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"Greedfall" im Test: Solides Rollenspiel mit Macken und Längen

Rollenspiele sind gerade rar gesät. Ist "Greedfall" neues Qualitätsfutter für darbende Gamer?

Was erwartet uns auf der Insel Teer Fradee, die im Spiel als das gelobte Land verkauft wird? | © Spiders

01.10.2019 | 01.10.2019, 08:55

Niemand hat damit gerechnet, dass der kleine Entwickler Spiders ein Rollenspiel auf den Markt bringt, das sich mit den Großen der Branche messen kann. Doch das Spiel hat bei Gamern und Fachpresse Eindruck hinterlassen - wir haben getestet, ob "Greedfall" halten kann, was es verspricht.

Wie haben wir getestet?

Wir haben für diesen Test zwei Spieler ins Rennen geschickt. Tester 1 hat früher am PC sehr gerne "Diablo", "Baldur's Gate" oder "The Witcher" gespielt, zockt heutzutage aber lieber an der Konsole "Far Cry", "Uncharted" und allerlei Racing Games. Lieblingsspiel: "Horizon Zero Dawn". Tester 2 spielt sowohl am PC als auch an der Konsole und ist begeisterter Rollenspieler. Zuletzt hat ihn Remedys "Control" fast restlos überzeugt. Lieblingsspiel: "The Witcher 3".

Getestet wurde ausschließlich auf einer PS4.

Worum geht's bei "Greedfall"?

Wir befinden uns in einer Welt, die an das Europa des 17. Jahrhunderts erinnert: Architektur, Kleidung, Waffen, Ambiente. Alexandre Dumas hätte seine Freude an dem Setting gehabt, sehen die Figuren doch aus, wie aus einem seiner Musketiere-Romane entsprungen. Gekämpft wird mit allerlei Ein- und Zweihandwaffen, aber auch mit Pistole und Magie.

Stilvoll: Mit Mantel und Kolonialwumme ausgerüstet ziehen wir gegen die Monster der Insel zu Felde. - © Spiders
Stilvoll: Mit Mantel und Kolonialwumme ausgerüstet ziehen wir gegen die Monster der Insel zu Felde. | © Spiders

Unser Kontinent ist hoffnungslos überbevölkert, und in den Straßen und Häusern grassiert eine tödliche und unheilbare Krankheit. Nicht nur diese Bürde sorgt dafür, dass manch Abenteurer aufbricht, um andere Länder zu entdecken. Einer hat Glück und findet Teer Fradee, ein unberührt scheinendes Eiland, auf dem wir anlanden, um nach einem Heilmittel für die Krankheit zu suchen. Das wir dort nicht alleine sind, versteht sich von selbst.

Was hat uns gefallen?

"Greedfall" ist ein Rollenspiel, wie es im Buche steht: Gleich zu Beginn wählen wir nicht nur unser Geschlecht und unser Äußeres, sondern wir bestimmen auch einige Anfangsattribute. Worin wollen wir stark sein? Welche Klasse wollen wir sein? Das Angenehme dabei: Das Fortschrittssystem ist klassenunabhängig - wir können also verschiedene Zweige ausbilden und uns so entwickeln, wie wir es wollen und nicht, wie unsere Klasse es vorgibt. Allerdings sind die Punkte, die wir im Spielverlauf ergattern und verteilen können, rar gesät. Man sollte also vor allem zu Anfang sehr überlegt an die Sache rangehen.

Wir haben außerdem das Gefühl, dass wir tatsächlich nicht alle Konflikte mit der Waffe entscheiden müssen, sondern durch überlegtes Antworten manches Blutvergießen vermeiden können. Das Trio der Möglichkeiten, um eine Quest erfolgreich abzuschließen, lautet deshalb: Kampf, Diplomatie und Täuschung. Und wir sind fast nie allein, denn wir haben Gefährten zur Seite, Allianzen, die sich finden, lösen und in anderer Form wieder neu zusammenkommen.

Die Spielwelt ist wirklich originell, das Setting im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaft. Hier treffen Welten aus "The Witcher" auf Erinnerungen an Klassiker wie "Dragon Age".

Backenbart bei Frauen? Nein, was die Dame in dieser Unterhaltung im Gesicht hat, sind Spuren der Krankheit, für die wir auf unserer Reise ein Heilmittel finden sollen. - © Spiders
Backenbart bei Frauen? Nein, was die Dame in dieser Unterhaltung im Gesicht hat, sind Spuren der Krankheit, für die wir auf unserer Reise ein Heilmittel finden sollen. | © Spiders

Was hat uns nicht gefallen?

