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"The Quarry" im Test: Der beste Sommer-Schocker seit "Until Dawn"

Ein Jugendcamp in den US-amerikanischen Wäldern, sieben Teenager und ein paar rätselhafte Monster bei Vollmond - und wir haben in der Hand, wer überlebt.

Schaut Euch dieses Bild genau an - es verrät schon etwas, aber man versteht es erst sehr spät. | © 2K / Supermassive Games

Christian Lund
15.06.2022 | 15.06.2022, 15:39

Für gewöhnlich ist es der Oktober, in dem Horror-Filme und -Games Hochkonjunktur haben. Es gruselt sich einfach besser, wenn draußen die kalte, graue Nebelsuppe aus den Wäldern kriecht, die Tage kürzer werden und sich mit dem amerikanischen Halloween-Fest allerlei bösartiger Schabernack ankündigt. Die Sommermonate dagegen: endlich wieder unterwegs sein, die Sonne genießen, Festivals besuchen, das schöne Freizeit-Leben feiern.

Schon 2015 hat das britische Entwicklerstudio Supermassive Games diese Welt auf den Kopf gestellt und am 25. August mit "Until Dawn" einen PS4-exklusiven Survival-Horror-Kracher auf den Markt gebracht. Der interaktive Horror-Film bediente sich bei beliebten Teenie-Slasher-Filmen und zwang die Spieler, für die Figuren Entscheidungen zu treffen, die sich auf den Spielverlauf auswirkten. Und darauf, ob und, wenn ja, wie schnell jemand das Zeitliche segnete. Danach entschloss sich Supermassive Games, eine auf acht Folgen angelegte Horror-Anthologie nach ähnlichem Muster zu entwerfen. Zuletzt erschien im Oktober 2021 der dritte Teil der "Dark Pictures"-Reihe, die sich aber bei den vielen Fans von "Until Dawn" nie richtig durchsetzen konnte.

Jetzt aber hat die Zeitrechnung nach "Until Dawn" einen neuen Fixpunkt: Seit dem 10. Juni 2022 ist der wahre "Until Dawn"-Nachfolger gefunden: "The Quarry". Es ist schlichtweg ein Meisterwerk. Ja, es hat auch Schwächen. Aber weil "The Quarry" so unfassbar gut ist, verzeiht man ihm diese Kinkerlitzchen. Wir haben "The Quarry" ausgiebig getestet und sagen Euch spoilerfrei, warum ihr dieses cineastische Game spielen müsst.

Worum geht's?

"It started with a kiss." Oder auch nicht. Je nachdem, wie man sich entscheidet, werden Nick und Abigail einen Weg einschlagen, der sie vielleicht sogar in den Tod führt. - © 2K / Supermassive Games
"It started with a kiss." Oder auch nicht. Je nachdem, wie man sich entscheidet, werden Nick und Abigail einen Weg einschlagen, der sie vielleicht sogar in den Tod führt. | © 2K / Supermassive Games

Die letzten Kinder haben das Sommercamp von "Hackett's Quarry" mit Bussen verlassen, übrig geblieben sind nur noch die sieben Betreuerinnen und Betreuer im Teenager-Alter sowie der Camp-Chef Chris Hackett, gespielt von David Arquette ("Scream"). Einen letzten Abend wollen die jungen Leute noch zusammen erleben und deshalb erst am nächsten Tag abreisen. Sie ahnen nicht, worauf sie sich einlassen, denn es könnte der allerletzte Abend ihres Lebens sein. Chris warnt sie eindringlich, während der Dunkelheit in der Lodge zu bleiben, die Türen zu verschließen und auf keinen Fall hinauszugehen. Warum, fragt einer der Jungs. Die Erwachsenen-Antwort: "Tut es einfach."

