Was uns zu Menschen macht, ist die Fähigkeit, Muster zu erkennen. Das bedeutet in der modernen Spielelandschaft nichts anderes als: Menschen spielen, was sie kennen. Und sie spielen das, was sie kennen – aber mit einem Twist! Mit Genres und Tags versuchen Steam, Playstation und Xbox uns zu vermitteln: Hier, das ist so ähnlich wie das, was du kennst und mochtest – aber ein bisschen anders.
Deshalb war es kein Wunder, dass „Atomfall“, in dem es um eine mysteriöse nukleare Katastrophe im England der 60er Jahre geht, nach der Ankündigung mit Labels wie „das britische ’Fallout’“ oder „erinnert an ’Stalker’“ bedacht wurde. Ein Fünkchen Wahrheit steckt da durchaus drin. Aber den Entwicklern des Studios Rebellion gelingt eine angenehm eigenständige Version der bewährten Elemente. Die nicht nur dank des Settings und der ziemlich gut vertonten englischen Dialoge (auch in der deutschen Version) Charakter hat.
Worum geht’s in „Atomfall“?

Die Story von „Atomfall“ ist angelehnt an den größten Nuklearunfall in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Im Spiel erwachen wir ohne Erinnerungen in einem Bunker und werden von einem schwer verletzten Typen in Gasmaske aufgefordert, den „Übergang“ aufzusuchen. Dort sollen wir die Hintergründe der mittlerweile fünf Jahre zurückliegenden Katastrophe aufklären.
Das Militär hat die Zone um den Reaktor abgeriegelt und nennt das eine temporäre Quarantäne, niemand kommt rein oder raus – auch weil ein lila-farbenes Energiefeld um den havarierten Reaktor Hubschrauber abstürzen lässt und jede Kommunikation verhindert. So weit, so klassisch.
Aber etwas ist ganz gehörig im Argen in der von wunderschönen Wäldern, zerstörten Natursteinhäusern und Schlössern geprägten Spielwelt. Wer zum Beispiel erklärt uns bitte, warum wir an den überall verteilten Telefonzellen ständig einer mysteriösen Stimme lauschen müssen, die will, dass ein gewisser „Oberon“ stirbt? Warum spricht hier der Erdboden mit allen, die dem Kraftfeld des Reaktors zu nahekommen? Wer sind wir überhaupt? Ist das alles real, oder ein buchstäblicher Albtraum?
Das Mysterium bekommt „Atomfall“ super aufgebaut. Und ständig finden wir neue Hinweise darauf, wer aus dem begrenzten Kreis der Überlebenden hier den einen oder anderen wichtigen Faden in der Hand hält – und uns womöglich sogar zur Flucht verhelfen kann.
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Wie spielt sich „Atomfall“?

Im Kern verbindet „Atomfall“ Survival- und Rollenspielelemente mit der First-Person-Ansicht. Alles nicht neu, die Referenzen „Fallout“ und „Stalker“ passen da schon ziemlich gut. Die Stärke des Spiels besteht in ein paar schlauen Design-Entscheidungen, die das Spielerlebnis eher in Richtung „Survival light“ verschieben. Die wichtigste davon: indirekte Spielerführung.
Zum Beispiel funktioniert das Spiel nicht über eine riesige Spielwelt voller Auftragsmarkierungen, sondern über unseren Erkundungsdrang. Die viereinhalb weitläufigen Levels stehen uns von Anfang an offen, jeden „Point of Interest“ müssen wir entweder selbst finden, in Gesprächen davon erfahren oder durch herumliegende Notizen darauf aufmerksam werden.
So füllt sich die Map nach und nach mit Zeichnungen, die wichtige Orte markieren.Quests heißen in „Atomfall“ Spuren (Englisch: „Leads“) und sind die zweite schlaue Designentscheidung. Denn sie weisen uns oft nur grob den Weg zum nächsten Ort, wo wir weiterrecherchieren sollen. Oder nennen uns nur den Namen und Aufenthaltsort einer bestimmten Person. Wir müssen also selbst suchen.
Meistern Sie das Überleben: Zehn Tipps für einen erfolgreichen Start in „Atomfall“

Zwar lassen sich über die Einstellungen auch Questmarker auf die Karte flanschen. Aber oft starten wir die nächste Spurensuche mit nichts als einem Namen oder Koordinaten und der Region, in der wir suchen sollen. Cool auch: Je nachdem, ob wir unterwegs weitere Informationen finden, können wir diese in Dialogen später verwenden – zum Beispiel um Übeltäter zu entlarven oder einen Nichtangriffspakt mit einer ganzen feindlichen Fraktion zu schließen.Und können wir zwar einen Haufen Items craften, wirklich nötig ist das aber nur für ein paar ausgesuchte Gegenstände. Waffenverbesserungen zum Beispiel.
Der Handel, der nur aus dem Tauschen von Gegenständen besteht, ist ebenfalls eine clevere Idee. Wollen wir ein wertvolles Item, müssen wir auch ganz schön was dafür abgeben. Es gibt eine Schleichmechanik, und wir können uns aus Kämpfen auch zurückziehen, wenn wir umdrehen, bevor die Gegner uns entdecken.
Da wir aber selten wirklich um Kämpfe herumkommen – vor allem nicht, wenn wir uns in Häusern oder Höhlen aufhalten – und nicht alle NPCs zur Friedfertigkeit überreden können, haben wir uns schnell einen aggressiveren Spielstil angewöhnt. Man soll zwar auch gewaltfrei durch das Spiel kommen, sagen die Entwickler. So richtig vorstellen können wir uns das aber nicht. Dafür sind die respawnenden Gegner dann doch zu zahlreich.
Unser Fazit zu „Atomfall“
Man kann „Atomfall“ durchaus „Fallout“ in England nennen. Das Spielgefühl unterscheidet sich oft nicht gravierend vom großen Vorbild in Sachen nuklearem Storytelling. Dennoch setzt „Atomfall“ Akzente durch Anleihen in anderen Genres, die so gut dosiert sind, dass keins zu viel ist, aber auch nie wie ein billiger Abklatsch wirkt. Nur wer ein knallhartes Survival-Abenteuer erwartet, dürfte enttäuscht werden.
Die Story zieht sofort hervorragend ins Geschehen, nach fünf Minuten können wir praktisch die ganze Spielwelt erkunden, und nach einer Stunde wissen wir, was uns im Kern der Erzählung erwartet.
Vielleicht lädt auch das dazu ein, den schnell immer zahlreicheren „Leads“ abseits der Hauptquest in der Spielwelt nachzuspüren. Sogar die Talentbücher für neue Skills müssen wir erst finden, bevor wir sie erlernen können! Das motiviert. Und weil die Welt nie zu groß wird, lässt sie sich in 25-30 Stunden auch gemächlich vollständig durchkämmen.
Der Ausflug nach Nordengland hat uns jedenfalls zu keiner Zeit gelangweilt. Und jetzt entschuldigen Sie uns: Oberon muss sterben Verzeihung, haben wir das gerade gesagt?
„Atomfall“ ist erhältlich für PS5, Xbox Series und PC (Steam), kostet rund 60 Euro und ist freigegeben ab 18 Jahren.