lesen allerlei Briefe, Tagebücher und Kurzschreiben und öffnen Schränke und Schreibtische. Klingt erstmal nicht so spannend, das ändert sich aber schnell. Was zunächst wie ein Bootsausflug zu einem versunkenen Schatz aussieht, entpuppt sich schließlich als Hatz durch ein düster-bedrohliches Geisterschiff.
Hier sind die Gänge eng und schlauchig und die Schockmomente zahlreich, vom Soundteppich hervorragend unterstützt. An den Wänden hängen hin und wieder Bilder, mit denen wir sogenannte Vorahnungen freischalten, die uns einen kurzen Blick in die Zukunft erlauben. Hat uns aber kaum den Hals gerettet.
Was hat uns gefallen?
Nun, erstmal das Setting und wie es sich wandelt: vom Bootsausflug über einen überraschenden Piratenangriff bis zur begehbaren Geisterbahn auf dem riesigen verrottenden Frachtschiff. Einzige Ladung: vier Särge. Mehr wollen wir hier aber nicht verraten. Und wir haben uns an einigen Stellen wirklich ganz schön erschrocken. Die Effekte sind gut gelungen, die Musik ist treffend und atmosphärisch. Grafisch sieht das alles auch ganz chic aus und ist auf jeden Fall auf dem Niveau, wie wir es schon von "Until Dawn" kennen. Mehr allerdings auch nicht.
Wer das Spiel in der Originalsprache spielt (es gibt auch eine deutsche Fassung), bekommt zum bekannten Gesicht auch die passende Stimme dazu, denn Conrad wird etwa von Shawn Ashmore gespielt, den man aus den "X-Men"-Filmen oder der US-Serie "The Following" kennt.
Und noch jemand anderes wird von einem bekannteren Schauspieler gemimt: der Kurator. Er übernimmt die Funktion des griechischen Chors und erinnert leicht an den Erzähler aus der "Rocky Horror Picture Show". Als Allwissender beobachtet er die Entscheidungen und den Fortschritts der Protagonisten und wird vom britischen Schauspieler Pip Torrens ("The Crown", "Preacher") gespielt. Hin und wieder gibt er Hinweise und ist dabei bestenfalls kryptisch. Ein grandioser Charakter, dem wir auch in den folgenden Teilen begegnen werden.
Gefallen hat uns auch die Neuerung, dass wir nicht alleine spielen müssen, denn bei "Man of Medan" gibt's gleich zwei Koop-Modi. Zum einen den Couch-Koop ("Movie Night Mode"), bei dem wir mit bis zu fünf Leuten auf dem Sofa hocken und dann einfach immer den Controller weiterreichen, wenn die nächste Figur übernommen wird. Wirklich innovativ ist aber der Online-Koop ("Shared Story Mode"). Hier teilt man sich die Geschichte mit nur einem Mitspieler, hat aber das Problem, dass man dessen Handlungen nicht kennt. Damit geht ein großes Risiko einher, dass der eigentliche Partner die Geschichte unbewusst oder gar bewusst ganz anders weiterdreht, als man selbst das vorgehabt hat. Eine spannende Idee.
Was hat uns nicht gefallen?
Es war viel zu schnell zu Ende - und nicht etwa, weil wir einfach alle Protagonisten umgebracht hätten, sondern weil wir es wirklich durchgespielt haben. Wir sind beim Überschlagen auf rund fünf Spielstunden gekommen. Die Macher haben aber versprochen, dass der Wiederspielwert hoch sei. So haben wir zumindest die letzte Szene noch einmal gespielt - und waren sehr überrascht über das völlig andere Ende der Geschichte.
Die Frage bleibt dennoch: Wie viele Gamer zocken die Geschichte ein drittes und viertes Mal? "Man of Medan" ist kein Vollpreisspiel, sondern kostet bei Erscheinen rund 30 Euro. Dafür ist es so eben noch im Rahmen. Wenn man bedenkt, dass einige Spielejournalisten bei 45 Euro für ein "Call of Duty" an ihren Kritiken gemessen am liebsten auf Verletzung der Menschenrechte geklagt hätten.
Dass sich die Protagonisten in solchen Spielen mal interessant unterhalten, scheint aber offenbar schwierig zu sein. Hin und wieder passen Dialoganschlüsse nicht ganz, und betont coole Sprüche wie der eingangs erwähnte "Der abgefuckte Kahn ist doch nicht normal!" bieten eher unfreiwillige Komik, als dass hier irgendwer darauf käme, wir befänden uns in einem ernstzunehmenden Horrorfilm. Da lässt das Spiel leider ein bisschen was an Atmosphäre liegen.
Und technisch? Wir haben "Man of Medan" auf einer PS4 getestet und waren immer mal wieder von Rucklern genervt, vor allem wenn gerade viel Action angesagt war. Hier müssen die Macher auf jeden Fall noch nachbessern, damit die Schockmomente nicht durch blöde Ladepausen ihre Wucht verlieren.
Unser Fazit
Die "Dark Pictures"-Anthologie hat richtiges Potential. "Man of Medan" ist ein guter Auftakt, der noch Luft nach oben lässt. Spielerisch auf bewährtem Niveau verbringt man mit dem filmischen Horror-Spiel auf jeden Fall einen aufreibenden Abend (soll heißen: für die Stimmung besser nicht tagsüber zocken). Interessant wird es aber erst, wenn weitere Sequels erscheinen. Laut Herstellerangaben sollen pro Jahr zwei auf den Markt kommen und jedes Mal eine neue Geschichte, ein neues Setting und neue Charaktere mit sich bringen. Hält die Serie das Niveau, steht uns hier ein echtes Schwergewicht ins Haus.
"Man of Medan" erscheint am 30. August 2019 für die PS4, Xbox One und den PC.