Chris verlässt das Camp, die Sonne geht unter, der Vollmond auf, und man ahnt es ja: Die Teenager halten sich natürlich nicht an die Mahnung, sondern zünden ein Lagerfeuer an, spielen Flaschendrehen, und eine Mischung aus Coming-of-Age und Teenagerliebe sorgt für den ersten Konflikt, durch den vier junge Menschen zum Teil allein in den Wald rennen.

Ab jetzt haben wir es in der Hand, wohin diese Geschichte steuert - so richtig. Immer wieder sind wir gezwungen, uns bei Weggabelungen in der Story aktiv für einen Weg zu entscheiden. Tun wir nichts, hat das ebenfalls Folgen. Manchmal ist es sogar besser, nichts zu tun, in dramatischen Situationen hämmern wir dagegen bei Quick-Time-Events (QTEs) auf die Tasten unseres Controllers. Der mit so viel Fröhlichkeit begonnene Abend entpuppt sich als Nacht des Grauens, denn in den Wäldern lauern furchtbare Monster. Und manchmal sind sie schneller, als wir eine Entscheidung treffen können.

Was uns gefallen hat

Chris (gespielt von David Arquette) ist der freundliche Besitzer, Betreiber und die gute Seele von Hackett’s Quarry. Aber auch er hat Geheimnisse. - © 2K / Supermassive Games
Chris (gespielt von David Arquette) ist der freundliche Besitzer, Betreiber und die gute Seele von Hackett’s Quarry. Aber auch er hat Geheimnisse. | © 2K / Supermassive Games

"The Quarry" sieht einfach sehr gut aus. Und auch teuer. Dass das keine drittklassige Produktion ist, sieht man an allen Ecken und Enden. Schon die Kameraführung im Prolog macht das sofort deutlich: Wir sind hier auf hohem Niveau unterwegs. Auch beim Cast hat man sich Leute geholt, die wissen, was sie tun: David Arquette ("Scream"), Ariel Winter ("Modern Family"), Justice Smith ("Jurassic World"), Brenda Song ("Dollface"), Lance Henriksen ("Aliens"), Lin Shaye ("Insidious"), Ted Raimi ("Creepshow"). Die Face-Capture-Technik hat sich seit "Until Dawn" nochmal weiterentwickelt, und auch das sieht man dem Spiel an. Es gibt noch immer Luft nach oben, aber über die erstaunlich gut eingefangene Mimik sind wir jetzt emotional noch näher dran an unseren Figuren.

Man könnte dem Spiel vorwerfen, dass es nur langsam in Fahrt kommt. Der Prolog zieht sich, die Einführung der Figuren dauert. Wir haben das aber komplett positiv unter "sich Zeit lassen für die Charaktere" verbucht. So erfahren wir erst in Kapitel 7 wertvollere Hinweise auf die Hintergründe der Grusel-Story. Anders als in der "Dark Pictures"-Reihe bekommen die meisten Figuren dadurch ausreichend Gelegenheiten, um erzählerische Tiefe zu entwickeln und uns ans Herz zu wachsen.

Das Spiel gibt uns pro Durchlauf drei Chancen, den Tod eines spielbaren Charakters ungeschehen zu machen. In der Deluxe-Edition ist das sofort freigeschaltet, in der Standard-Edition erst nach einmaligem Durchspielen. Wir haben alle drei Chancen für eine geliebte Figur ausgegeben. Doch das Monster war vier Mal schneller als wir. Was für ein Schock! Danach mussten wir unseren Controller erstmal kurz zur Seite legen. Wann hat ein Spiel das zuletzt geschafft?

Die Figuren, das muss man aber auch sagen, sind etwas sehr typisch hormonübersteuerte Teenager. Das bedeutet auch: die sprechen so, wie die Jugend heutzutage zu sprechen beliebt, auch in der deutschen Sprachausgabe: "Coole Story, Bro!" Derjenige, der sich zu solchen geistreichen Worten hinreißen lässt, ist ohnehin nicht die hellste Kerze auf der Torte: Jacob.

In einer späteren Szene rennt er in Badehose durch den Wald und erinnert auch mit seiner Schlichtheit leicht an das Monster "Rocky" aus der "Rocky Horror Picture Show", nachdem es frisch ausgewickelt war (kennt das überhaupt noch jemand?). Jacob ist furchtbar verschossen in die schöne Influencerin Emma, die sich ständig mit ihrem Handy filmt, Jacob nur als Sommerflirt ansieht und so Dinge sagt wie: "Ich will nur verzweifelt in einer Welt klarkommen, in der jeder anders sein will."

Wie würden Sie entscheiden für Dylan? - © 2K / Supermassive Games
Wie würden Sie entscheiden für Dylan? | © 2K / Supermassive Games

Dann haben wir noch den sanften Herzensbrecher Nick und die aufrichtige Abigail, die sich eigenlich gegenseitig ziemlich anziehend finden, aber zu schüchtern sind, das zuzugeben, den grüblerischen Ryan, der zarte queere Erfahrungen macht, die aktive Kaitlyn, ... Die Besetzung ist beeindruckend konzipiert und erinnert uns an wunderbare Kinostunden mit ähnlich arglos-unbekümmerten Teenagern auf der Leinwand, die in ihr Unglück rennen.

Die Story ist eine klassische Horror-Grusel-Geschichte, wie sie im Grunde schon seit Jahrzehnten, vielleicht auch schon seit Jahrhunderten so oder so ähnlich erzählt wird. Obwohl die Teenager hier mit ihren Handys als Taschenlampen leuchten, ist die Story durchdrungen von klassischen Horror-Elementen. Wir haben eine Tarotkarten legende betagte Frau, wir haben einen alten Zirkus, Geister, Monster. Es gibt allerdings auch den ominösen Podcast "Bizarr oder banal", der in Hackett's Quarry spielt und sich mit der Hexe von Hackett's Quarry beschäftigt. Ist die Geschichte echt?

Wir suchen überall auf dem ziemlich großen, aber oft schlauchartig geführten Gelände nach Hinweisen, Beweisstücken und Tarotkarten. Wir rennen weg oder verstecken uns, obwohl beides nicht immer die beste Lösung ist. Wir knallen üble Biester ab, und zögern wir zu lange, rächt sich das. Und manchmal, ja manchmal wirken sich Entscheidungen erst sehr spät tödlich aus. Eine sichere Gewissheit hat man hier nie. Ihr glaubt an logische Entscheidungen? Gefährlich!

Über den Gruselfaktor lässt sich sicher streiten. Richtig geschockt waren wir selten, aber es liegt eine andauernde, fein ziselierte Spannung in der Luft, die auch durch die stimmungsvolle Hintergrundakustik unterstützt wird. Wir empfehlen, das Ding am besten mit Kopfhörern zu spielen. Auch wenn wir nur wenige Jumpscares und nur gelegentlich blutige Szene erlebt haben, bewährte Slasher-Elemente inklusive, tat das der Grundspannung keinen Abbruch.

Was uns nicht gefallen hat

Würdet ihr von dem Typen einen Gebrauchtwagen kaufen? Ist er Freund oder Feind? Reicht er euch in Notsituationen die Hand oder schlägt er sie euch ab? Wähle weise! - © 2K / Supermassive Games
Würdet ihr von dem Typen einen Gebrauchtwagen kaufen? Ist er Freund oder Feind? Reicht er euch in Notsituationen die Hand oder schlägt er sie euch ab? Wähle weise! | © 2K / Supermassive Games

Tja, ein paar Dinge haben wir tatsächlich zu meckern. Zum einen gab es einige ziemlich frustrierende Kameraführungen: Wir betreten eine Bibliothek, gehen um ein Bücherregal herum, und unsere Figur verschwindet dahinter. Ok, wir lernen: hier gibt es für uns nichts zu sehen, sonst würde uns die Kamera folgen. Wir gehen durch einen Wald, vor uns sind drei Wegmöglichkeiten. Wir gehen rechts ab, die Kamera wechselt - wo sind jetzt die beiden anderen Wege? Wir gehen verwirrt zurück, orientieren uns, entscheiden uns wieder für die Richtung und können nicht sicher sein, dass wir später die beiden anderen Abzweigungen wiederfinden, um sie auch nach Hinweisen abzusuchen.