Tester 1: Ganz ehrlich? Für mich ist es ein so frustrierendes Spielerlebnis gewesen, dass ich oft richtig wütend war. Vermutlich habe ich den Fehler gemacht und meinen Protagonisten zu Anfang mit den falschen Attributen ausgestattet. Folge dessen war, dass ich beim ersten Bosskampf im Hafen von Serene kolossal gescheitert bin. Immer und immer wieder. Ich habe Gameplay-Videos zu Rate gezogen. Ich habe die Spielstufe auf einfach (!) gestellt. Ich habe Stunden damit verbracht, dem Monster auf vielfältigste Weise den Garaus zu machen. Und irgendwann habe ich gesagt: Sorry, das war's. Und wie soll dann erst ein RPG-Anfänger damit klar kommen?

Dann ist die Steuerung des Helden einfach miserabel. Beim Bosskampf ist unerklärlich, warum die Figur nicht rennen kann. Die geht nur in die "En garde"-Haltung und trippelt. Was tödlich ist, wenn da ein Riesenvieh mit Riesenpranken herumfuchtelt. Das ist weder lustig, noch herausfordernd. Das ist einfach nur ärgerlich und frustrierend.

Die Steuerung ist zudem sehr hakelig, unsere Figur reagiert mit spürbarer Verzögerung. Das ist nicht nur in Kämpfen zu spüren, sondern auch beim Rennen durch Straßen und Häuser. Mit dem Controller in der Hand steuert man die Figur wie eine Marionette aus der Augsburger Puppenkiste. Es nützt übrigens auch wenig, die Kameraempfindlichkeit ganz runterzudrehen.

Und das Ärgernis wird nicht kleiner durch die Kollisionsabfrage - die ist nämlich ähnlich schlecht. Oft stehen uns die Gefährten im Weg, oder wir landen in Ecken, aus denen wir nicht mehr rauskommen. Ach ja: man kann nicht springen. Hindernisse bleiben also Hindernisse. Bei Obstkisten oder Baumstämmen ist das dann schon wirklich lächerlich.

Die Spielwelt ist nicht immer knackscharf, aber dafür liebevoll gestaltet und voller Naturdenkmäler. Zu sehen gibt's also genug. - © Spiders
Die Spielwelt ist nicht immer knackscharf, aber dafür liebevoll gestaltet und voller Naturdenkmäler. Zu sehen gibt's also genug. | © Spiders

Tester 2: Ja, "Greedfall" hat zu viele Ecken, um zum großen Wurf zu reichen. Dafür sind Figuren und Spielwelt grafisch nicht detailliert genug gestaltet, die Quests zu sehr nach Schema F aufgebaut, die Story ein klein wenig zu voll mit Rollenspiel-Klischees.

Das Setting ist zwar frisch (gegen einen Helden mit Dreispitz auf dem Kopf ist nun wirklich nichts zu sagen), bietet aber zu wenig Tiefe. Optisch schreit hier alles "Kolonialzeit", die Konflikte, den Rassismus, die Ausbeutung dieser Zeit fasst das Spiel erzählerisch aber nur selten an. Das hat zum Beispiel ein "The Witcher" deutlich nachvollziehbarer in seine Welt einbezogen.

Die Probleme mit Steuerung und Levelgrenzen ärgern übrigens auch solche Spieler, die nicht schon beim ersten Boss die Controller-Segel streichen müssen. Zwar nervt das Eingabe-Delay in den Kämpfen und beim Erkunden, man gewöhnt sich aber daran. Schöner wäre natürlich ein direkteres Handling von vornherein. Das dürfte mit der Maus auf dem PC zumindest etwas intuitiver funktionieren.

Und eine echte Open World bekommen wir hier auch nicht, stattdessen gibt es mal kleinere, mal größere Areale, zwischen denen wir reisen. Das lässt die eigentlich klasse designte und abwechslungsreiche Insel unnötig zersplittert wirken. Wer ständig schnellreist, könnte auch den Eindruck bekommen, er springt zwischen mehreren Eilanden hin und her.

Unser Fazit

Bei "Greedfall" wird wieder einmal deutlich, warum man beim französischen Entwicklerstudio Spiders eher skeptisch ist, dass die ein Rollenspiel auf den Markt bringen, das sich mit den Großen messen kann. Man muss allerdings auch sagen, dass die Bude nur 20 Mitarbeiter hat - im Gegensatz zu großen Spieleschmieden. Es ist ein nettes Spiel mit leider noch zu großen Schwächen. Wir hoffen, dass die Entwickler einige davon mit ein paar Patches ausbügeln.

Es hat aber einen unbestreitbaren Wettbewerbsvorteil: Rollenspiele sind zurzeit kaum auf dem Markt. Wer also unbedingt neue Geschichten erzählt bekommen will und mit den Bioware-RPGs seine Freude hatte, der wird auch mit "Greedfall" ein paar Stunden Spaß haben können.

"Greedfall" ist ab 16 Jahren freigegeben, für PC, PS4 und Xbox One erhältlich und kostet zwischen 40 und 50 Euro.

Der Trailer zum Spiel: