Neues Arminia-Buch von Philipp Köster - hier gibts eine Leseprobe!

Nach Gütersloh fuhren wir immer gern. Zunächst einmal aus touristischen Gründen. Denn während ab Mitte der Neunzigerjahre sämtliche Stadien in den höheren Ligen sich so modernisiert präsentierten, dass sie mit ihren Schalensitzen und Blechdächern allesamt nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, blieb der Gütersloher Heidewald unberührt: eine marode Haupttribüne, zwei Stehplatzkurven mit Grasbewuchs davor und eine Gegengerade, auf der die einheimischen Zuschauer verlässlich jeden vorbeilaufenden Gegner aus vollem Herzen anbrüllten. So war es in den Neunzigern, und so ist es heute noch: Wer in diesen Tagen im Heidewald vorbeischaut, erblickt ein fast unangetastetes Stadionpanorama und wird überrascht sein, dass unten auf dem Rasen nicht mehr der alte Kämpe Rob Reekers im grünen Trikot zur Todesgrätsche ansetzt, und er wird vergeblich nach Johannes Linßen Ausschau halten, der mit wirren Haaren auf der Trainerbank gestikuliert. Denn diese Zeiten sind lange vorbei. Über Gütersloh ist der moderne Fußball ziemlich erbarmungslos drübergewalzt. Wie andere klangvolle Klubs von einst, der Wuppertaler SV, die SpVgg Bayreuth oder Westfalia Herne, fristet der Klub heute ein etwas unspektakuläres Dasein in den Kasematten des Amateurfußballs. Dabei kommt in Gütersloh so viel zusammen, was ein Fußballklub braucht, um erfolgreich sein zu können: zahlungskräftige Großfirmen, eine lange Fußballtradition, ein großartiges Stadion und eine Zuschauerschaft, die ebenso pessimistisch wie begeisterungsfähig das Gekicke auf dem Rasen verfolgt. Schon Wochen vorher aufgeregt Jedenfalls waren wir schon Wochen vorher aufgeregt, weil in der Saison 1998/99 endlich wieder ein Derby in Gütersloh anstand, zumal sportlich eine Menge auf dem Spiel stand. Nach rauschhaften zwei Jahren Bundesliga war Arminia wieder abgestiegen, und Ernst Middendorp nach vier mittelerfolgreichen Spieltagen in der Zweiten Liga expediert worden. Sein Nachfolger war Thomas von Heesen, der froh wirkte, nicht wie 1994 angedacht als Küchenvertreter über ostwestfälische Dörfer zu tingeln und Einhebelmischbatterien an den Mann bringen zu müssen. Und Arminia hatte sich vor der Saison prächtig verstärkt. Aus München war der blondierte Abwehrmann André Hofschneider gekommen, aus Belgien Jacky Peeters, und vor allem die Verpflichtung von Stürmer Bruno Labbadia von Werder Bremen hatte sich gelohnt. Gegen die behäbigen Holzfüße der Zweiten Liga war Labbadia unterfordert und traf nach Belieben. Am Ende dieser Saison sollte er Torschützenkönig der Zweiten Liga werden. Aber das war im November 1998 noch nicht zu erahnen. Es war ein nasskalter Nachmittag, ungemütliches Novemberwetter. Trotzdem war das Stadion bereits gut gefüllt, als wir uns eine Stunde vor Anpfiff das erste Pils genehmigten und an große Momente in Gütersloh zurückdachten. Die Sache mit dem Bulli Zum Beispiel an das DFB-Pokalspiel der Gütersloher gegen den VfB Stuttgart 1991, bei dem vor dem Anpfiff ein Heißluftballon vom Spielfeld aus abhob. Der Ballon wurde mit einem Bulli bis zum Mittelkreis gefahren und erhob sich eindrucksvoll in die Lüfte. Dumm nur, dass der Ballonführer den Bulli-Schlüssel in der Tasche hatte, so dass Stuttgarter und Gütersloher gemeinsam mühsam das Auto vom Spielfeld wuchten mussten. Schieben ging nicht, der Ballonführer hatte natürlich die Handbremse angezogen. Und wir erinnerten uns an unser Auswärtsspiel in der Oberliga, als eine Marschkapelle vor dem Spiel eine Runde durchs Stadion zog und vor dem Arminia-Fanblock derart gefeiert wurde, dass der Kapellmeister entzückt seine Truppe minutenlang immer wieder vor dem Block auf- und abmarschieren ließ, bis die Trompeter irgendwann entnervt streikten. Irgendwann ging es dann los. Beide Mannschaften bekämpften sich mit einer erstaunlichen Härte, die selbst für rivalisierende Nachbarn ungewöhnlich war. Es herrschte allerbeste Braveheart-Stimmung im Heidewald. Und bereits nach vier Minuten grätschte Bielefelds René Rydlewicz seinen Gegenspieler derart heftig von hinten um, dass sich alle wunderten, dass das Bein nicht in einer Notoperation abgenommen werden musste. Zur Halbzeit stand es dennoch 0:0, weil sämtliche Spieler sich ihre Zeit vornehmlich mit Tacklings, Blutgrätschen und wüsten Tretereien vertrieben hatten. Und als um die 70. Minute herum auch noch André Hofschneider wegen einer ungeschickten Grätsche mit Gelb-Rot vom Platz flog, gab niemand mehr einen Pfifferling auf die Arminia. Peeters - Kraft - Labbadia Normalerweise verschanzen sich Mannschaften nach zwei Platzverweisen für die letzte Viertelstunde am eigenen Strafraum. Arminia aber stürmte fröhlich weiter und bekam zehn Minuten vor Schluss einen Freistoß an der Strafraumkante zugesprochen, dramaturgisch geschickt vor der Arminia-Kurve, in der die Anhänger nervös zu springen begannen, während Jacky Peeters den Ball scharf aufs Toreck zog. Keeper Kraft bekam irgendwie noch seine Pranken an den Ball und lenkte ihn gegen den Pfosten. Bruno Labbadia sprang heran und köpfte den Ball ins Netz, obwohl er beinahe noch vom hinter ihm herankeuchenden Abwehrmann umgerissen worden wäre. Die Kurve explodierte, Hunderte Fans sprangen an die Zäune, Bierbecher flogen durch die Gegend – und Labbadia rannte entfesselt in die Kurve, den Fans entgegen, warf sich auf eine der am Boden liegenden Fahnen und knutschte sie ab. In der 88. Minute traf Labbadia per Elfmeter, dann war Schluss. Ein schnauzbärtiger Kuttenträger umarmte mich von hinten, ein anderer war an den Zaun gesprungen und würde da sicher heute noch hängen, hätten ihn nicht irgendwann zwei seiner Kumpels aus der pseudoreligiösen Ekstase befreit. Auf dem Platz gaben die Bielefelder Spieler ungläubige Interviews. Bruno hatte immer noch diesen stieren Blick, der den Betrachter glauben ließ, der Doppeltorschütze habe eine religiöse Erscheinung gehabt. Wir torkelten glückselig in die Gütersloher Nacht. Viele Jahre später war ich mal gemeinsam mit Bruno Labbadia bei der Talkshow von Markus Lanz eingeladen. Als wir uns vor der Sendung trafen, plauderten Labbadia und ich über die Zeiten bei Arminia, und wir kamen auch auf das Spiel in Gütersloh zu sprechen. Ich erinnerte ihn an die beiden Tore und seinen exzentrischen Torjubel nach dem ersten Treffer. &bdquo;Weiß ich nicht mehr so genau", sagte Labbadia – und grinste. Das Buch ist erhältlich in der NW-Geschäftsstelle, Niedernstraße 21-27, 33602 Bielefeld, Öffnungszeiten Mo. - Fr. 10-16 Uhr, Sa. 10 - 14 Uhr.

Meistgelesen