Und wenn wir Treppen oder sehr enge Gänge gehen, folgt uns die Kamera so nah, dass unser Rücken sehr viel Raum des Bildschirms einnimmt. Sehr ärgerlich! Das muss man besser hinkriegen. Dass das möglich ist, sehen wir in den atmosphärischen Filmszenen, wo die Kamera nahezu perfekt die Szenerie und unsere Figuren einfängt, dazu die stimmungsvolle Beleuchtung mit Licht und Schatten.

Dann die Quick-Time-Events: Von "Until Dawn" kennen wir es, dass wir auf Dreieck-, Quadrat-, Kreis- und X-Taste hauen mussten, bei "The Quarry" ist es in den meisten Fällen nur die Kreis-Taste in Verbindung mit einer Richtung des linken Thumbsticks oder ein wildes Spammen der X-Taste. Während wir in "Until Dawn" beim Verstecken noch den Controller möglichst ruhig halten mussten, was bei uns wirklich zu einem Erstarren geführt hat, halten wir bei "The Quarry" nur die X-Taste gedrückt, bis wir glauben, dass die Gefahr vorüber ist. Das ist eine Verschlechterung gegenüber 2015.

Dann ist die deutsche Sprachausgabe leider nicht immer lippensynchron, und wir haben auch vereinzelt erlebt, dass sich Lippen bewegten, aber kein Ton zu hören war. Das hat sich leider auch durch den 9,7 GB großen ersten Patch nicht geändert. Auch nicht, dass die Zusammenfassung unserer Entscheidungen am Ende der Geschichte viel zu schnell über den Bildschirm flimmert. Man schafft es kaum, die Textblöcke bis zur Hälfte zu lesen, dann sind sie auch schon wieder weg. Dabei erfahren wir dort, warum wer überlebt hat und warum der andere nicht und welches Schicksal sie ereilt hat. Das lässt uns ernüchtert zurück. Das aber wird man sicher durch einen Patch lösen können.

Fazit

Wir sind schwer begeistert von "The Quarry". Endlich haben wir einen interaktiven Grusel-Film, der umwerfend aussieht, cineastisch durchdacht ist und auch Wiederspielwert hat - immerhin gibt's 186 Enden.

Man muss allerdings sagen, dass ein Verkaufspreis von 69 Euro für die Next-Gen-Standardversion und 79 Euro für die Next-Gen-Deluxeversion ganz schön happig sind für die etwas mehr als 10 Stunden Spielspaß, Wiederspielwert hin oder her. 50 Euro für die Standard-Version und einen Zehner mehr für die Deluxe-Version hätten es auch getan. Wir sind klassische Single-Player, deshalb gibt uns die Koop-Version nichts.

Tatsächlich aber haben wir den Filmmodus "Alle überleben" sehr genossen. Sich einfach zurücklehnen zu können und dabei zuzusehen, an welchen Weggabelungen wir uns hätten anders entscheiden müssen, um jemanden am Leben zu halten, das ist schon ganz dufte. Für destruktive Geister unter Euch gibt es dann noch den Modus "Alle sterben" sowie den "Blutbad"-Modus, der in die grausamste Splatter-Version ausartet. Aber rechtfertigt das den Vollpreis? Wir finden nicht.

Dennoch: "The Quarry" macht einfach riesig viel Spaß, und wer den Teenie-Horror der 80er Jahre so mag und schätzt wie wir, wird "The Quarry" lieben.

"The Quarry" ist seit dem 10. Juni 2022 für PC, Playstation 4, Playstation 5, Xbox One und Xbox Series X|S verfügbar und kostet ab 60 Euro. Das Spiel hat keine Jugendfreigabe.